Wo die Fahnen wehen
Nationaltheater Weimar führt Alfred Döblins »November 1918« auf
Politisch Lied, ein garstig Lied – so lässt Goethe die Saufkumpanen in Auerbachs Keller lästern. Politisches Theater, mutiges Theater, so ist man versucht, heute zu ergänzen. Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht auf der Bühne zum Leben zu erwecken und die Nahaufnahmen der führenden Sozialdemokraten Friedrich Ebert und Philipp Scheidemann danebenzustellen, gehört durchaus dazu.
Das Deutsche Nationaltheater Weimar hat sich mit einem ambitionierten Gemeinschaftsprojekt von Schauspielsparte, Chor und Staatskapelle (samt Rahmenprogramm) zum 100-jährigen Jubiläum der Novemberrevolution angenommen. Und dazu Alfred Döblins (1878 – 1957) in der zeitlichen und räumlichen Distanz im französischen und amerikanischen Exil von 1937 – 1943 verfasstes, erst nach dem Zweiten Weltkrieg erschienenes Romanepos »November 1918« auf die Bühne gebracht. 2000 Seiten als Vorlage für viereinhalb Bühnenstunden.
Regisseur André Bücker lässt über weite Strecken Text referieren und versucht dabei, verschiedene Theatermittel vorzuführen. Durchaus mit starken Momenten. Vor allem in der Musik, die der Erste Kapellmeister der Staatskapelle, Stefan Lano, zum Teil eigens komponiert und mit politisch treffsicheren Zitaten kombiniert hat. Sie reichen von den klassischen Arbeiterliedern über das Deutschlandlied bis zu Freikorpsliedern auf der anderen Seite der Barrikade. Damit behauptet sich der von Jens Petereit ein- studierte Chor mit Inbrunst auch szenisch. Dazu Lanos Rilke-Lieder, die Heike Porstein als geflügelter Engel wie aus einer anderen Welt beiträgt, eine Dosis Mendelssohn, Bach und Wagner. Dessen Liebestod bleibt dann auch kurz vor Mitternacht über dem Schlussbild hängen.
Da sitzt der Kriegsheimkehrer Friedrich Becker, in sich selbst »geflohen« und einsam, auf der einen Seite, während der Engel lässig danebensteht, aber eine Kopfwunde hat. Hinten taucht Beckers ehemaliger Kriegskamerad Maus auf. Der, der erst mit Feuereifer zu den Revolutionären wollte und dann genau auf der anderen Seite gelandet ist, posiert mit Frau, Kinderwagen und Hakenkreuzbinde überm Braunhemd als Symbol für die drohende »neue« Zeit. Man kann das für eine Überdosis Didaktik halten, denn das aus dem, was man davor gesehen hatte, nichts Gutes erwachsen würde, das war schon klar.
Dieser Ludwig Becker (Max Landgrebe) und sein Freund/Feind Maus (Thomas Kramer) ringen mit spürbarer Anstrengung mit ihren Textmassen. Mehr Erfolg dabei haben die eher sarkastisch kommentierenden Schlitzohren in der Geschichte, Brose und Motz, die bei Sebastian Nakajew und (mehr noch) Sebastian Kowski in mephistophelisch sicheren Händen sind. Deren Blick aufs Leben und die Zeitläufte konterkariert das Seminarund Versammlungsdeutsch, mit dem Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht klarkommen müssen und an dem Johanna Geißler und Markus Lerch letztlich scheitern. Vollends als alberne Witzfiguren kommen Friedrich Ebert und Philipp Scheidemann daher. Von den uniformierten Repräsentanten des untergegangenen Kaiserreichs ganz zu schweigen.
Die Bühne von Jan Steigert, in der das alles passiert, gehört allerdings auf die Habenseite des Abends. Expressionistisch angehaucht, kann sie auf der Drehbühne von der Fabrikfassade mit rauchendem Schornstein mühelos zum Lazarett oder Versammlungsraum, hier eine Bühne fürs Politik-Theater, wechseln. Die freihängenden Fenster ermöglichen Projektionen hauptsächlich der Originalporträts und Demoszenen jenes bewegten Novembers vor einhundert Jahren.
Das Weimarer Großprojekt hat starke Momente, trägt aber schwer an seiner eigenen Ambitioniertheit, weil die sich häufig vor dessen künstlerische Form drängelt. Das Premierenpublikum hielt durch und würdigte die Anstrengung aller (auch die eigene) mit freundlichem Applaus.
Vollends als alberne Witzfiguren kommen Friedrich Ebert und Philipp Scheidemann daher. Von den uniformierten Repräsentanten des untergegangenen Kaiserreichs ganz zu schweigen.
Nächste Aufführungen: 6. und 22. Dezember, 4. Januar.