Alles klar in Katowice?
UN-Klimaverhandlungen sollen transparente Regeln für alle Länder festlegen
Berlin. »Wir fordern tiefgreifende Veränderungen unserer Wirtschaften und Gesellschaften.« Mit großen Worten für ein entschlossenes Eintreten gegen die Erderwärmung ist am Sonntag im polnischen Katowice die 24. UNKlimakonferenz (COP) eröffnet worden. Vertreter von knapp 200 Staaten wollen bis zum 14. Dezember ein sogenanntes Regelbuch ausarbeiten. Dieses soll ermöglichen, von den Staaten ergriffene Maßnahmen transparent zu machen. Die bei der Eröffnung geforderten »entscheidenden Maßnahmen«, um der »akuten Bedrohung« etwas entgegenzusetzen, stehen nicht direkt auf der Agenda.
Trotzdem birgt das Treffen Zündstoff. Der Ökonom Reimund Schwarze warnt im »nd«-Interview vor einem »Damoklesschwert«, das über der Konferenz schwebe. Nachdem die USA aus dem Pariser Abkommen ausgestiegen sind, droht auch Brasilien mit einem solchen Schritt. »Sollten weitere Länder während der Verhandlungen offiziell oder inoffiziell den Austritt erklären, hätte das verheerende Auswirkungen«, sagte Schwarz. Zudem wird auch wieder hart ums Geld gerungen. Die Entwicklungsländer, die wenig zur Erderwärmung beitragen, aber massiv unter den Folgen leiden, fordern mehr Unterstützung beim Klimaschutz.
Die Bundesregierung will derweil eine CO2Steuer prüfen, bestätigte Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) dem »Spiegel« zu einem Vorstoß ihrer Regierungsberater zu einem grundlegenden Umbau des Energiepreisund Steuersystems. Die Bundesregierung müsse eine länderübergreifende Initiative für einen schrittweise steigenden CO2-Preis im europäischen Stromhandel starten und zugleich die Steuern auf fossile Energieträger wie Benzin, Diesel oder Heizöl anheben, heißt es den Angaben zufolge in dem Papier. Im Gegenzug solle die Stromsteuer auf ein Minimum gesenkt werden.
In Katowice beginnt am Montag die diesjährige UN-Klimakonferenz. Ziel ist ein Regelwerk, das die Staaten zu massiv verstärkten Klimaschutzanstrengungen bewegen soll. Klimaschützer in Deutschland wiesen bereits am Vortag auf ihre Forderung nach einem Kohleausstieg hin. Derweil haben immer mehr Regionen dieser Welt mit den Folgen der Erderwärmung zu kämpfen.
Was wird auf dem an diesem Montag beginnenden UN-Klimagipfel (COP24) verhandelt?
In Katowice geht es um die konkrete Umsetzung des Pariser Klimaschutzabkommens. Es soll ein Regelwerk ausgearbeitet werden, in dem in der Hauptsache die nationalen Beiträge für den Klimaschutz, die NDC, präzisiert und vereinheitlicht werden. Verhandelt wird auch über das Verhältnis von Industrie- und Entwicklungsländern. Außerdem ist zu klären, wie Finanzflüsse transparenter zu gestalten sind.
Was wäre für Sie ein erfolgreicher Ausgang des Klimagipfels?
Am Ende muss es ein schriftliches Regelwerk geben, das mindestens vorschreibt, was die einzelnen Länder zu tun und bis wann sie ihre Klimaschutzpflichten zu erfüllen haben.
Neben US-Präsident Donald Trump, der aus dem Paris-Abkommen aussteigen will, äußerte sich jetzt auch Brasiliens künftiger Staatschef Jair Bolsonaro kritisch zum Klimaschutz. Kann der Gipfel da ein Erfolg werden?
Schon jetzt spielt es keine Rolle mehr, dass die USA unter Trump nicht Teil des Prozesses sind. Das ist lange entschieden, und es gibt Gegenbewegungen von unten, aus den Bundesstaaten, den Städten und der Wirtschaft der USA. Auch in der Berichterstattung über die internationale Klimapolitik wird die Haltung der USRegierung praktisch nicht mehr beachtet, eben, weil es auch ohne die Amerikaner geht.
