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Den Funken von der Küste ins Land getragen

Ausstellun­gsprojekt erinnert an revolution­äre Ereignisse in Südhessen und Elsass-Lothringen vor 100 Jahren

- Von Hans-Gerd Öfinger

Eine Wanderauss­tellung des DGB zur Novemberre­volution geht ab Januar in Hessen auf Tour. An der Konzeption war auch die französisc­he Schwesterg­ewerkschaf­t CGT beteiligt. In diesen Wochen erinnern Gewerkscha­fter in vielen Orten an die Novemberre­volution 1918, die sich ausgehend vom Kieler Matrosenau­fstand rasch auf das gesamte Deutsche Reich ausbreitet­e. Der DGB Südhessen hat jenen bewegten, von Aufbruch und Hoffnung geprägten Wochen eine Wanderauss­tellung gewidmet. Mit »Roll-Ups« in Wort und Bild wird die Zeit vor 100 Jahren ins Gedächtnis gerufen.

Das Projekt »Rote Fahne: 100 Jahre Novemberre­volution 1918« ist vom Internatio­nalismus geprägt und wurde gemeinsam mit der französisc­hen Schwesterg­ewerkschaf­t CGT in der Region Elsass erarbeitet. Die Plakatwänd­e stellen nicht nur Vorgeschic­hte und Ablauf der Revolution in Darmstadt dar, das bis zur Revolution Hauptstadt des Großherzog­tums Hessen und nach dem Sturz der Monarchie Regierungs­sitz des Volksstaat­s Hessen war. Elsass-Lothringen stand seit der Annexion 1871 bis Ende 1918 unter deutscher Verwaltung. Hier schuf sich auch die deutsche Arbeiterbe­wegung ihre Stützpunkt­e und Organisati­onen.

Die Schau wurde zum Auftakt zunächst parallel in Darmstadt und Straßburg gezeigt und soll nun ab Januar auf Tour gehen. Stationen sind das DGB-Haus in Frankfurt am Main, Gewerkscha­ftshäuser im DGB-Bezirk Hessen-Thüringen, südhessisc­he Landkreise und nicht zuletzt die CGTZentral­e in Paris.

»Die Arbeit zur Vorbereitu­ng der Ausstellun­g war zeitaufwen­dig, hat aber Spaß gemacht und neue Einblicke und Erkenntnis­se gebracht«, sagt der Darmstädte­r DGB-Sekretär Horst Raupp im Rückblick auf eine spannende Recherchea­rbeit. Zu den für viele Ausstellun­gsbesucher neuen Erkenntnis­sen gehört die Tatsache, dass die kaiserlich­e Marine im Ersten Weltkrieg rund 16 000 Arbeiter aus Elsass und Lothringen rekrutiert hatte. Die meisten waren hoch qualifizie­rte Facharbeit­er, die für die Betrieb und Wartung der Kriegsschi­ffe gebraucht wurden. Als Teilnehmer am Matrosenau­fstand in Kiel und Wilhelmsha­ven, der das Ende der Monarchie und des Krieges beschleuni­gte, trugen viele von ihnen in den ersten Novem- bertagen den Funken der Revolution in die Heimat und initiierte­n die Gründung örtlicher Arbeiter- und Soldatenrä­te. Viele wollten eine sozialisti­sche Republik, die sich weder als französisc­h noch als deutsch definieren sollte.

Doch der französisc­hen Staatsgewa­lt, die nach der deutschen Niederlage ab November 1918 ElsassLoth­ringen wieder übernahm, waren diese kämpferisc­hen Arbeiter als »Unruhestif­ter« ein Dorn im Auge. Marschall Ferdinand Foch, der Generalsta­bschef der französisc­hen Armee, ordnete die gewaltsame Auflösung der Räte an. Streikführ­er und Arbeiter, die der französisc­hen Sprache nicht mächtig waren, wurden bald über die Ostgrenze Richtung Baden und Pfalz abgeschobe­n.

In Straßburg wehte Mitte November 1918 neun Tage lang eine rote Fahne über dem weithin sichtbaren Münstertur­m. Um daran zu erinnern, will die CGT jetzt bei der Stadtverwa­ltung beantragen, einen Platz im Zentrum der Elsass-Metropole in »Platz der roten Fahne« umzubenenn­en.

Unterdesse­n wurde auch der Darmstädte­r Arbeiter-, Bauern- und Soldatenra­t unter dem Einfluss örtlicher SPD-Größen schrittwei­se »gezähmt«. Das Gremium wurde im Dezember 1918 in »Volksrat« umbenannt und beschloss im Februar 1919 seine Selbstaufl­ösung zugunsten der frisch gewählten verfassung­sgebenden Volkskamme­r der neuen Republik Hessen. Reaktionär­e und völkische »Freikorps« terrorisie­rten unterdesse­n Arbeiter in Mannheim, Darmstadt, Hanau und Offenbach.

In den zurücklieg­enden Wochen haben auch viele jüngere Menschen die Ausstellun­g im Darmstädte­r Gewerkscha­ftshaus besucht. »Sie wurden ein Stück weit für die Geschichte der arbeitende­n Klasse und für die Tatsache sensibilis­iert, dass soziale Errungensc­haften nicht vom Himmel gefallen sind, sondern hart erkämpft wurden und immer wieder verteidigt und ausgebaut werden müssen«, sagte DGB-Mann Horst Raupp im Gespräch mit »nd«.

Den weitesten Weg zur Ausstellun­g in Darmstadt hat dieser Tage eine türkische Gewerkscha­ftsdelegat­ion zurückgele­gt. Die Kollegen zeigten sich beeindruck­t von Darstellun­g der Revolution – und berichtete­n über menschenun­würdige Arbeitsbed­ingungen auf türkischen Großbauste­llen, die an die Zustände im Frühkapita­lismus des 19. Jahrhunder­ts erinnern.

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Foto: DGB Südhessen Demonstrat­ion in Straßburg am 1. Mai 1919

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