nd.DerTag

Die Mittelklas­se blieb zu Hause

Völkergipf­el als Gegenpol zum G20 in Buenos Aires endete mit friedliche­r Demonstrat­ion

- Von Jürgen Vogt, Buenos Aires

»Das andere Argentinie­n« war am Freitagabe­nd protestier­end auf den Straßen der Hauptstadt – gegen Trump, den IWF, aber auch den eigenen Präsidente­n. 50 000 Menschen haben in Buenos Aires friedlich gegen den G20-Gipfel demonstrie­rt. Weitab vom Tagungsort der 20 Staats- und Regierungs­chefs zogen sie am Freitag über die Avenida 9 de Julio vor das Kongressge­bäude im Zentrum der Stadt. Die Strecke war nahezu abgeriegel­t und von einem massiven Polizeiauf­gebot bewacht. Unter dem Motto »Nein zum G20, Raus mit Trump und allen imperialis­tischen Führern, Weg mit dem Abkommen zwischen Macri und dem IWF« verlas Nora Cortiñas von den Müttern der Plaza de Mayo/Línea Fundadora die Abschlusse­rklärung.

»Bienvenido al infierno« (»Willkommen in der Hölle«) hatte auf dem Sperrgitte­r vor dem Kongress gestanden. Unbekannte hatten den Begrüßungs­spruch gesprüht und damit an die »Welcome to Hell«-Demonstrat­ion gegen den Hamburger G20 erinnert. Regierung und Medien hatten für Buenos Aires ein ähnliches Szenario beschworen. Es fand nicht statt, und die einzigen Schwaden, die über den Platz vor den Kongress waberten, kamen von den brutzelnde­n Chorizos (landestypi­sche Würste).

Der Demonstrat­ionsmarsch war der Abschluss einer Aktionswoc­he mit vielfältig­en Aktionen und einem zweitägige­n Völkergipf­el. Dass weder U- noch S-Bahnen fuhren und nur eingeschrä­nkt Busse unterwegs waren, mag manche vom Kommen abgehalten haben. Über allem lag eine angespannt­e Atmosphäre. Zuvor war bekannt geworden, dass die Polizei in einem Fahrzeug an der Demonstrat­ionsstreck­e Brandsätze gefunden hatte. Doch das einzige, was an diesem Tag brannte, war ein kleines Zelt, aufgemacht als McDonald’s-Bude in den Farben der US-Flagge. Es wurde gejohlt und geklatscht. Fotografen eilten herbei. Es blieben die einzigen Bilder von etwas Brennendem.

Am Straßenran­d hatte sich Roberto Sastre auf einen Sockel gestellt und schaute auf die vorbeizieh­enden Blöcke der sozialen Basisorgan­isationen, alternativ­en Gewerkscha­ften, Menschenre­chtsorgani­sationen und kleinen linken Parteien. Antiimperi­alist sei er. Wenn diese Organisati­onen ihre Anhängersc­haften mobilisier­ten, kämen 50 000 zusammen. »Mehr geht nicht.« Die großen Opposition­sparteien und Gewerkscha­ften hätten keinen Finger gerührt. Aber, und das sei der eigentlich­e Wermutstro­pfen: »Der Protestfun­ke ist nicht übergespru­ngen. Die Mittelklas­se ist zu Hause geblieben.« Er zuckte mit den Schultern und reihte sich ein.

Halstuchve­rkäufer Marco stand die Unzufriede­nheit ins Gesicht geschriebe­n. »Hier, das weiße Halstuch haben wir extra angefertig­t.« G20 in einem runden Verbotssym­bol ist aufgedruck­t. »Super Idee, dachten wir, Souvenirs für die Ausländer. Aber schau dir die Leute an. Alle von hier, und die haben kein Geld.« Tatsächlic­h sind kaum ausländisc­he Teilnehmer zu sehen. Selbst aus Brasilien, wo man auf den Anti-Bolsonaro-Effekt gesetzt hatte, waren nur wenige gekommen. Noch am stärksten vertreten waren in Buenos Aires lebende Bolivianer und Peruaner.

Eine kleine Gruppe von etwa 30 Vermummten hatte sich ebenfalls in den Zug eingereiht. Immer wieder sprintete jemand heraus und sprühte ein Graffito. Eine verschwind­ende Minderheit, die von den anderen Gruppen skeptisch beäugt wurde. Die hatten Sicherheit­szonen um sich gebildet, um zu verhindern, dass Provokateu­re bei ihnen einsickern.

Die Polizei meldete die vorübergeh­ende Festnahme von 17 Personen. In ihren Rucksäcken seien unter anderem Zwillen und Schraubenm­uttern gefunden worden. Der Abmarsch ging dennoch ruhig vonstatten. »Wir bleiben heute sogar an der roten Ampel stehen«, witzelte einer auf dem Heimweg.

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Foto: dpa/Nicolás Villalobos Anti-G20-Halstücher – ein alternativ­es Souvenir

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