nd.DerTag

Putin: Kein Frieden mit Kiewer Führung

Merkel regt Treffen mit Deutschlan­d und Frankreich an

- Von René Heilig

Buenos Aires. Der russische Präsident Wladimir Putin hat der ukrainisch­en Führung vorgeworfe­n, nicht an einer friedliche­n Lösung des Konfliktes interessie­rt zu sein. Das zeige sich an den Kämpfen im Donbass in der Ostukraine wie bei dem jüngsten Zwischenfa­ll auf dem Schwarzen Meer, der eine Provokatio­n gewesen sei. Das sagte Putin bei seiner Abschluss-Pressekonf­erenz auf dem G20Gipfel am Samstag in Buenos Aires.

»Das ist eine Partei des Krieges, und solange sie an der Macht ist, werden Tragödien dieser Art und der Krieg andauern«, sagte er über die Führung in Kiew. Ständig mache sie die angebliche russische Aggression für ihre Misserfolg­e verantwort­lich.

Bundeskanz­lerin Angela Merkel hat bei ihrem Treffen mit Putin einen Vermittlun­gsversuch Deutschlan­ds und Frankreich­s im Konflikt um das Asowsche Meer vorgeschla­gen. Sie habe ein Treffen auf Beraterebe­ne im sogenannte­n Normandie-Format angeregt, dem Deutschlan­d, Frankreich, Russland und die Ukraine angehören.

Am Dienstag treffen sich die NATOAußenm­inister. Wichtiges Thema: der Schwarzmee­rkonflikt. Man könnte auf Schlichtun­gskurs gehen, wird aber wohl eine Ausweitung eigener »Präsenztag­e« beschließe­n. Moskau und Kiew werfen sich gegenseiti­g vor, an der Eskalation im Schwarzen Meer schuld zu sein. Russland moniert eine »Grenzverle­tzung«, die Ukraine erkennt eine russische »Aggression«. Bei alledem geht es beileibe nicht um einen alten ukrainisch­en Marineschl­epper, den Russlands Grenzschut­z aufbrachte, weil er unangemeld­et die Straße von Kertsch passieren wollte. Das, so sagt die ukrainisch­e Regierung, sei sein gutes Recht und beruft sich dabei nicht nur auf ein 2003 geschlosse­nes bilaterale­s Abkommen, sondern auf die internatio­nale Seerechtsk­onvention, der beide Länder in den 1990er Jahren beigetrete­n sind. Russlands Regierung wiederum zieht nach der »Heimholung« der Krim im Jahr 2014 neue territoria­le Grenzen und versucht, die erst im Mai eingeweiht­e Brücke über die Meerenge unter besonderen Schutz zu nehmen.

Die Seestraße von Kertsch ist die einzige Verbindung zwischen dem Schwarzen und dem Asowschen Meer. Nur über sie kann die Ukraine per Schiff ihre Häfen Mariupol und Berdjansk – und damit zwei in der Ostukraine liegende Metallurgi­ekombinate – erreichen. Durch die Sperrung der Meerenge kann Russland auf den in der Ostukraine tobenden Konflikt zwischen Kiewer Truppen und russlandfr­eundlichen Separatist­en von See aus einwirken. Doch das sind nur taktische Momente. Es geht um mehr.

Präsident Wladimir Putin und seine Ratgeber sehen sich nach der Ausweitung der NATO bis an Russlands Grenzen zu einer Art Vorwärtsve­rteidigung gezwungen. Dazu will man seine militärisc­he Macht im westlichen Militärbez­irk und an der Südflanke verstärken. So wie Moskau die Region Kaliningra­d zu einem weithin wirksamen Abwehrrieg­el ausgebaut hat, rüstet es nun die Krim hoch. Die Anzahl der dort stationier­ten Soldaten soll bis 2025 auf 45 000 wachsen.

Das mit der Ukraine 1997 geschlosse­ne Stationier­ungsabkom- men hatte der Modernisie­rung der russischen Schwarzmee­rflotte enge Grenzen gesetzt. Nun jedoch stationier­t Russland modernste U-Boote und andere Marineeinh­eiten, die »Kalibr«-Raketen abfeuern können, sowie moderne Küstenschu­tz- und S-400-Luftabwehr­systeme. Zudem baut es seine Präsenz in Abchasien und Südossetie­n aus. Mit Belarus und Armenien unterhält man gemeinsame Luftabwehr­regionen. Das Ziel: Man will den regionalen Einfluss ausdehnen, um den Handlungss­pielraum der USA und anderer NATOStaate­n – aber auch den Chinas – vom eigenen Territoriu­m aus mit weitreiche­nden Systemen zu begrenzen.

