Wüste und Wellness
Die Welt ist ein Dorf – mit Flüchtlingsheim? Günter de Bruyns Buch »Der neunzigste Geburtstag«
Das Widerständige in der Kunst liegt im Erzählen dessen, was wir gern verbergen – in angstvoller Bequemlichkeit oder aggressiver Verstocktheit. Woraus wächst jene multikulturelle Verzückung, die nicht ohne Verachtung des Eigenen auskommen will? Muss man Angst haben vor einer gottlosen Gesellschaft? Und hat die notwendige Korrektur kolonialer Sprache nicht auch schon wieder etwas elend Dogmatisches?
Der Schriftsteller Günter de Bruyn war nie ein Mann des Marktes, des Meinungsgestöbers. Es ist seit Langem so, als habe der brandenburgisch Beheimatete viel märkischen Sand in die Uhr seiner Schreib-Zeit gefüllt – auch in diesem Buch rinnen die feinen Körner, sie rinnen mit je- ner Ruhe, die diesem Autor eigen ist, zum Grund. Der Scheue, Trauernahe, der so dünnhäutig wirkt, »weder zum Helden noch zum Diskuswerfer geboren« (Monika Maron) – er hat nach über dreißig Jahren wieder einen Roman vorgelegt: »Der neunzigste Geburtstag«.
Der ist eine Versuchsanordnung ganz aus Innigkeit und Demut, aus Wegrändern und Seeufern. Aber doch befeuert von jenen anfangs erwähnten Fragen, die unmittelbar ins Gegenwärtige, ins Brodelnde zielen – eine abgeschiedene Gemeinde als politischer Themenpark.
Hedwig Leydenfrost geht ihrem hohen Geburtstag entgegen. Nicht persönliche Geschenke sollen sie beglücken, sondern Spenden: Im beschaulichen Wittenhagen möge ein Heim für junge Flüchtlinge entstehen. Das Gutshaus, zurückgekauft nach dem Ende der DDR, ist Alterssitz der einstigen APO- und GrünenAktivistin. Leonhardt, Bruder der Jubilarin, der im Arbeiter-und-MauernStaat als Bibliothekar überwinterte, ist der strenge Kommentator aktueller Um- und Zustände, und sein spöttisch unabhängiger Geist schiebt ihn rasch und folgerichtig in den Verdacht des nölenden Rechten – dies behauptet ausgerechnet seine eigene Tochter.
Es ist die Zeit nach 2015, nach Angela Merkels »Wir schaffen das!« Was woanders der Stammtisch sein mag, ist hier der Friseursalon. Verwandte und Bekannte Hedwigs aus Ost und West strafen Lügen, was der Autor zum ironischen Untertitel des Buches erhob: »Ein ländliches Idyll«. Und Ironie durchperlt alle Passagen. Da ist der ehemalige Stasi-Mann als parteiwendiges Stehaufmännchen: Opportunismus, genannt Lernprozess, und »Lernprozesse erzeugen keine Gewissensbisse«. Da ist Jugend, die auf ihren Computern alle Katastrophen bis ins Kleine durchspielen kann – nur eben die Tränen nicht.
Da ist Erinnerung an die Nazizeit und also Warnung vor jener allzeitlichen Verführungskraft, die von geschichtlichen Heilsversprechen ausgeht. Da ist zudem eine junge Journalistin, die ihre Freude über die