Die Angst vor Bolsonaro geht um
Brasilien wird für viele Aktivisten und Aktivistinnen lebensgefährlich / Soligruppen in Deutschland wollen Brasilianer und Brasilianerinnen unterstützen
In Brasilien hetzt der zukünftige Präsident Jair Bolsonaro gegen soziale Bewegungen, viele Aktivist*innen stehen auf der Abschussliste. In Deutschland bereiten Solidaritätsgruppen die Aufnahme vor. Er schläft seit langer Zeit schlecht. In Bars geht er grundsätzlich nicht mehr. Nur selten läuft er draußen herum. Adriano Ferreira steht auf der Abschussliste – weil er sich für die Rechte von Kleinbäuerinnen engagiert. »Ich denke ständig daran, dass mein Leben plötzlich vorbei sein kann.«
Der Aktivist lebt im Bundesstaat Alagoas im Nordosten von Brasilien und ist Nationaldirektor der Kleinbäuer*innen-Bewegung MTC. Im November reiste er nach Deutschland: um kurz durchzuschnaufen. Um Kontakte zu knüpfen. Und um die Gewalt anzuklagen.
Seit der Wahl des rechtsradikalen Jair Bolsonaro Ende Oktober hat die Gewalt stark zugenommen. Ferreira meint: »Marginalisierte Gruppen, wie Schwarze, LGBTI, Indigene, Kleinbauern und Landlose, werden verfolgt.« In der Tat kam es in den Wochen nach der Wahl zu zahlreichen Übergriffen. Mehrere indigene Einrichtungen und Besetzungen von Landlosen wurden angegriffen. »Die Häufung von Gewalttaten am Volk der Guaraní-Kaiowá seit Beginn der 1990er Jahre bis zum heutigen Tag deuten darauf hin, dass die Angriffe sich bis hin zum Völkermord ausweiten könnten«, warnt MISEREORHauptgeschäftsführer Pirmin Spiegel. Gerade auf dem Land sind Aktivist*innen Zielscheibe von rechten Kräften.
Doch auch in den Städten geht die Angst vor Bolsonaro um. Lana de Souza ist Journalistin in der Favela Complexo do Alemão in Rio de Janeiro und hat das Medienkollektiv »Papo Reto« mit gegründet. Die Community-Journalist*innen dokumentieren Polizeigewalt in ihrem Stadtteil. Fast täglich kommt es dort zu Auseinandersetzungen zwischen Drogengangs und der Polizei, häufig sterben Unbeteiligte.
Allerdings hat die Gewalt in Brasilien nicht erst mit der Wahl Bolso- naros begonnen. Auch während der Regierungszeiten der Arbeiterpartei PT (2003-2016) starben jeden Tag arme Jugendliche im Kugelhagel.
Die Situation habe sich jedoch durch die Wahl von Bolsonaro verschärft. Dieser hat erklärt, politische Gegner verfolgen zu lassen, soziale Bewegungen als terroristische Vereinigungen einstufen zu lassen und der Polizei eine Lizenz zum Töten und Foltern zu geben. Ferreira meint: »Das Problem ist, dass die Anhänger von Bolsonaro die menschenverachtenden Forderungen ihres Idols umsetzen.« Bolsonaro verteidigt sich, dass er seine Anhänger*innen nicht kontrollieren könne. Diese müssen sich jedoch kaum Gedanken über die Konsequenzen ihrer Taten machen. So droht eine Legitimierung der Gewalt.
Gerade die Polizei mache Ferreira große Angst. Diese arbeite häufig mit Grundgrundbesitzer*innen, rechten Politiker*innen und reaktionären Milizen zusammen. Ein Beispiel? Vor kurzem habe die Polizei in Ferreiras Bundesstaat eine Gruppe von elf Jugendlichen hingerichtet. Die Jugendlichen hatten eine Bank ausgeraubt, waren aber unbewaffnet, als die Polizei eintraf. Es gab keine Autopsie, die Jugendlichen wurden direkt beerdigt. Ein Politiker, der eine Aufklärung der Ereignisse forderte, erhielt Morddrohungen.
Ferreira und de Souza sind mit einem klaren Ziel nach Deutschland gekommen. »Die Unterstützung aus dem Ausland ist sehr wichtig. Wir brauchen kritische Stimmen gegen den Faschismus in Brasilien«, meint Ferreira. De Souza sagt: »Die Zusammenarbeit mit internationalen Partnern ist sehr wichtig für unsere Arbeit. »In Deutschland organisieren sich Solidaritätsgruppen, viele Fäden laufen bei der Kooperation Brasilien (KoBra) zusammen. Seit knapp 30 Jahren besteht das Netzwerk der Brasilien-Solidarität und bringt verschiedene Organisationen und Aktivist*innen zusammen. Fabian Kern arbeitet in der Geschäftsstelle von KoBra: »Unsere Partner befürchten nicht nur, eingesperrt zu werden, sondern auch ihre finanzielle Grundlage ist bedroht.« Daher sei es enorm wichtig, brasilianische Bewegungen auch finanziell zu unterstützen.
Mehr noch: Auch auf die Bundesregierung müsse Druck ausgeübt werden. Brasilien ist ein strategischer Partner von Deutschland, im Frühjahr werden brasilianische Minister zum Austausch nach Deutschland kommen. Auch der Druck auf deutsche Unternehmen sei fundamental. Brasilien ist der wichtigste Handelspartner von Deutschland in Lateinamerika, mehr als 1400 deutsche Unternehmen sind dort angesiedelt. Diese äußerten sich überaus wohlwollend über den Wahlsieg des Rechtsradikalen. Die deutsche Außenhandelskammer mit Sitz zeigte sich erfreut darüber, dass ein Wirtschaftsliberaler an die Macht kommt, die Deutsche Bank nannte Bolsonaro den »Wunschkandidaten der Märkte«. Kern meint: »Das müssen wir skandalisieren und kritisch intervenieren.«
Und wie geht es nun weiter für die Solidaritätsbewegung? Zwar hoffe man bei KoBra, dass es nicht so schlimm komme, wie von vielen befürchtet wird. Jedoch will man auf das Schlimmste vorbereitet sein. Laut Kern hätten sich Aktivist*innen aus Brasilien gemeldet, die das Land verlassen müssen oder diese Gefahr als so wahrscheinlich einstufen, dass sie einen Reisepass beantragen, um im Fall der Fälle schnell ein Flugzeug besteigen zu können. Brasilianer*innen, die bereits in Deutschland wohnen oder zu Besuch sind, wollen nicht zurück. »Wir wollen Leuten ermöglichen, das Land zu verlassen, wenn es brenzlig wird.« Dafür hat KoBra nach der Wahl ein Formular eingerichtet, in das sich Menschen in Deutschland, Österreich und der Schweiz eintragen konnten, die bereit wären, Brasilianer*innen auf der Flucht zu unterstützen. Die Resonanz war riesig, mehr als 500 Menschen haben sich in nur einer Woche gemeldet. Nun werde daran gearbeitet, wie sich dies konkret umzusetzen lässt.
Und wie geht es für den Aktivisten Ferreria weiter? »Wenn es nach mir ginge, würde ich auch in Brasilien sterben. Aber ich habe eine Frau und eine Tochter, deshalb spielt man schon mit dem Gedanken zu fliehen.« Kurz denkt er nach und sagt: »Aber ob ich nächstes Jahr noch am Leben bin, weiß ich sowieso nicht.«