Afrikas vergessener Konflikt
Marokko und POLISARIO sprechen in Genf über Zukunft des Territoriums Westsahara
Die Konfliktparteien in der Westsahara-Krise beraten ab dem heutigem Mittwoch in Genf über die Zukunft des Territoriums. Moderator ist Ex-Bundespräsident Köhler. Nach sechs Jahren Funkstille treffen sich heute in Genf Vertreter Marokkos und der sahrauischen Befreiungsfront POLISARIO, um über die Zukunft der Westsahara zu reden. Es sind die ersten direkten Gespräche nach mehreren ergebnislos gebliebenen Begegnungen, zuletzt 2012. Das zweitägige Treffen findet unter der Ägide von Altbundespräsident Horst Köhler statt, der seit gut einem Jahr Sonderbeauftragter des UN-Generalsekretärs für die Westsahara ist. Als Beobachter nehmen zudem Repräsentanten Algeriens und Mauretaniens teil.
Das 266 000 Quadratkilometer große Gebiet am Atlantik ist die letzte Kolonie auf dem afrikanischen Kontinent. Bei den Gesprächen geht es um das Schicksal der Sahrauis, von denen etwa 600 000 im größeren, von Marokko besetzten Teil sowie etwa 160 000 in Flüchtlingslagern nahe der algerischen Stadt Tindouf leben. Die POLISARIO kämpft seit 1975 für die Unabhängigkeit der Westsahara.
Damals hatte Spanien dort seine Kolonialherrschaft aufgegeben, worauf das im Norden angrenzende Marokko und das im Süden liegende Mauretanien Ansprüche auf das an Bodenschätzen reiche Territorium erhoben. Als marokkanische Truppen das Gebiet gewaltsam besetzten, flohen Zehntausende Sahrauis ins Nachbarland Algerien. Die algerische Regierung nahm die Flüchtlinge auf, die seitdem auf die Hilfe der Vereinten Nationen und internationaler Hilfsorganisationen angewiesen sind. Auch die 1976 von der POLISARIO ausgerufene Demokratische Arabische Sahara-Republik hat ihren Sitz bei Tindouf.
Während sich Mauretanien 1979 aus dem Konflikt zurückzog, okkupiert Marokko mittlerweile zwei Drittel des Gebietes, das durch einen 2500 Kilometer langen Sandwall geteilt ist. Durch umfangreiche Investitionen in die Infrastruktur sowie die Ansiedlung von Marokkanern hat Rabat vollendete Tatsachen geschaffen. Die POLISARIO kritisiert die Ausbeutung der Ressourcen durch marokkanische und internationale Unternehmen, denn völkerrechtlich gilt die Westsahara als »Hoheitsgebiet ohne Selbstregierung«. Die UNO verabschiedete 1991 einen Friedensplan, der den Konflikt beilegen soll. Einziges konkretes Ergebnis ist bisher al- lerdings ein Waffenstillstand zwischen Marokko und der POLISARIO.
Über dessen Einhaltung soll die UN-Friedenstruppe MINURSO wachen, die auf beiden Seiten der militärischen Demarkationslinie präsent ist. Der Grenzwall ist eines der am stärksten mit Minen verseuchten Gebiete der Welt. 2500 Menschen sollen dem bereits zum Opfer gefallen sein. Zu den Aufgaben der MINURSO gehört daher auch die Kampfmittelräumung. Indes konnte die Mission die in ihrem Namen »UN-Mission für ein Referendum in der Westsahara« verankerte Aufgabe bislang nicht er- füllen, da es bisher keine Einigung über die Abstimmung gibt. Das Votum über Selbstbestimmung oder Zugehörigkeit zu Marokko sollte schon Ende 1991 stattfinden, scheiterte jedoch am Widerstand des Königreiches. Rabat forderte die Aufnahme von zusätzlichen Stimmberechtigten, die aus Marokko in der Westsahara angesiedelt wurden. Obwohl die POLISARIO einem erneuten Identifizierungsprozess der Wahlberechtigten zustimmte, hat das Referendum bis heute nicht stattgefunden.
Ende Oktober hat der UN-Sicherheitsrat das Mandat der MINURSO um weitere sechs Monate verlängert. Damit sei der Bedeutung einer »realistischen, praktikablen und dauerhaften politischen Lösung« Rechnung getragen worden. Während die POLISARIO aber die Unabhängigkeit anstrebt, steht für Rabat die »Marokkanität« der Westsahara nicht zur Disposition. Am Versuch, diese verhärteten Fronten aufzuweichen, haben sich alle Vorgänger vom jetzigen Sonderbeauftragten die Zähne ausgebissen. Die Konfliktparteien so schnell nach Amtsübernahme zusammengebracht zu haben, ist für Köhler allerdings schon ein großer Erfolg.