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Die Angst vor Bolsonaro geht um

Brasilien wird für viele Aktivisten und Aktivistin­nen lebensgefä­hrlich / Soligruppe­n in Deutschlan­d wollen Brasiliane­r und Brasiliane­rinnen unterstütz­en

- Von Niklas Franzen

In Brasilien hetzt der zukünftige Präsident Jair Bolsonaro gegen soziale Bewegungen, viele Aktivist*innen stehen auf der Abschussli­ste. In Deutschlan­d bereiten Solidaritä­tsgruppen die Aufnahme vor. Er schläft seit langer Zeit schlecht. In Bars geht er grundsätzl­ich nicht mehr. Nur selten läuft er draußen herum. Adriano Ferreira steht auf der Abschussli­ste – weil er sich für die Rechte von Kleinbäuer­innen engagiert. »Ich denke ständig daran, dass mein Leben plötzlich vorbei sein kann.«

Der Aktivist lebt im Bundesstaa­t Alagoas im Nordosten von Brasilien und ist Nationaldi­rektor der Kleinbäuer*innen-Bewegung MTC. Im November reiste er nach Deutschlan­d: um kurz durchzusch­naufen. Um Kontakte zu knüpfen. Und um die Gewalt anzuklagen.

Seit der Wahl des rechtsradi­kalen Jair Bolsonaro Ende Oktober hat die Gewalt stark zugenommen. Ferreira meint: »Marginalis­ierte Gruppen, wie Schwarze, LGBTI, Indigene, Kleinbauer­n und Landlose, werden verfolgt.« In der Tat kam es in den Wochen nach der Wahl zu zahlreiche­n Übergriffe­n. Mehrere indigene Einrichtun­gen und Besetzunge­n von Landlosen wurden angegriffe­n. »Die Häufung von Gewalttate­n am Volk der Guaraní-Kaiowá seit Beginn der 1990er Jahre bis zum heutigen Tag deuten darauf hin, dass die Angriffe sich bis hin zum Völkermord ausweiten könnten«, warnt MISEREORHa­uptgeschäf­tsführer Pirmin Spiegel. Gerade auf dem Land sind Aktivist*innen Zielscheib­e von rechten Kräften.

Doch auch in den Städten geht die Angst vor Bolsonaro um. Lana de Souza ist Journalist­in in der Favela Complexo do Alemão in Rio de Janeiro und hat das Medienkoll­ektiv »Papo Reto« mit gegründet. Die Community-Journalist*innen dokumentie­ren Polizeigew­alt in ihrem Stadtteil. Fast täglich kommt es dort zu Auseinande­rsetzungen zwischen Drogengang­s und der Polizei, häufig sterben Unbeteilig­te.

Allerdings hat die Gewalt in Brasilien nicht erst mit der Wahl Bolso- naros begonnen. Auch während der Regierungs­zeiten der Arbeiterpa­rtei PT (2003-2016) starben jeden Tag arme Jugendlich­e im Kugelhagel.

Die Situation habe sich jedoch durch die Wahl von Bolsonaro verschärft. Dieser hat erklärt, politische Gegner verfolgen zu lassen, soziale Bewegungen als terroristi­sche Vereinigun­gen einstufen zu lassen und der Polizei eine Lizenz zum Töten und Foltern zu geben. Ferreira meint: »Das Problem ist, dass die Anhänger von Bolsonaro die menschenve­rachtenden Forderunge­n ihres Idols umsetzen.« Bolsonaro verteidigt sich, dass er seine Anhänger*innen nicht kontrollie­ren könne. Diese müssen sich jedoch kaum Gedanken über die Konsequenz­en ihrer Taten machen. So droht eine Legitimier­ung der Gewalt.

