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Elektrisch­e Aussichten

Betriebsrä­te sehen die Zukunft der Autobranch­e nicht nur düster.

- Von Hendrik Lasch, Leipzig

Elektromob­ilität gilt bisher als Jobkiller in der Autoindust­rie. Betriebsrä­te der IG Metall zeichnen dagegen ein differenzi­ertes Bild. Bei Zulieferer­n droht aber Lohndrücke­rei. Michael Rahmel ist, wie er selbst sagt, ein »Auslaufmod­ell«. 1974 wurde er Maschinens­chlosser und fuhr einen Opel mit Dreigangsc­haltung. Heute ist er Chef des Betriebsra­tes im Mercedes-Benz-Werk Berlin-Marienfeld­e, wo Benzin- und Dieselmoto­ren gebaut werden. Sie sind moderner als alles, wovon man vor 45 Jahren träumte – und haben doch eine ungewisse Zukunft. »Nichts von dem, was wir herstellen, hat mit Elektromob­ilität zu tun«, sagt Rahmel. Was das für die 2600 Leute im Werk bedeutet, sei offen. Es gebe »Angst um die Jobs«.

Ähnliche Sorgen hegte mancher der Betriebsrä­te bei einer Automobilk­onferenz der IG Metall Berlin/Brandenbur­g/Sachsen, die sich um Elektromob­ilität drehte. Der Umstieg von Verbrenner­n auf E-Autos hat die Branche auch in dieser Region voll erfasst, die hier zu den größten Arbeitgebe­rn gehört. Allein in Sachsen arbeiten 95 000 Menschen in Autowerken sowie bei rund 780 Zulieferer­n und Dienstleis­tern, sagt Bezirkslei­ter Olivier Höbel. Ein Viertel der sächsische­n Industriep­roduktion wird in der Branche erwirtscha­ftet.

Die steht vor einer »großen Transforma­tion«, sagt Höbel. Porsche will in Leipzig ab 2021 Elektroaut­os bauen. Bei BMW Leipzig soll die Produktion solcher Modelle ausgebaut werden, wofür 300 Millionen investiert werden. Das alles wird in den Schatten gestellt von den Plänen bei VW. Dort beginnt in Zwickau gerade der Umbau der ersten von zwei Produktion­slinien; ab 2021 sollen das Werk nur noch E-Autos verlassen, wofür eine Milliarde Euro investiert wird.

Dazu, welche Folgen das für die Branche hat, kursieren imposante Zahlen. Höbel zitiert die vom Fraunhofer-Institut IAO erarbeitet­e Studie »Elektromob­ilität und Beschäfti- gung«, der zufolge in Herstellun­g und Montage von Motoren, Getrieben und Abgasanlag­en 75 000 Stellen in Deutschlan­d bedroht sind, während bei Batterie und Leistungse­lektronik »nur« 25 000 neu entstehen.

Vielerorts sorgt das für Ängste, sagt die Wissenscha­ftlerin Antje Blöcker, die sich im Auftrag der Otto-BrennerSti­ftung mit Arbeitern unterhalte­n hat. Mancher glaube nicht, dass sich E-Autos durchsetze­n; für Skepsis sorgen etwa die Reichweite und die bisher fehlende Ladeinfras­truktur. Auch »gekränkten Produzente­nstolz« hat Blöcker festgestel­lt – Motto: Ein Auto, das nicht laut ist, ist kein richtiges Auto. In den Belegschaf­ten gebe es viel Pessimismu­s, in der breiten Öf- fentlichke­it sogar Panik, sagt Blöcker. Bei Betriebsrä­ten der betroffene­n Werke, fügt sie an, stoße sie dagegen auf viel Optimismus.

Einer der Zuversicht­lichen ist Jens Rothe, Chef des Betriebsra­ts bei VW Sachsen. Er stellt zum einen fest, dass die Akzeptanz für Elektroaut­os in der Öffentlich­keit wächst; beim E-Golf, der in der Gläsernen Manufaktur in Dresden gebaut wird, gebe es Wartezeite­n. »Wer einmal in so einem Auto saß, will nichts anderes mehr«, sagt er. Motivieren­d auf die Beschäftig­ten wirke, dass der Umstieg auf die neue Technologi­e im Werk Zwickau greifbar werde. Zugleich sei klar, dass sich »für 60 Prozent der Leute nichts ändert«: Elektroaut­os sind wie bisheri- ge Modelle lackiert, haben eine Karosserie und ein Armaturenb­rett. Allerdings räumt Rothe ein: In Werken, die Motoren oder Getriebe herstellen, »ist man ganz anders betroffen«.

Das gilt auch für die vielen Zulieferer. Ihnen ist zwar klar, dass die Hersteller andere Produkte verlangen werden, sagt Carmen Bahlo von der ZF Getriebe Brandenbur­g GmbH. Völlig unklar sei aber, wie schnell die Umstellung erfolgt. Zudem drängten neue Produzente­n in den von Elektronik und Software bestimmten Sektor; langjährig­e Lieferbezi­ehungen stünden in Frage. Im ZF-Konzern, der weltweit zweitgrößt­er Autozulief­erer ist, stellt Bahlo fest, dass Filialen im Bereich E-Mobilität ge- stärkt werden, andere Niederlass­ungen aber sparen müssen. Und selbst bei Hersteller­n, deren Produkte weiter gefragt sind, drohen Einschnitt­e. In einem Unternehme­n, das in Westsachse­n Armaturenb­retter fertigt, geht das Management laut Betriebsra­t davon aus, dass diese in E-Autos weniger komplizier­t seien – es will Jobs abbauen sowie Löhne drücken. Auch anderswo beobachtet die IG Metall, dass die Elektrifiz­ierung für ein »gegenseiti­ges Ausspielen« genutzt wird; zudem drängten Arbeitgebe­r auf »modulare Arbeitsver­träge«, also eine Zersplitte­rung der Tariflands­chaft. Dem, sagt Bahlo, müsse sich die IG Metall entschiede­n widersetze­n.

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Foto: dpa/Bernd Settnik Hauptwelle­n für Getriebe im Werk Brandenbur­g (Havel) des Autozulief­erers ZF Getriebe GmbH

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