Für Deraa scheint der Krieg vorbei
An der jordanisch-syrischen Grenze ist ein Stück Normalität zurückgekehrt
Nach fünf Jahren im Kriegszustand zwischen beiden Ländern kehren Syrer aus Jordanien in ihre Heimat zurück. Und die Syrer staunen über den Andrang jordanischer Kunden auf ihren Märkten. Nach drei Jahren wurde am 15. Oktober der Grenzübergang Nassib zwischen Jordanien und Syrien wieder geöffnet. Mehr als 90 000 Menschen haben seitdem die Grenze in beide Richtungen passiert. Unter ihnen waren 2380 Syrer, die mit befristeten Transitvisa (»Laissez passer«) aus Jordanien zurückkehrten. Während des Krieges seien sie nach Jordanien geflohen und hätten ihre offiziellen Ausweispapiere verloren, erklärt Oberst Mazen Ghandour, der Leiter der Einwanderungs- und Passbehörde in Damaskus. 320 seien Fahnenflüchtige gewesen, die im Rahmen einer Amnestie straffrei blieben. Den regulären Wehrdienst müssen sie antreten.
In der Provinzhauptstadt Deraa weht wieder die syrische Fahne, überall wird aufgeräumt und gebaut, um die Kriegsschäden zu beseitigen. Nur in der Altstadt, die sich um die alte Omari-Moschee erstreckt, sei die Sicherheitslage noch »sensibel«. Die Autorin kann daher den Kontrollpunkt in die Altstadt nicht passieren.
Im Marktviertel von Deraa sind die Geschäfte geschlossen. Nur ab und zu leuchtet aus dem Grau der Ruinen die Reklame einer Apotheke, einer Bäckerei oder eines Lebensmittelladens. Dazu gibt es gut gefüllte Obstund Gemüsestände. In einer Ladenzeile tragen Bauarbeiter zerbeulte Fensterrahmen, Werbeschilder, Ladenregale und Rollläden zu einem Lastwagen, der den Kriegsschrott abtransportiert. Vier Geschäfte eines Ladenbesitzers würden hier renoviert, erzählen sie. Es werde sicherlich noch einige Wochen dauern, bis ihre Arbeiten abgeschlossen seien. Bis dahin könnten auch Strom und Wasser wieder angeschlossen sein.
Auf die Frage, ob sie sich über die Öffnung der nahe gelegenen Grenze nach Jordanien freuten, lachen die Männer. »Alles ist teurer geworden, die Jordanier kommen und kaufen uns die Haare vom Kopf: Obst, Gemüse, Kartoffeln und Benzin. Und unsere Geschäftsleute haben die Prei- se angehoben.« Es sei, als habe nicht Syrien die letzten Jahre unter Krieg gelitten, sondern die Jordanier, fügt einer von ihnen hinzu. »Sie kommen her und beklagen sich, dass es gegen sie ein Embargo gegeben habe. Dabei gibt es das Embargo gegen uns!«
Wenig später, am Grenzübergang Nassib steht eine lange Schlange von jordanischen Fahrzeugen, die auf dem Rückweg nach Jordanien sind. Kartons mit Apfelsinen, Äpfeln und Kartoffeln stapeln sich auf den Rücksitzen, die Kofferräume sind so hoch beladen, dass sie sich nicht mehr schließen lassen. Niemand stoppt die Händler, die ihre Fracht vermutlich auf Märkten in Jordanien oder in ihren eigenen Geschäften verkaufen. Das Leben in Jordanien ist so teuer, dass die Einkaufsfahrt in das vom Krieg zerstörte Syrien sich lohnt.
In einem Minibus fährt Abu Marwan zurück nach Amman. Der 82Jährige wurde in Damaskus geboren, lebt seit Jahrzehnten aber in den USA, wo er als erfolgreicher Ingenieur zu Ansehen und Reichtum gekommen ist. Er sei nach Syrien gekommen, um zu sehen, wie es dem Land gehe, sagt er. Weil der Westen sich weigere, Syrien beim Wiederaufbau zu helfen, werde er seine Ersparnisse investieren. Über den Bau eines Kindergartens, »die Renovierung einer Stadtteilklinik und einen Park« habe er bereits mit den Behörden gesprochen. Nun fahre er über Amman, Istanbul in die Vereinigten Staaten zurück. Im nächsten Jahr komme er wieder, »sofern ich gesund bleibe«.
Auf der anderen Seite, dort, wo man nach Syrien einreist, stehen Hunderte Fahrzeuge und warten. Die Reisenden drängeln sich in dichten Trauben vor der Passabfertigung, wer seinen Einreisestempel erhalten hat, wartet auf die anderen Mitreisenden. Die meisten Grenzgänger sind syrische Flüchtlinge, die aus Amman oder dem Lager Zaatari zurückkehren. Auf den Dachgepäckträgern der jordanischen Sammeltaxis stapeln sich ihre Habseligkeiten: Kartons mit Küchenutensilien, Koffer, Taschen, Matratzen, Decken und Teppiche.
Die 41-jährige Hiba stammt aus Deraa und kehrt mit ihrer siebenjährigen Tochter Raida zu ihrem Mann zurück. Sechs Jahre lang sei sie im Lager Zaatari gewesen und freue sich unbeschreiblich, endlich ihren Ehemann wiederzusehen, strahlt sie. Hilfe für die Rückkehr habe sie nicht erhalten. Um die Fahrten nach Amman zum syrischen Konsulat, die Gebühren für den »Laissez passer« und die Fahrt von Zaatari nach Deraa zu bezahlen, habe sie ihre Ersparnisse aufgebraucht: »Ich habe im Lager als Wäscherin gearbeitet, für einen Dinar pro Stunde.« Umgerechnet sind das 1,25 Euro.
Auch Yussef Amin kehrt mit seinen zwei Söhnen und seiner Frau nach Syrien zurück. Er habe Krebs, erzählt der Mittfünfziger, er wolle in seiner Heimat sterben.