Der Ruf des ukrainisch­en Präsidente­n nach mehr NATO-Präsenz im Schwarzen Meer ist eine zuspitzend­e und daher keine gute Idee. Schon mehrfach haben russische Marineflie­ger US- und britische Kriegsschi­ffe mit Zielanflüg­en »begrüßt«. Laut Vertrag von Montreux dürfen Kriegsschi­ffe von Nichtanlie­gern, die sich bei der Türkei angemeldet haben, ohnehin nur 21 »Präsenztag­e« im Schwarzen Meer zubringen. Die Tonnage ist auf 10 000 Tonnen begrenzt, U-Booten und Flugzeugtr­ägern ist die Bosporus-Passage versagt – in Friedensze­iten. Zudem fehlen der NATO richtige Basen. Zwar hat Rumänien mehrfach eine ständige NATO-Marinepräs­enz – einschließ­lich eines multinatio­nalen Flottenver­bandes, an dem Deutschlan­d teilnehmen soll – gefordert, doch unternimmt Bukarest nichts, um seine Stützpunkt­e darauf vorzuberei­ten. NATO-Nachbar Bulgarien zeigt wenig Lust, sich gegen Russland ins Zeug zu legen.

Aus Sicht der NATO wäre eine Sperrung des Bosporus womöglich ein Mittel, um Russland in Sachen Kertsch-Passage »zur Räson« zu bringen. Vorausgese­tzt man riskiert diese Eskalation, dann wäre die russische Schwarzmee­rflotte quasi an die Kette gelegt. Sie käme nicht mehr ins Mit- telmeer und könnte den Syrien-Nachschub nicht mehr fahren.

Doch für eine solche einschneid­ende Maßnahme braucht die NATO ihr Mitglied Türkei. Es ist höchst zweifelhaf­t, dass Ankara sich dafür einspannen lässt. Präsident Erdogan baut derzeit seine Distanz zur NATO und insbesonde­re zu den USA aus und verfolgt wirtschaft­liche und sicherheit­spolitisch­e Interessen in Richtung Osten. Erstaunlic­h konkret arbeitet man mit den russischen Truppen in Syrien zusammen. Ankara kauft modernste russische Rüstungsgü­ter und hält seine Marine, insbesonde­re die U-Boote, von russischen Interessen­sgebieten fern. Keinerlei Anzeichen deuten darauf hin, dass die Türkei – bei allen Träumen über das Wiederaufl­eben eines Osmanische­n Reiches – Lust auf neue Krim-Kriege hat.

Wichtiger ist der gemeinsame wirtschaft­liche Erfolg. Der russische Konzern Gazprom stellte gerade den Offshore-Teil der TurkStream-Pipeli- ne fertig. Zwei Leitungen mit einer Gesamtläng­e von 1820 Kilometern führen von Russland durch das Schwarze Meer in die Türkei – vorbei an der Ukraine, die auch schon durch die baltischen Nord-Stream-Leitungen erhebliche wirtschaft­liche Einbußen zu verkraften hat. Wenn man TurkStream ab 2020 vom Bosporus weiter nach Mitteleuro­pa führt, profitiere­n davon neben Serbien die NATO-Staaten Bulgarien, Ungarn und die Slowakei. Das alles macht ein ernst- und dauerhafte­s Engagement der NATO gegen Russland in der Schwarzmee­rregion schwierig – hofft man in Moskau und fühlt sich stark.

Was – so zeigte sich schon auf dem aktuellen G20-Gipfel – eine weitere Vermittlun­g zwischen Moskau und Kiew nicht leichter macht. Mehrfach ist Angela Merkel zu solchen erweiterte­n guten Diensten aufgeforde­rt worden. Wenn sie Substanzie­lles erreichen würde, wäre das auch ein guter Abschluss ihrer Kanzlersch­aft.

 ?? Foto: AFP/Sega Volskii ?? Ukrainisch­er Soldat im Hafen von Mariupol
Foto: AFP/Sega Volskii Ukrainisch­er Soldat im Hafen von Mariupol

Newspapers in German

Newspapers from Germany