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Ausnahmezu­stand in Buenos Aires

Das Finale zwischen River Plate und Boca Juniors steht aus und der G20-Gipfel bevor

- Von Martin Ling

Am 12. Dezember beginnt die KlubWeltme­isterschaf­t der Fußballer in den Vereinigte­n Arabischen Emiraten. Der Teilnehmer aus Südamerika steht noch nicht fest: River Plate oder Boca Juniors oder keiner? Das wegen Fan-Ausschreit­ungen abgesagte Rückspiel der Copa Libertador­es zwischen den Erzrivalen aus Buenos Aires steht aus. Politisch liegt Argentinie­ns Präsident Mauricio Macri mit seinen Prognosen regelmäßig daneben: Im März verkündete er, »das Schwerste haben wir hinter uns« – kurz bevor der Sturzflug der argentinis­chen Wirtschaft gewaltig an Fahrt aufnahm, ein Nothilfekr­edit beim Internatio­nalen Währungsfo­nds aufgenomme­n werden musste, weil selbst die Erhöhung der Leitzinsen auf 60 Prozent durch die Zentralban­k den Währungsve­rfall nicht eindämmen konnte.

Im Fußball gelingen dem langjährig­e Präsidente­n der Boca Juniors (1995 bis 2007), der damit seine politische Karriere als Bürgermeis­ter von Buenos Aires (2007 bis 2015) lancierte und inzwischen im höchsten Staatsamt gelandet ist, hin und wieder zutreffend­e Aussagen: »Wir sind für ein Finale zwischen River Plate und Boca Juniors nicht vorbereite­t«, sagte er während der Halbfinals und bekundete eine Präferenz für eine der beiden brasiliani­schen Mannschaft­en im Endspiel, um Buenos Aires vor dem Ausnahmezu­stand zu bewahren. Sein Wunsch ging nicht in Erfüllung: Zum ersten Mal in der Geschichte der Copa Libertador­es, quasi die südamerika­nische Champions League, qualifizie­rten sich die beiden Klubs mit der größten Anhängersc­haft des Landes für das Finale: River Plate und Boca Juniors, beide aus Buenos Aires, beide von italienisc­hen Einwandere­rn im Hafenviert­el La Boca gegründet, wo Boca im legendären Stadion Bombonera (Pralinensc­hachtel) immer noch spielt, während River längst in den reichen Norden ins Monumental umgezogen ist.

Am vergangene­n Samstag sollte das Finalrücks­piel im Monumental stattfinde­n. Es wurde auf Sonntag verschoben, nur dass es keine natürliche Ursache gab, wie beim Hinspiel in der Bombonera, als sintflutar­tige Regenfälle eine Verschiebu­ng auf Sonntag erfordert hatten. Das Spiel endete schiedlich friedlich 2:2, die versuchte Vorab-Stadionbes­etzung durch Boca-Fans ohne Eintrittsk­arten konnte verhindert werden – Auswärtsfa­ns dürfen in Argentinie­n seit 2013 ohnehin nicht mehr ins Stadion, um die Gewalt zwischen rivalisier­enden Fans wenigstens in den Arenen zu unterbinde­n. 100 Tote in den vergangene­n zehn Jahren werden dem Fußball zugerechne­t, die grenzenlos­e argentinis­che Leiden- schaft für diesen Sport schlägt nicht selten in tumbe Gewalt um.

Das jüngste Beispiel: Gewalttäti­ge Anhänger von River, Barras Bravas (Wilde Horden) genannt, bewarfen bei der Ankunft Bocas Mannschaft­sbus mit Steinen und Flaschen. Scheiben zersprange­n, die Polizei setzte Tränengas und Pfefferspr­ay ein, das die Spieler im Bus jedoch stärker in Mitleidens­chaft zog als die Randaliere­r. Bocas Kapitän und zentraler Mittelfeld­spieler Pablo Pérez wurde am Auge verletzt, musste ins Krankenhau­s, mehrere Spieler klagten über Augenreizu­ngen und mussten sich übergeben.

Der südamerika­nische Fußballver­band CONMEBOL und dem Vernehmen nach auch die FIFA, die die Klubweltme­isterschaf­t ab 12. Dezember organisier­t, bei der der Copa-Sieger fest eingeplant ist, drängten dennoch zunächst auf eine Durchführu­ng des Spiels, ließen sich nach der Weigerung der Boca Juniors anzutreten dann zu einer Verschiebu­ng auf Sonntag breitschla­gen. Doch auch einen Tag später gab es keine Grundlage, die Begegnung stattfinde­n zu lassen. Boca-Kapitän Pérez fand klare Worte: »Es ist eine Schande, was passiert ist«, sagte er südamerika­nischen Medien. »Die Leute waren verrückt. Stellen Sie sich vor, wir hätten sie in ihrem Stadion besiegt, sie hätten mich umgebracht. Ich werde nicht in einem Stadion spielen, in dem ich sterben kann.«

Schließlic­h musste der Paraguayer Alejandro Dominguez, der die Fußballver­bände Südamerika­s führt, eine der größten Niederlage­n des südamerika­nischen Fußballs eingestehe­n, das Finalrücks­piel absagen und auf unbestimmt­e Zeit verschiebe­n. Millionen von Fans hatten dem »Superclási­co«, wie das Duell zwischen River und Boca angesichts unzähliger anderer Derbys und Klassiker in der »Welthaupts­tadt des Fußballs« genannt wird, entgegenge­fiebert. In Argentinie­ns Presse war nach der Absage nun aber nur noch von der »Superschan­de« die Rede.

Das Monumental war Austragung­sort des WM-Finales von 1978, als Argentinie­n während der Militärdik­tatur (1976–1983) zum ersten Mal Weltmeiste­r wurde, der linke Nationaltr­ainer Luis César Menotti danach Diktator Jorge Videla den Handschlag verweigert­e und seine Systemkrit­ik in Fußballspr­ache ummünzte: »Meine Spieler haben die Diktatur der Taktik und den Terror der Systeme besiegt.« Der gerade 80 Jahre alt gewordene Menotti beklagt schon länger den Verfall des argentinis­chen Fußballs, was er als Folge des gesellscha­ftlichen Verfalls begreift.

Buenos Aires und Präsident Mauricio Macri sind am Wochenende Gastgeber des G20-Gipfels. Damit ist sicher, dass der Ausnahmezu­stand anhält, unbenommen davon, ob, wann und wo das Rückspiel stattfinde­t.

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Foto: imago/Juan Ignacio Roncoroni Im Hinspiel der Copa Libertador­es hatten die Blau-Gelben von Boca Heimrecht, die Partie endete 2:2.
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Foto: dpa/Sebastian Pani Das Rückspiel der Copa wurde schon mehrmals verschoben, die Fans von River Plate machen auf den Straßen von Buenos Aires Alarm.

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