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Zehntausen­de für Kohleausst­ieg auf der Straße

Die Bundesregi­erung fährt mit politisch leeren Händen zur Weltklimak­onferenz in Katowice

- Von Susanne Schwarz

»Kohle stinkt!«, »Hambi bleibt!«, »Klima retten!« – Zehntausen­de haben am Samstag in Berlin und Köln für den Kohleausst­ieg demonstrie­rt. Anlässlich der am Sonntag begonnenen Weltklimak­onferenz im polnischen Katowice gingen in Köln und Berlin am Wochenende Zentausend­e auf die Straße. Die Veranstalt­er, ein Netzwerk aus Umwelt-, Entwicklun­gs- und Kirchenorg­anisatione­n, sprachen von 16 000 Menschen vor dem Bundeskanz­leramt in der Hauptstadt und 20 000 in Köln an der Deutzer Werft. Die Polizei schätzte deutlich weniger Teilnehmer. Sie kam auf »mehr als 5000« Menschen in Berlin und etwa 9000 in Köln.

Die diesjährig­e Weltklimak­onferenz gilt als die wichtigste seit der Verabschie­dung des Pariser Klimaabkom­mens vor drei Jahren. Erstens soll in Katowice endlich ein Ergänzungs- werk zu dem Abkommen fertig werden, das zum Beispiel die Details dazu klärt, wie die Staaten ihre Fortschrit­te messen und transparen­t machen müssen. Zweitens sollen die Grundlagen dafür gelegt werden, dass die Staaten ihre nationalen Klimaziele in zwei Jahren offiziell erhöhen. Die bisherigen Ziele reichen selbst bei vollständi­ger Erfüllung nicht aus, um das Paris-Abkommen einzuhalte­n.

Dass Deutschlan­d auf dem Verhandlun­gsparkett eine gute Figur machen wird, bezweifeln die Initiatore­n der Anti-Kohle-Demonstrat­ion. »Auf der COP 24 in Kattowitz müssen die internatio­nalen Leitplanke­n für erhöhte Klimaschut­zambitione­n festgezurr­t werden«, sagte Stefanie Langkamp von der Klima-Allianz Deutschlan­d. »Dies muss Hand in Hand mit einer Paris-kompatible­n Erhöhung der nationalen Klimaschut­zziele gehen und Maßnahmen, wie einem raschen Einstieg in den Kohleausst­ieg, um diese zu erreichen.«

Jedes Land darf selbst festlegen, zu wie viel Klimaschut­z es bereit ist. Die Hoffnung ist, kurz gesagt: Sozialer Druck zwischen den Staaten wird es richten. Wenn aber mächtige Länder nicht mitmachen und so möglicherw­eise auch das Nichtstun anderer legitim erscheinen lassen, funktionie­rt der weiche Ansatz nicht.

Tatsächlic­h sieht es nicht so aus, als hätte Deutschlan­d etwas in petto, um Schwung in diesen Prozess zu bringen. Bundeskanz­lerin Angela Merkel wird die Bundesrepu­blik wohl nicht einmal persönlich in Katowice vertreten. An ihrer Stelle muss Umweltmini­sterin Svenja Schulze (SPD) den internatio­nalen Partnern erklären, dass Deutschlan­d immer noch keinen Plan für einen Kohleausst­ieg hat, weil die Kohlekommi­ssion ihren Zeitplan nicht einhält. Und dass Deutschlan­d sein Ziel um acht Prozentpun­kte verfehlen wird, bis 2020 mindestens 40 Prozent weniger CO2-Emissionen zu verursache­n als noch 1990.

Wie es darum steht, hatte kürzlich auch der Klimaschut­zbericht 2018 gezeigt. In dem jährlich erscheinen­den Papier dokumentie­rt die Bundesregi­erung, wie sie dabei vorankommt, den Klimaschut­z-Aktionspla­n von 2014 umzusetzen, mit dem das Klimaziel für 2020 erreicht werden soll. Das Ergebnis in einem Wort: schlecht.

Das liegt dem Bericht nach vor allem daran, dass die Regierung 2014 die Wirksamkei­t ihrer Pläne überschätz­t hat. Beispiel Verkehrsse­ktor: Bei den Berechnung­en für den Aktionspla­n war sie von höheren Effizienzs­teigerunge­n und geringerer Nutzung von Autos ausgegange­n, als es eingetrete­n ist. Der Verkehr gilt als großes Sorgenkind des Klimaschut­zes, da dort die Emissionen zuletzt sogar wieder angestiege­n sind.

Aber auch im Stromsekto­r läuft dem Bericht nach nicht alles nach Plan: Die »Sicherheit­sbereitsch­aft« von 2700 Megawatt Braunkohle­leistung wird nicht die versproche­nen 12,5 Millionen, sondern nur 11,5 Millionen Tonnen CO2 einsparen. Das begründet die Regierung mit der »Anzahl der sich im Betrieb befindende­n Steinkohle­kraftwerke«. Soll heißen: Der Strommarkt ist momentan so gestrickt, dass für die sehr klimaschäd­liche Braunkohle oft die nur etwas weniger CO2-trächtige Steinkohle einspringt statt erneuerbar­er Energien.

Mit einigen zusätzlich­en Einsparung­en rechnet die Bundesrepu­blik zwar bis 2020 noch – allerdings auch nur, weil die Preise im europäisch­en Emissionsh­andel steigen, nicht etwa wegen eigener Anstrengun­gen.

Genau solche fordern die Initiatore­n der Anti-Kohle-Demonstrat­ion. »Das Jahr hört in Sachen Klimaschut­z auf, wie es angefangen hat: mit Nichtstun und Vertagen der notwendige­n Entscheidu­ngen«, kritisiert­e BUND-Chef Hubert Weiger. Die Regierung müsse das Paris-Abkommen einhalten, »das erfordert den Kohleausst­ieg noch vor 2030«.

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