»Wir müssen international handeln«
Brasiliens in der Stichwahl unterlegener Präsidentschaftskandidat Fernando Haddad über den Kampf gegen rechts
Brasiliens rechtsradikaler Präsident Jair Bolsonaro tritt am 1. Januar sein Amt an. Doch schon jetzt fühlen sich ultrarechte Kräfte ermutigt,
Jagd auf progressive Aktivist*innen zu machen. In Deutschland bereiten Solidaritätsgruppen die Aufnahme vor. Der unterlegene Fernando Haddad von der Arbeiterpartei PT setzt auf demokratischen Widerstand. Fernando Haddad
Weshalb haben Sie Ihre erste Auslandsreise nach den brasilianischen Wahlen in die USA unternommen?
Ich wollte in erster Linie zuhören, was fortschrittliche Kräfte in den USA zu Präsident Donald Trump, rechtem Autoritarismus und Neoliberalismus zu sagen haben. Die USA haben als mächtigstes Land der amerikanischen Hemisphäre schon zwei Jahre Trump hinter sich, und die Opposition verfügt durchaus über interessante Vorstellungen. Besonders beeindruckt war ich von dem klugen Bernie Sanders und seinen Leuten von den Demokraten. Ich denke, dass sie realistische Konzepte haben, mit denen sich der rechte Populismus zurückschlagen lässt, ohne selbst zum Populisten zu werden. Mehr denn je bin ich nach den Gesprächen hier davon überzeugt, dass wir international handeln müssen. Denn die Probleme, denen wir gegenüberstehen, sind sich weltweit ziemlich ähnlich.
Wie würden Sie diese Probleme zusammenfassen? Die Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008 und deren politischen Folgen, die wir ernten. Die Verluste der Krise sind sozialisiert worden, ohne dass die Linke darauf eine Antwort hatte. Wir haben es hingenommen, dass die europäischen Sozialdemokratien und die nationalen Entwicklungsstrategien im globalen Süden kollabiert sind. Wir waren nicht vorbereitet auf die Krise. Wir wussten nicht frühzeitig genug um die Schwäche der bestehenden Strukturen und das Scheitern des Neoliberalismus. Wir wissen nicht mehr weiter. Das alles bereitete der extremen Rechten einen fruchtbaren Boden.
Auf der Skala von rechtspopulistisch bis faschistisch – wo würden Sie Bolsonaro einordnen? Ziemlich weit rechts. Aber ich bin mir nicht sicher, dass er seine Rhetorik auf Dauer so aufrechterhalten und in eine entsprechende Politik umsetzen kann. Nicht auszuschließen ist sogar,
Fernando Haddad trat bei Brasiliens Präsidentschaftswahlen für die Arbeiterpartei PT an und unterlag in der Stichwahl gegen den rechtsradikalen Jair Bolsonar. Der 55-Jährige studierte Jura und Philosophie und brachte es bis zum Professor an der renommierten Universität von São Paulo. 2012 gewann er überraschend die Bürgermeisterwahl in der 20-Millionen-Metropole São Paulo. Mit Haddad sprach in New York für »nd« Max Böhnel. dass er seine eigenen Vorstellungen wieder über den Haufen wirft. Denn Brasilien ist eine sehr komplizierte Gesellschaft. Er hat zwar die Unterstützung des Militärs und der ultrakonservativen Kirchen. Aber zu denken, Bolsonaros Wahlsieg – wir haben tatsächlich den schlimmsten aller zwölf Präsidentschaftskandidaten gewählt – bedeute den Durchmarsch des Rechtsextremismus und die Totalniederlage der Arbeiterpartei PT, greift zu kurz. Denn es gibt zahlreiche Spiel- und Handlungsräume, von denen aus sich seine Aktivitäten in die Schranken weisen lassen.
Welche Sektoren des brasilianischen Kapitals unterstützen ihn in erster Linie?
Die meisten stehen hinter ihm. Ganz vorne dabei ist die Finanzwelt, sind die Banken. Schon in der ersten Wahlrunde war das so. In der zweiten schlossen sich diese Sektoren noch weiter zusammen.
Ihre Partei, die PT, war viele Jahre an der Macht. Wann beginnt die Selbstkritik? Lassen Sie mich mit einem Bild aus dem Fußball antworten: Brasilien hat mehrere Weltmeisterschaften gewonnen, und jedes Mal, wenn das Team siegreich vom Platz gegangen ist, ohne sich dabei aber angestrengt zu haben, wurde es ausgepfiffen. Man muss sich auch in der Politik immer anstrengen und schwitzen, wenn man glaubwürdig sein will. Wir haben in wichtigen Teilen der Bevölkerung Sympathien eingebüßt und wurden abgestraft, weil wir das nicht mehr getan haben. Wir müssen uns unsere Glaubwürdigkeit wieder erarbeiten, zum Beispiel bei dem Drittel der Brasilianer, das evangelikalen Kirchen angehört. Allerdings stehen wir, und nicht nur die PT, in gewisser Weise noch unter dem Schock der Bolsonaro-Wahl.
»Wir haben es hingenommen, dass die europäischen Sozialdemokratien und die nationalen Entwicklungsstrategien im globalen Süden kollabiert sind.«
Nehmen Sie Bolsonaros Drohung, die Opposition aus Brasilien zu entfernen, persönlich ernst?
Um mich selber mache ich mir keine Sorgen. Sorgen mache ich mir um die Armen, die LGBTI-Menschen, um die Arbeiter- und Bürgerrechte und um die Umwelt.