Freie Fahrt für Finanzspekulanten
Regierungen verirren sich auf dem Weg, riskante Geldgeschäfte zu besteuern
Die Finanztransaktionssteuer sollte einmal die Finanzmärkte zähmen. Nach und nach stiegen EU-Staaten aus. Zuletzt blieb eine Mini-Reform. Doch nicht einmal darauf konnten sich die Finanzminister einigen. Bundesfinanzminister Olaf Scholz gab sich vorab optimistisch. Man werde sich »irgendwann in der Nacht verständigen«. Es kam anders. Als die Nacht auf Dienstag vorüber war, hatten die Euro-Finanzminister sich erneut nicht auf eine Steuerreform für Spekulationsgeschäfte einigen können. Nach dem weitgehend enttäuschenden G20-Gipfel in Argentinien eine weitere herbe Schlappe für den SPD-Politiker. Dabei hatte in Brüssel ohnehin lediglich ein Reförmchen zur Diskussion gestanden.
Österreichs Finanzminister Hartwig Löger von der konservativen ÖVP zeigte sich enttäuscht. Die vorgeschlagene Bemessungsgrundlage sei zu niedrig angesetzt, um relevante Einnahmen zu erzielen und Spekulationsgeschäfte wirksam einzudämmen. Außerdem sieht der Plan des französischen Präsidenten Emmanuel Macron lediglich vor, inländische Aktien zu besteuern, nicht aber moderne Finanzprodukte wie Derivate, mit denen global weit größere Umsätze erzielt werden und die überwiegend außerhalb der regulierten Börsen gehandelt werden. Österreich koordiniert seit sieben Jahren die Gespräche über die Einführung einer TobinSteuer, benannt nach dem US-amerikanischen Wissenschaftler James Tobin. Kritik an dem auch von Olaf Scholz unterstütztem französischem Modell kam in Deutschland auch von CSU, Linkspartei und Grünen.
Das Aus für die Finanztransaktionssteuer hält das Netzwerk Attac für einen weiteren Beleg dafür, dass die politische Macht des Finanzsektors ungebrochen sei. »Letztlich haben sich jene Regierungen durchgesetzt, denen die Profite des Finanzsektors wichtiger sind als seine Stabilisierung und Beteiligung an den Krisenkosten«, sagte Detlev von Larcher, Sprecher von Attac Deutschland. Dabei zeigen Umfragen in vielen europäischen Ländern, dass eine Mehrheit für eine Tobin-Steuer ist. Anders als sein Vorgänger Wolfgang Schäuble (CDU) habe Finanzminister Scholz von Beginn an jegliches Engagement in der Sache vermissen lassen, beklagte von Larcher.
Drei Tage vor dem wichtigen Treffen der zuständigen Finanzminister am Montag und Dienstag in Brüssel hatten sich mehr als hundert internationale Organisationen in einem offenen Brief an die Amtsträger gewandt. Der Macron-Scholz-Vorschlag würde das »Aus für den eigentlichen Zweck der Finanztransaktionssteuer besiegeln«, die Finanzmärkte zu zähmen. In Deutschland hat das Kampagnenbündnis »Steuer gegen Armut« den Brief an Scholz übermittelt.
Die Diskussion über eine Finanztransaktionssteuer kommt seit Jahren nicht wirklich voran. Ein Großteil der 28 EU-Staaten lehnt eine Tobin-Steuer mehr oder weniger grundsätzlich ab. Lediglich zehn Finanzminister nahmen am Montag an einem Treffen am Rande des Euro-Finanzministertreffens in Brüssel teil. Unter ihnen ist jedoch umstritten, was genau besteu- ert werden soll. Auf die von Präsident Macron im September 2017 erneut ins Spiel gebrachte Börsenumsatzsteuer konnte sich die Gruppe schon in der Vergangenheit nicht verständigen.
Auf Kritik stößt in diesem Kreis nun auch, dass Scholz und sein französischer Amtskollege Bruno Le Maire die Finanztransaktionssteuer mit einem zukünftigen Euro-Haushalt verknüpfen wollen. Erträge aus der Börsensteuer sollen ab 2021 als Beiträge zu einem gesonderten Euro-Haushalt verrechnet werden. Das ist allerdings mindestens so umstritten in der EU wie die Finanztransaktionssteuer selbst. Dennoch soll der französischdeutsche Vorschlag im Januar abermals im Rat der Finanzminister diskutiert werden.