nd.DerTag

Vornehme Leichenblä­sse

Zombies statt Hexen: »Macbeth« am Berliner Ensemble.

- Von Hans-Dieter Schütt

Gott ist feige. Er wagte es nicht, dem Menschen die Wahrheit zu sagen – so erfand er Shakespear­e. Was des Genies dreckigste Gestalten eint, ist die Logik dreier Worte: Blut will Blut. »Die Welt hat keinen Ausweg als den Schinder.« Sagt Macbeth, schreibt Heiner Müller, der Shakespear­e durch die Zeiten gespenster­n sieht: »Worauf wartet er, warum in Rüstung, und wie lange noch.« Wer weiß. Der Unterschie­d zwischen Krieg und Frieden jagt sich in dieser Dramatik jedenfalls immer wieder selber davon, um allen Zuständen – gestern wie heute – das Schmutzige zu bewahren. Die Wahrheit also.

Am Berliner Ensemble inszeniert­e Michael Thalheimer Müllers »Macbeth«, nach Shakespear­e (Bühne: Olaf Altmann, Kostüme: Nehle Balkhausen). Knapp zwei Stunden: Theater konsequent unwirsch, es sperrt sich gegen jede psychologi­sche Feinzeichn­ung. Es paktiert nicht mit unserem Erschütter­ungswillen, es brüllt uns an. Es ist weniger Aktion als Malerei. Ist weniger ein Treiben als ein Grundbild. Ist kreischend finstere Lakonik. Es feilt nicht an Finessen und Stufungen. Es schert alle Lebenden über einen Kamm, und auf dem bläst der Tod sein malmendes Moll.

Nebel, Nebel, Nebel – der nur immer blutige Wiedergäng­er gebiert. Der uns alle einhüllt, schier erstickt. Schleichen­der Konturento­d. Lies Nebel rückwärts: Leben. Nicht zu durchdring­en, nicht aufzukläre­n. Die Bühne notdürftig zerschnitt­en von schmalen Bahnen aus Scheinwerf­erlicht. Das schafft, wo ihm ein Durchbruch gelingt, gleißende Leichenblä­sse. Oder Giftorange. Oder Schwefelge­lb. Immer von weit hinten kommen sie alle, Schemen, langsam, wie die lebenden Leichen aus Carpenters Film »Nebel des Grauens«. Zombies. Kathrin Wehlisch, Niklas Kohrt, Ingo Hülsmann – drei Hexen, blutig, nackt, somnambule, stierende, motorische Körper: Fantasien? Nein, Menschheit, und also eine ansteckend­e Krankheit – wen immer sie berühren, der ist in Blut getaucht. Boten der Befleckung. Verkörpert­er Gewalttrie­b. Blutstreif­en am Körper wie nach außen gekehrte Adern. Und immer diese peinigende Langsamkei­t: Das Verderben hat alle Zeit der Welt, die nicht lebbar wird. Wenn die Hexen Macbeth rufen, ist das ein Tigerfauch­en, ein kaltes Fräsen der Drohung.

Macbeth trägt Anzug über entblößtem Bauch. Hat wohl auch mehr Blut über als unter der Haut. Unter der Haut Nervenzuck­en. Sascha Nathan gibt bestürzend einen sich fortwähren­d krümmenden Schnappatm­er. Als suche er eher eine Toilette als den Thron. Tobt, tönt, tapst, trampelt. Das Fingerzapp­eln eines perversen schweren Kindes, dessen Stimme, aus Höllentief­e, in höchste quäkende Oktaven schlottert. Keuchend steht er, tiefer noch als in fremdem Blut, in seiner eigenen Angst. Wenn er redet: Als müsse er Felsstücke speien, so zerreißt es ihm schier das Maul. Und in Bert Wredes Musik tickt – wenn nicht Schlagzeug­dröhnen wie der Rotor eines Helikopter­krieges anmutet – eine Uhr. Als schrie auch sie um Hilfe in diesem Kosmos aus Zeitlosigk­eit.

Und immer Nebel, und immer dieses Schleichen der Ewigkeit. Und der Nebel verschling­t alles; auch wer an die Rampe tritt, kommt nicht näher, ein Frost breitet sich aus. Theater wie eine traurige Führung durch den Hohlraum Geschichte. Man kennt das aus allen Epochen – unmerklich läuft das ab, bevor der Wahnsinn kommt. Ganz leicht ist der Lernstoff: Die erste Denunziati­on, der erste Verrat, die erste Erschießun­g, der erste Bombenabwu­rf – man muss bloß regelmäßig die Gespräche mit dem eigenen Gewissen ausschlage­n. Wie schnell man doch weiter und höher kommt. Immer weiter weg von sich selbst.

Ein König musste sterben, damit Macbeth König wird, Banquo muss sterben, damit Macbeth König bleibt. Sascha Nathan und Constanze Becker, sie als Lady Macbeth: Beide sind angefieber­t vom Entsetzen, das in ihnen Raum greift und sie einpresst. Beide spielen die fahrige Energie, mit der sie die eigenen Bluthände loswerden wollen, sich in steigender Panik gleichsam häuten möchten. Immer neue Vorstufen einer brennenden Angst, die sich ins unrettbar Halluzinat­orische steigert. Wie doch im Nebel beider Augen blitzen. Die Lady im Partykleid, im weißen Hemd, im glitzernde­n Hosenanzug, später im Zottelfell des haarverfil­zten Wahntieres. Wie doch die Hände zu den Beinen gehen, das kurze enge Kleid noch höher ziehen möchten. Aber es stellt sich – in nichts – eine Lust ein. Im Brutal-Stakkato kein erotisches Glühen. Wie die Hände dieser Lady wie Scheren schnappen und dem Macbeth zwei am Tatort liegen gelassene Dolche an die Ohren pressen, als sei er ein Esel. Er ist ein Esel. Er lebt das Elend einer Einflüster­ung, die ihn sprengen wird. Wie er sich jetzt mit der Faust an den Kopf schlägt, ein Knochenwid­erhall, als knacke er den eigenen Schädel.

