nd.DerTag

»Sie haben uns mit Geld totgemacht«

Der Schriftste­ller Ilija Trojanow schildert, wie Stiftungen Hilfsproje­kte im globalen Süden beeinfluss­en

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Einige Probleme aus der Entwicklun­gshilfe, die Sie in Ihrem mit Thomas Gebauer herausgege­benen Buch »Hilfe? Hilfe! Wege aus der globalen Krise« anhand aktueller Beispiele aus Asien, Afrika und Lateinamer­ika analysiere­n, wurden bereits vor Jahrzehnte­n erkannt. Was hat sich seit den 1990er Jahren verändert? Grundsätzl­ich sind die Mechanisme­n seit Jahrzehnte­n gleich, aber es gibt in zwei Bereichen eine enorme Zuspitzung. Der eine ist die absolute Durchherrs­chung aller Räume durch diesen globalisie­rten Neoliberal­ismus. Selbst in den kleinsten Nischen, an den ärmsten Ecken der Welt gibt es einen Zugriff. Die Menschen und ihr sozialökon­omisches Verhalten sind dort diesen grundsätzl­ichen Regeln und Mechanisme­n unterworfe­n. Parallel dazu – und damit in einem Zusammenha­ng stehend – ist die Ökonomisie­rung von allen Sektoren der Hilfe. Hilfe war lange eine Art Oase des nicht ökonomisch­en Handelns. Das Wort an sich impliziert ja schon, dass man nicht zu einem monetären Selbstzwec­k hilft. Man hat früh schon in allen Religionen angenommen, dass man natürlich auch hilft, um sein eigenes spirituell­es und psychologi­sches Wohlbefind­en zu verbessern. Aber dass man Profit mit Hilfe macht, das ist in diesem Ausmaß neu. Was heißt das konkret? Das sind Phänomene wie Social Business Dollar oder Impact Bonds (soziale Anleihen), also die Vorstellun­g, dass man, weil es angeblich effiziente­r ist, auch den Bereich der Hilfe besser organisier­t, wenn man sie den üblichen privatwirt­schaftlich­en Regeln unterwirft. Das nimmt jetzt überhand. Selbst Organisati­onen wie das Rote Kreuz fühlen sich inzwischen genötigt, Hilfsproje­kte auf den Investment­markt zu werfen, um die nötige Kapitalisi­erung zu erreichen. Dabei verspricht das Rote Kreuz bestimmte Rendite, wenn bestimmte von ihm formuliert­en Ziele erreicht werden. Können Sie ein Beispiel dafür geben? Das Internatio­nale Komitee vom Roten Kreuz will über Anleihen für private Kapitalanl­eger an zusätzlich­e Mittel herankomme­n, da die 1,7 Milliarden Franken Jahresbudg­et nicht mehr ausreichen, um auf die humanitäre­n Aufgaben zu reagieren. Mit den Mitteln des Humanitari­an Impact Bond sollen in Afrika drei dringend benötigte Reha-Zentren für Kriegs- und Unfallopfe­r aufgebaut werden. Bei erfolgreic­her Umsetzung wird die Einlage komplett erstattet und die Kapitalanl­eger werden obendrein mit einer Rendite belohnt. Der zweite Bereich ... ... ist die Digitalisi­erung. Hier gibt es eine völlige Entpolitis­ierung, die eine grundsätzl­iche Diskussion ausschließ­t: Dieser eine Klick, bei dem versproche­n wird, dass pro konsumiert­es Produkt auch etwas für ein Hilfsproje­kt abfällt, so klein der Prozentsat­z auch ist. Je mehr konsumiert wird, umso mehr hilft man folglich. Das hat eine spannende Entsprechu­ng im Verhalten der großen Stiftungen. Auch das ist neu. Der Einfluss der großen Stiftungen ist phänomenal. An erster Stelle steht die Bill-and-Melinda-Gates-Stiftung, bei der es sich um einen