Allerdings stehen wir möglicherweise vor einer Änderung der weltpolitischen Lage. Sollten weitere Länder während der Verhandlungen offiziell oder inoffiziell den Austritt aus dem Pariser Abkommen erklären, hätte das verheerende Auswirkungen. Es schwebt im Moment also ein Damoklesschwert über den Klimaverhandlungen in Katowice. Dabei ist die Frage, ob Brasilien an Bord bleibt, zwar wichtig, aber auch sie wären für den Fortschritt der Verhandlungen nicht entscheidend. Ein Austritt Brasiliens könnte sich allerdings auf Länder auswirken, die sich bis heute zurückgehalten haben und die dann möglicherweise entscheiden, sich aus dem Prozess zurückzuziehen.
An wen denken Sie da? Es gibt noch immer Staaten, die das Abkommen unterzeichnet, aber nicht ratifiziert haben, darunter wichtige wie Russland, die Türkei oder Iran. Diese große Gruppe wird sich, wenn es zu einem Prozess der »Ansteckung« kommt, anders entscheiden, als wenn ein Austritt ein vereinzeltes Verhalten der USA und Brasiliens bleibt. Dann bekämen wir eine Krise. Für mich stehen aber alle unter Beobachtung, die bis heute keine nationalen Beiträge erklärt haben.
Welche Rolle wird der neue Sonderbericht des Weltklimarates haben? Demnach erwärmt sich die Erde schneller und mit ernsteren Folgen als bisher angenommen. Entscheidend wird sein, wie der Sonderbericht von den Staaten aufgenommen wird. Er besagt ja, dass wir die Erwärmung schleunigst auf 1,5 Grad Celsius begrenzen müssen und dass dies noch möglich ist. Ich wün- sche mir eine spürbar positive Aufnahme des Berichts in den nationalen Statements, die die Länder zu Gipfelbeginn abgeben. Geschieht das nicht und ignorieren die Verhandler eine von ihnen selbst in Auftrag gegebene wissenschaftliche Empfehlung, wäre das ein schlechtes Zeichen.
Im vergangenen Jahr gerieten Entwicklungsländer und Industrienationen über Fragen der Finanzierung aneinander. Wird sich das in Katowice fortsetzen?
Das ist immer noch einer der Grundkonflikte. Es gibt, bis in die Details hinein, fundamental unterschiedliche Interessenslagen zwischen den Entwicklungs- und den Industrieländern. Für das Regelwerk wird zum Beispiel diskutiert, ob die Berichtspflichten wirklich völlig gleich sein müssen oder ob das nur einige Eckpfeiler betrifft oder ob ärmere Länder finanzielle Hilfen bekommen, um eine Berichterstattung auf gleichem Niveau durchführen zu können.
Die Konflikte um die Finanzleistungen, die die Industrienationen den Entwicklungsländern versprochen haben, werden auch in Katowice eine ungebührlich große Rolle spielen. Ungebührlich deswegen, weil es auf dem Klimagipfel laut Fahrplan keinen wegweisenden Entschluss zum Thema Finanzen geben soll – weder zu Zwischenschritten bis 2020 bei der Finanzierung noch zu »Loss and Damage«, also zu Leistungen für Schä- den, die nicht vermieden werden können. Diese Beschlüsse sollen erst im nächsten Jahr fallen.
Ist es möglich, diese Punkte spontan doch noch zu verhandeln? Nein, nicht wirklich. Sie werden sicher diskutiert, aber das ist dann bei den Verhandlungen eine Art Begleitmusik, die natürlich die Stimmung mit prägt. Wenn Fragen ins Spiel kommen, die eigentlich nicht zur Entscheidung anstehen und von denen wir wissen, dass sie wie »Loss and Damage« superkontrovers sind, dann ist es nicht förderlich, sich damit zu befassen. In Katowice geht es vor allem darum, ein einheitliches Berichtsverfahren über tatsächlich erbrachte Klimaschutzleistungen zu beschließen.
»Es gibt, bis in die Details hinein, fundamental unterschiedliche Interessenslagen zwischen den Entwicklungs- und den Industrieländern.«
Manche Experten halten es für unwahrscheinlich, dass in Katowice echte Fortschritte erzielt werden, wenn die EU ihr schwaches Klimaziel bis 2030 nicht erhöht.
Diese Ansicht überschätzt das Gewicht, das die EU bei den Verhandlungen hat. Wenn die deutsche Umweltministerin oder die EU-Länder als Verhandlungsgruppe mit leeren Händen nach Katowice kämen, wäre das zwar nicht gut, aber es löst keinen »Ansteckungseffekt« aus. Aber erstens kommen sie nicht mit völlig leeren Händen und zweitens führt auch ein gewisser klimapolitischer »Schlendrian« nicht dazu, den internationalen Verhandlungsprozess aufzugeben.