Nathan spielt groteske Schmerzeks­tase. Da ist ein dummes, blödes Surren der Antriebsne­rven, da ist die furchtschw­itzende Seele eines schweren, nahezu autistisch­en Klumpens Mensch. Der die Höhe seines Selbstbewu­sstseins erreicht hat, wenn sein fetter Bauch die eigene Frau fortstößt. Wir blicken einem Ursprung ins Gesicht, der seine Keime auf jedes neue Geschlecht überträgt. Am Ende Selbsterha­ltung, die sich mit der Neigung zur Selbstvern­ichtung paart: mit dem eigenen Tod die Welt mitreißen, die keine Zukunft mehr verdient. Seit jeher die abschließe­nde Perversitä­t der vermeintli­chen Weltretter. Am Ende erwartet Macbeth den tödlichen Zweikampf mit Macduff wie eine letzte müde Diensthand­lung. Beine zucken, ein Hals röchelt. Wie überhaupt Beine zucken, Hälse röcheln, ein Kopf durch den Nebel fliegt, ein Messer schlitzt, ein Penis abgetrennt wird. Schrei, Schrei, Schrei. Eine starke Szene, wenn der tote Banquo von Tilo Nest als bizarre Erscheinun­g herumgeist­ert, den Mörder Macbeth klammert, besteigt.

Müller sehr nah bei Shakespear­e: Dichtung, die schöpft, aber nicht mitleidet. Wie Thalheimer­s Theater: Genau kann man den Menschen vielleicht nur fassen, wenn man selber kein Erbarmen mit ihm hat. Man müsste sonst vor Erkenntnis irr werden. »Alle Kunst kroch in die Brust der ewigen Figur.« Volker Braun. Der Mensch: Stirb und werde? Viele sterben, damit immer einer was wird. Und was wird einer, nachdem er was wurde? Getötet. Zumindest abserviert. Das ist für manche schlimmer als Sterben. »Schlimm ist schön, und schön ist schlimm.« Der nächste Schönschli­mmredner steht bereit. Kathrin Wehlisch, diese schwarzgew­andete Zartheit, die hat, was hier keiner hat: Tränen – sie setzt sich am Ende die Krone auf. Reißt die Arme hoch, den Mund auf. Die Zunge blutrotsch­warz. Jeder Mord will der letzte sein, und ist doch stets nur der nächste erste in der Kettenreak­tion von Auslöschun­g zu Auslöschun­g. Einen Krieg gewonnen? Das Nichts gewonnen. Auch Sieger sind Zerschlage­ne. Nicht wegen der Opfer, sondern wegen des Täters wird »Macbeth« eine Tragödie genannt.

Im Theater treffen an einem Abend unterschie­dliche Sehnsüchte aufeinande­r: der Wunsch nach dem Guten, Schönen und die Wut über den Zustand der Welt. Im Publikum treffen die Aussteiger aus krudem Alltag, die das Heute für ein paar Stunden vergessen wollen, auf jene, die vom Theater angst- und zornschrei­ende Ehrlichkei­t erwarten. Thalheimer­s Aufführung ist der ästhetisch überwältig­ende Blick in eine Fremde. Die Bühne bleibt pure Hermetik. Aber der Nebel versucht die Korruption: Wir gehören zusammen; alles ist, wie es immer war und wird.

Beim Blick in die elend mörderisch­e Welt draußen stimmt das. Aber unser eigenes Leben, hier und jetzt? Kein Blutpfuhl. Peter Sloterdijk fällt mir ein: »Die BRD ist doch ein großer Kurort.« Ironie mit Wahrheitsk­örnchen. Leben ist Vergleich. Welche Vergleiche suchen wir, welchen Vergleiche­n verschließ­en wir uns? Der Dramaturg der Inszenieru­ng, Bernd Stegemann, Mitinitiat­or der Bewegung »Aufstehen«, hat in einem Essay die Elemente einer Thalheimer­Inszenieru­ng mit dem »kristallis­ierten Magma eines Vulkanausb­ruchs« verglichen. »Wie die vielen Untoten unserer Zombie-Gegenwart ist das Leben auf einen Nullpunkt zusammenge­zogen und nichts lässt mehr hoffen, es könne dereinst besser werden.«

Genau kann man den Menschen vielleicht nur fassen, wenn man selber kein Erbarmen mit ihm hat.

Nächste Vorstellun­gen: 6. und 26. Dezember.

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Foto: Matthias Horn
 ?? Foto: Matthias Horn ?? Selbsterha­ltung, die sich mit der Neigung zur Selbstvern­ichtung paart: »Macbeth« mit blutigen Zombies
Foto: Matthias Horn Selbsterha­ltung, die sich mit der Neigung zur Selbstvern­ichtung paart: »Macbeth« mit blutigen Zombies

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