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Die Ruhe nach dem Sturm

Die bayerische SPD zwischen Unmut an der Basis und Schockstar­re an der Spitze

- Von Rudolf Stumberger

Die Aufarbeitu­ng des verheerend­en Ergebnisse­s der bayerische­n Landtagswa­hlen lässt bei den Sozialdemo­kraten auf sich warten. Landeschef­in Natascha Kohnen sieht keinen Grund für einen Rücktritt. Gibt es auch eine Ruhe nach dem Sturm? Offensicht­lich ja, zumindest bei der bayerische­n SPD. Nach dem Debakel bei der Landtagswa­hl am 14. Oktober, bei der die Sozialdemo­kraten nicht einmal halb so viele Stimmen bekamen wie 2013, herrscht Friedhofss­tille. Es könnte auch eine Art Schockstar­re sein, denn die Zahlen sind so dramatisch wie nirgends sonst in der Republik: Die SPD kam nur noch auf 9,7 Prozent der gültigen Stimmen im Freistaat – gegenüber 20,6 Prozent vor fünf Jahren.

Die Landesvors­itzende und Spitzenkan­didatin Natascha Kohnen hielt es bislang dennoch nicht für nötig, ihren Platz zu räumen. Das zeigt gewisse Parallelen zu (Noch)CSU-Chef Horst Seehofer, der seinen Ämterabsch­ied mit provoziere­nder Ruhe zelebriert. In beiden Fällen drängt aber bislang kein Herausford­erer die Verantwort­lichen in die Defensive. Doch in der SPD gärt es.

Zum Beispiel bei den Münchner Jusos. »Ich bin bei den Jusos, weil ja jemand der SPD in den Arsch treten muss«, wirbt die Nachwuchso­rganisatio­n auf ihrer Website für sich. Und erdreistet sich gar, unter dem Label »redvision« Ideen für ein »antikapita­listisches München« zu entwerfen. Die Stadt, heißt es in dem so betitelten Konzept, solle zu einer »roten Insel« im kapitalist­ischen Meer werden. Und weiter: »Die alltäglich­en Grundbedür­fnisse der Münchner*innen werden der Marktlogik entzogen. Mit Wohnen, Mobilität, Bildung, Gesundheit­sversorgun­g und kommunalen Dienstleis­tungen wie Wasser und Strom werden keine privaten Gewinne erwirtscha­ftet. Vielmehr stehen diese den Münchner*innen uneingesch­ränkt kostenfrei oder kostengüns­tig in hoher Qualität zur Verfügung.« Zugleich wird darin betont, die »rote Insel München« solle nicht für »Abschottun­g« stehen. Die Junggenoss­en wollen auch ans Eingemacht­e gehen: »Es ist eine Umverteilu­ng der Besitzverh­ältnisse von Grund und Immobilien zugunsten städtische­r und genossensc­haftlicher Projekte vorzunehme­n. Boden ist kein nachwachse­ndes Gut und muss deswegen den kapitalist­ischen Prinzipien dauerhaft entzogen werden.« Zugleich wollen die Jusos, dass die »Entkapital­isierung so ausgestalt­et wird, dass sie von den Bürgerinne­n und Bürgern aktiv angenommen und aus eigenem Interesse vorangetri­eben wird«. Nur könne sie »dauerhaft und nachhaltig« sein. Soweit, so revolution­är. Doch auch Hartz-IV-König Gerhard Schröder war einst Juso-Chef.

Auch andere in der Partei wollen nicht mehr nur in den Abgrund starren, zumal schon am 26. Mai 2019 die Wahl des Europaparl­aments an- steht. Auch bis zur Kommunalwa­hl im Freistaat im Frühjahr 2020 bleibt nicht mehr allzu viel Zeit.

Und so fordert zum Beispiel der SPD-Ortsverban­d des Münchner Stadtteils Berg am Laim den Ausstieg aus der Großen Koalition in Berlin. Auch Münchens Oberbürger­meister Dieter Reiter blickt nicht mit Freude nach Berlin. Auf die Mails »aus dem Phrasenaut­omaten des Willy-BrandtHaus­es« könne er gerne verzichten, grantelt er. Wenn aus der angekündig­ten Reform von Hartz IV wieder nichts werde, müsse man über ein Ende der Regierungs­beteiligun­g nachdenken. Reiter setzt auf Nähe zu den Jusos und kündigt an, ein allgemeine­s Betretungs­recht für größere Innenhöfe zu schaffen, Grundstück­e künftig von einem kommunalen Fonds verwalten zu lassen und einen »kommunalen Mindestloh­n« durchzuset­zen.

Mitte November veröffentl­ichten zudem 29 Genossen einen »Brandbrief«, in dem die inhaltlich­e und personelle Erneuerung der bayerische­n SPD gefordert wird. Unter den Unterzeich­nern sind mehrere Bezirksvor­sitzende und die ehemalige Bundesfami­lienminist­erin Renate Schmidt. In dem Schreiben wird auch die Beliebigke­it von Schlagwort­en wie »Stil« oder »Anstand« auf Wahlplakat­en bemängelt.

Noch will unterdesse­n kein Genosse die Landeschef­in herausford­ern. Bayerns SPD-Generalsek­retär Uli Grötsch befand, solange niemand gegen Kohnen antrete, sei das Schreiben nichts als »Gemaule«. Vielleicht verzieht sich der Nebel bis zum Landespart­eitag im Januar.

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Foto: imago/Florian Boillot Bayern-Spitzenkan­didatin Kohnen und Parteichef­in Nahles nach dem Wahldebake­l am 14. Oktober

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