Fragwürdiger Aderlass
Drei Monate vor dem mutmaßlichen Wahltermin sortiert sich Thailands Politik neu
In Thailand soll im Februar 2019 ein neues Parlament gewählt werden, erstmals seit dem Putsch 2014. Zum Ablauf der 90-Tages-Frist gab es besonders viele prominente Überläufe zur neuen Partei der Militärjunta. Neu ist das Phänomen nicht. Bereits vor einigen Monaten begann das, was thailändische Medienvertreter eine Form des politischen Kannibalismus nennen. Dahinter steht die Strategie, die etablierten politischen Kräfte durch gezielte Abwerbung prominenter Vertreter zu schwächen. So hat es die erst in diesem Jahr im Zuge der Teilaufhebung des Verbots politischer Betätigungen neu gegründete pro-militärische Palang Pracharath Partei (PPRP) geschafft einige namhafte Mitglieder der Demokratischen Partei (DP) zum Überlaufen zu bewegen. Was letztendlich dazu führte, dass deren Top-Spitze, seinerzeit einer künftigen Koalition mit den regimetreuen Kräften nach der Wahl vielleicht nicht gänzlich abgeneigt, nunmehr klar und deutlich auf Distanz gegangen ist. Weder mit der konservativen Pheu Thai Partei (PT), der traditionelle politische Gegenspieler der Demokraten, noch mit der PPRP werde es eine Zusammenarbeit geben, sagte Abhisit Vejjajiva, DP-Parteichef und früherer Premier, der gerne in dieses Amt zurückkehren würde.
Der Aderlass der ältesten Partei des Landes in Richtung des Neulings auf der Bühne ist allerdings noch überschaubar. Wesentlich mehr macht eine Vielzahl von Abgängen der PT zu schaffen. Die steht ohne klare Führung dar, seit sich die 2014 beim Putsch als gewählte Regierungschefin gestürzte Yingluck Shinawatra im Zuge eines Gerichtsverfahrens gegen sie wegen des umstrittenen Reis-Subventionsprogramms ins Exil abgesetzt hatte. Dort lebte ihr Bruder Thaksin, 2006 selbst Opfer eines Militärputsches, schon einige Jahre mehr und zog aus der Ferne manche Strippen. Der Einfluss des Shinawatra-Clans auf die PT, der rund um die Jahrtausendwende mit dem neureichen Milliardär an der Spitze die Politik des Königreiches aufgemischt und die alten Eliten herausgefordert hatte, ist aber inzwischen gesunken. Überall zerbröselt deren einstmals starker Zusammenhalt. Die Ratten verlassen das sinkende Schiff, schimmert als Kommentar unterschwellig in so manchen Medienbeiträgen über die oftmals prominenten Abgänge durch. Gerade im Norden und Nordosten des Landes, was über all die Jahre die stärks- te PT-Bastion war, ist der Exodus von ehemaligen Abgeordneten und anderen hohen Kadern besonders schmerzlich. Eigentümlich dabei, dass es gerade auch eine mächtige Fraktion rund um Yaowapa Wongsawat ist, mit der viele der Überläufer Verbindung haben. Die frühere Parlamentarierin aus Chiang Mai ist wie Yingluck eine jüngere Schwester Thaksins, gegen den sich auch der Putsch 2014 primär richtete. Unter denen, die neuerdings das Parteibuch der PPRP haben, sind der Sohn des Ex-Handelsministers ebenso wie ein früherer PT-Fraktionschef und Varathep Ratanakorn, der Thaksin wie Yingluck als Minister im Büro des Premierministers und damit einer der engsten Vertrauten diente.
Ziel der PPRP ist es, dem seit der Machtübernahme vor viereinhalb Jahren als Regierungschef amtierenden Ex-Armeechef Prayuth Chan-ocha auch nach der formellen Rückkehr zu bürgerlich-demokratischen Verhältnissen weiter in diesem Amt zu halten. Prayuth selbst und sein wichtigster Vize Prawit Wongsuwan, auch ein ehemaliger General, mögen nach außer zwar betonte Distanz zur Partei halten. Da deren Chef aber Industrieminister Uttama Savanayana ist und drei weitere Kabinettsmitglieder höhere Ämter in der PPRP bekleiden, ist dieses Unterfangen wenig glaubhaft. Unklar ist auch, wie es die Wähler empfinden, wenn die regimenahe Partei, die einen Neustart verkörpern will, ausgerechnet mit altbekannten Gesichtern von Leuten aufwartet, die man noch bis vor Kurzem kollektiv als »bad guys« öffentlich geschmäht hat. Viele der Überläufer mögen einfach Opportunisten sein, die nur die eigene Karriere im Sinn haben, das hat in Thailands Politik unrühmliche Tradition. Bis zum jetzigen Aderlass schien aber gerade die PT eher immun gegen die schon früher nicht ganz unüblichen Parteiwechsel, die nun eine neue Qualität erreicht haben.