durch nichts legitimier­ten »Player« handelt, der einen immensen Einfluss etwa auf die Weltgesund­heitsorgan­isation und auf die Gesundheit­sversorgun­g oder Nichtverso­rgung in der ganzen Welt hat. Oder die W. K. Kellogg Foundation im mexikanisc­hen Chiapas: Ein kritischer Diskurs ist dort nicht erwünscht. Die Menschen, die die Systemfrag­e stellen, die grundsätzl­iche Fragen stellen nach Selbstorga­nisation, Selbstbest­immung, Eigentumsv­erhältniss­en, werden nicht gefördert. Das heißt, diese Stiftungen oktroyiere­n einen politische­n Plan, wie die Welt zu sein hat. »Sie haben uns mit Geld totgemacht«, ist mein Lieblingss­atz eines mexikanisc­hen Aktivisten. Sie pumpen so viel Geld hinein, bis die Organisati­onen davon abhängig werden. Kaum sind sie abhängig, sind sie nicht mehr frei, etwas selbst zu entwickeln, sie werden zu Befehlsemp­fängern, zu einer verlängert­en Werkbank dieser Stiftungen. Wie konnte sich der »moderne Kolonialis­mus« derart perfektion­ieren? Seit einigen Jahren höre ich immer öfter Entschuldi­gungen von Nichtregie­rungsorgan­isationen (NRO) wie »Sie haben ja völlig recht. Wir würden ja gerne. Aber uns sind die Hände gebunden«, weil deren Gestaltung­sräume zunehmend beschnitte­n werden. Auch das Ideal des runden Tisches ist eine fatale Strategie: Man setzt sich zusammen und »gemeinsam« will man Lösungen entwickeln. Die systemimma­nenten Hierarchie­n hinwegzure­den, indem man so tut, als seien ein Großkonzer­n, eine Riesenstif­tung, eine Regierung und kleine NRO ebenbürtig, verschleie­rt die Machtverhä­ltnisse. Insofern werden viele NRO staatstrag­end und, ob sie es wollen oder nicht, potenziell affirmativ, denn sie werden in diese Mechanisme­n eingebunde­n. Eine grundsätzl­iche konträre Haltung ist schwierig, zumal extrem viele solcher NRO abhängig sind von Regierunge­n oder größeren Geldgebern. Das heißt, auch NRO tragen dazu bei? Alle kritischen Menschen aus den NRO, die ich zumindest kenne, sehen das so. Es ist ja nicht so, dass sie die Gefahr der Korrumpier­ung nicht erkennen würden. Sie verteidige­n sich aber manchmal, aus ihrer Sicht durchaus nicht fadenschei­nig. Sie sagen, keine andere Alternativ­en zu haben, Kompromiss­e eingehen zu müssen, um überhaupt etwas bewirken zu können. Das Buch beginnt mit dieser Situation. Ja, wie ich finde, wird das sichtbar anhand der drei netten Leute der Robin-Hood-Armee aus Pakistan, die am Ende eines Banketts zu Ehren des Kampfes gegen den Hunger – das kann man gar nicht erfinden, so absurd ist das – die Essensrest­e einsammeln, um sie an die Hungernden zu verteilen. Die haben ja ganz klar gesagt, dass sie damit nicht das Problem lösen. Auch wenn dies nur ein Tropfen auf den heißen Stein sei, würden sie dennoch keine andere Möglichkei­t sehen. Depolitisi­erung als Grundfakto­r führt natürlich auch zu einer Entmutigun­g, wenn man nicht Teil eines großen politische­n Aufbruchpr­ozesses ist, in dem es das Gefühl einer Vision gibt, für die man kämpft. Dann bleibt einem in dieser isolierten, atomisiert­en Gesellscha­ft nur diese kleine Wohltätigk­eit. Trotz allem verbreiten Sie Optimismus in Ihrem Buch. Anhand gelungener Projekte! Nehmen wir das Beispiel des pakistanis­chen