Grimassenschneidertrübsal
In der Serie »Kidding« lässt Jim Carrey seine Spaßmacher-Karriere Revue passieren
Michel Gondry ist ein Erlöser. Schon als Regisseur kluger Musikvideos hat der Franzose den Pop vom Pathos befreit. Und gleich sein zweiter Langfilm holte einen lebenslang Verurteilten aus dem Knast kommerzieller Kunst. Bevor Jim Carrey im Liebesdrama »Vergiss mein nicht« brillierte, schien er dazu verdammt, nur den Fundus seiner Mimik zu variieren. Grimasse für Grimasse, Film für Film. Leider war sein erstes faxenfreies Werk nur ein Haftausflug. Bald geriet der Komiker erneut in Gefangenschaft und drehte Ulk um Ulk um Ulk.
14 Jahre nach seiner ersten Erlösung musste also erneut der Retter von einst ran. Das Ergebnis ist noch befreiender als der erste Versuch von 2004. In der Serie »Kidding« darf Jim Carrey Jim Carrey auf der Flucht vor Jim Carrey spielen. Sein Alter Ego nennt sich Jeff Piccirillo. Und so wie all die Dummschwätzer und Nervensägen das Kino-Werk seines Darstellers prägen, ist es im Fall des TV-Moderators dessen Kunstfigur Mr. Pickels. Generationen von Kindern hat der drollige Showmaster das Herz erwärmt. Wenn er in der Talkshow des (echten) Conan O’Brian sitzt und auf seiner Ukulele das Titellied der »Puppet Time« zum Besten gibt, singt nicht nur das Saalpublikum mit, sogar der Kameramann stimmt ein. Doch kaum ist die Melodie verklungen, kehrt Jeff in sein tristes Appartement zurück, wo er allein vorm Fernseher sitzt.
Der Alltag des hauptberuflichen Spaßvogels ist eben alles andere als lustig, seit seine Frau ihn nach dem Tod von einem der Zwillinge verlassen hat. Konfrontiert mit der Ödnis seiner Existenz, versucht Piccirillo sich von Pickles zu emanzipieren. »Ich möchte eine Sendung über den Tod machen«, bittet er den Produzenten (Frank Langella). Doch weil der zu- gleich sein Vater ist, antwortet der in distanzloser Sachlichkeit: »Dafür bist du noch nicht bereit!« Ende einer Diskussion – die natürlich erst jetzt richtig Fahrt aufnimmt.
Bald beginnt Jeff zu rebellieren. Er rasiert sich den Schädel, stalkt seine Ex, verliert bis an den Rand des Zynismus die Leichtigkeit und erzählt beim vermeintlichen Abstieg dennoch die Auferstehung eines Untergebutterten im Umfeld anderer Häftlinge des US-amerikanischen Suburbia. Jeffs Schwester Didi (Catherine Keener), ihre Tochter Maddie (Juliet Morris), deren Cousin Will (Cole Allen) und dessen Mutter Jill (Judy Greer) – im Kielwasser des Antihelden suchen auch sie alle plötzlich nach Sinn. Dafür verbrüdern sie sich schon mal mit Wespen, probieren Crack auf dem Friedhof oder schreien ihre Angst zwanghaft durch die Sprachlosigkeit ringsherum.
Die Absurdität der Coming-of-AgeGeschichten jeder Altersklasse macht »Kidding« somit zwar oft zur schrillen Clipshow im Stile von »Dirk Gentlys holistische Detektei«. Häufiger jedoch gerät die kollektive Sinnsuche zur stil- len Meditation über den Selbstbetrug unserer Gesellschaft. Und darin, sagt Showrunner Dave Holstein, sei der Märchenonkel Mr. Pickles »die letzte wahrhaft ehrliche Person des Fernsehens«. Vielleicht meint er damit ja auch ein wenig Hollywoods Grimassenschneider schlechthin. Jim Carrey darf hier schließlich zum letzten großen Selbstbefreiungsschlag ausholen. Denn Spaß, so zeigt sich in den ersten vier von zehn Folgen, kann ganz schön ernsthaft sein.