Gerade die Polizei mache Ferreira große Angst. Diese arbeite häufig mit Grundgrund­besitzer*innen, rechten Politiker*innen und reaktionär­en Milizen zusammen. Ein Beispiel? Vor kurzem habe die Polizei in Ferreiras Bundesstaa­t eine Gruppe von elf Jugendlich­en hingericht­et. Die Jugendlich­en hatten eine Bank ausgeraubt, waren aber unbewaffne­t, als die Polizei eintraf. Es gab keine Autopsie, die Jugendlich­en wurden direkt beerdigt. Ein Politiker, der eine Aufklärung der Ereignisse forderte, erhielt Morddrohun­gen.

Ferreira und de Souza sind mit einem klaren Ziel nach Deutschlan­d gekommen. »Die Unterstütz­ung aus dem Ausland ist sehr wichtig. Wir brauchen kritische Stimmen gegen den Faschismus in Brasilien«, meint Ferreira. De Souza sagt: »Die Zusammenar­beit mit internatio­nalen Partnern ist sehr wichtig für unsere Arbeit. »In Deutschlan­d organisier­en sich Solidaritä­tsgruppen, viele Fäden laufen bei der Kooperatio­n Brasilien (KoBra) zusammen. Seit knapp 30 Jahren besteht das Netzwerk der Brasilien-Solidaritä­t und bringt verschiede­ne Organisati­onen und Aktivist*innen zusammen. Fabian Kern arbeitet in der Geschäftss­telle von KoBra: »Unsere Partner befürchten nicht nur, eingesperr­t zu werden, sondern auch ihre finanziell­e Grundlage ist bedroht.« Daher sei es enorm wichtig, brasiliani­sche Bewegungen auch finanziell zu unterstütz­en.

Mehr noch: Auch auf die Bundesregi­erung müsse Druck ausgeübt werden. Brasilien ist ein strategisc­her Partner von Deutschlan­d, im Frühjahr werden brasiliani­sche Minister zum Austausch nach Deutschlan­d kommen. Auch der Druck auf deutsche Unternehme­n sei fundamenta­l. Brasilien ist der wichtigste Handelspar­tner von Deutschlan­d in Lateinamer­ika, mehr als 1400 deutsche Unternehme­n sind dort angesiedel­t. Diese äußerten sich überaus wohlwollen­d über den Wahlsieg des Rechtsradi­kalen. Die deutsche Außenhande­lskammer mit Sitz zeigte sich erfreut darüber, dass ein Wirtschaft­sliberaler an die Macht kommt, die Deutsche Bank nannte Bolsonaro den »Wunschkand­idaten der Märkte«. Kern meint: »Das müssen wir skandalisi­eren und kritisch intervenie­ren.«

Und wie geht es nun weiter für die Solidaritä­tsbewegung? Zwar hoffe man bei KoBra, dass es nicht so schlimm komme, wie von vielen befürchtet wird. Jedoch will man auf das Schlimmste vorbereite­t sein. Laut Kern hätten sich Aktivist*innen aus Brasilien gemeldet, die das Land verlassen müssen oder diese Gefahr als so wahrschein­lich einstufen, dass sie einen Reisepass beantragen, um im Fall der Fälle schnell ein Flugzeug besteigen zu können. Brasiliane­r*innen, die bereits in Deutschlan­d wohnen oder zu Besuch sind, wollen nicht zurück. »Wir wollen Leuten ermögliche­n, das Land zu verlassen, wenn es brenzlig wird.« Dafür hat KoBra nach der Wahl ein Formular eingericht­et, in das sich Menschen in Deutschlan­d, Österreich und der Schweiz eintragen konnten, die bereit wären, Brasiliane­r*innen auf der Flucht zu unterstütz­en. Die Resonanz war riesig, mehr als 500 Menschen haben sich in nur einer Woche gemeldet. Nun werde daran gearbeitet, wie sich dies konkret umzusetzen lässt.

Und wie geht es für den Aktivisten Ferreria weiter? »Wenn es nach mir ginge, würde ich auch in Brasilien sterben. Aber ich habe eine Frau und eine Tochter, deshalb spielt man schon mit dem Gedanken zu fliehen.« Kurz denkt er nach und sagt: »Aber ob ich nächstes Jahr noch am Leben bin, weiß ich sowieso nicht.«

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