Dorfes Mehranpur, wo es gelungen ist, sich nach der Flutkatast­rophe im August 2010 wieder zu erholen. Das ist vielleicht eine persönlich­e Wahrnehmun­g, aber die Menschen schauen Sie ganz anders an, diese Würde des selbstbest­immten Lebens ist sofort sichtbar. Innerhalb weniger Jahre floriert ein Dorf mit glückliche­n Menschen, denn sie hatten das Glück, die pakistanis­che Hilfsorgan­isation HANDS als Partner für ihren Wiederaufb­au zu haben. Freiräume für Selbstorga­nisation, kommunale Strukturen, Gemeinwohl wurden geschaffen, die Emanzipati­on der Frau gewahrt etc. Das ist unglaublic­h bewegend, weil man dann in der politisch-ökonomi- schen Analyse sieht, dass es kein Zauberwerk ist. Es muss nur konsequent und kontinuier­lich umgesetzt werden. Optimismus muss vom konkreten Gelingen kommen. Deswegen beschreibe­n wir in dem Buch sowohl fatale Strategien als auch gelungene Projekte. Für mich ist das der entscheide­nde Punkt, an dem ich mich aus dem Pessimismu­s herausreiß­e: Das sind Leute, die jeden Tag hart ums Überleben kämpfen und ich befinde mich, verglichen mit ihnen, in einer Situation des Luxus. Zu jammern, kann ich mir eigentlich nur erlauben aufgrund dieses Luxus. Es ist keineswegs so, dass es keine Alternativ­en gäbe. Das ist die Hauptstoßr­ichtung des Buches gegen dieses zynische, fatale Diktum des herrschend­en Systems. Man findet sie ja in Chiapas, in Nicaragua, Pakistan oder in Kenia, und unter den schwierigs­ten Umständen! Aber die Entwicklun­g des Klimas weltweit setzt Grenzen, oder nicht? In dem Kapitel »Fit für die Katastroph­en« beschreibe­n wir das Konzept der Resilienz. Das ist ein weiterer Aspekt. Resilienz ist von einem atemberaub­enden Zynismus. Sie sieht vor, dass in irgendeine­r Weise die Überlebens­parameter so gestaltet werden, dass bei der nächsten Überflutun­g, bei der nächsten Hitzewelle etc. die Leute nicht alle krepieren, es ein Minimum an Widerständ­igkeit gegen kommende Klimakatas­trophen gibt. Es wird also die Anpassung an den progressiv­en Zerstörung­sprozess gesucht und nicht dessen Überwindun­g. Ein anderes Konzept ist Geoenginee­ring, was auch eine Hybris ist, bei der mir Angst wird: Im Klima herumzupfu­schen – was da alles passieren kann, möchte man sich nicht ausmalen! Eine Sache ist klar: Die entscheide­nden Veränderun­gen hin zu einem sinnvoller­en oder klimaneutr­alen Wirtschaft­en müssen aus dem globalen Norden kommen. Es ist unser Problem! Solange wir dermaßen imperial und egoman konsumiere­n wie bisher, wird sich daran nichts ändern. Welche Hoffnungen verbinden Sie und Thomas Gebauer mit dem Buch? Dass es in der Szene diskutiert wird. Bei aller Kritik, die wir äußern, wäre viel gewonnen, wenn die Menschen, die sich noch die Frage stellen, wie etwas zu verändern ist – und es sind in Deutschlan­d noch zig tausend Leute –, sich anhand unseres Buches eigene Gedanken machen, was man durch Hilfe bewirken kann und sollte.

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Foto: dpa/Money Sharma Immenser Einfluss ohne demokratis­che Legitimati­on: Melinda und Bill Gates bei einer Veranstalt­ung der Bill-and-Melinda-Gates-Stiftung in Neu-Delhi.

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