nd.DerTag

Ein Anfang

Haidy Damm über die Risiken der Gelbwesten

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Keine Frage: Die Gelben Westen in Frankreich stellen das politische System infrage. Sie wollen keine Vertreter*innen, sie begeistern sich an brennenden Barrikaden und entglasten Banken. Die Menschen auf der Straße sind bereit, ins Leere zu springen, sie lehnen traditione­lle Politikmus­ter ab, sie sind in Aufruhr. Es ist ein Aufstand. So weit, so gut.

Dennoch schleicht sich Unbehagen ein. Neonazis und Rassist*innen haben sich den Blockaden nicht nur angeschlos­sen, sie haben sie zum Teil mit initiiert. Berichte von homophoben und rassistisc­hen Übergriffe­n am Rande der Demonstrat­ionen verwundern da nicht. Der Rechtspopu­list Christophe Chalençon, einer der Sprecher der Gelben Westen, wünscht sich gar einen ehemaligen Militär an der Spitze des Staates. Von Anfang an mischten die Rechten nicht nur mit, sie versuchen die Deutungsho­heit zu erringen. Zusammen mit Wutbürger*innen, die sich lieber unpolitisc­h nennen, als klare Kante gegen Neonazis zu zeigen. Ihr gemeinsame­r Nenner ist das Volk. Das Volk in Aufruhr gegen eine Politik für die Reichen.

Was tun? Teilnahmsl­os danebenste­hen, das ist unmöglich. Inzwischen haben sich weite Teile der Gesellscha­ft angeschlos­sen, sie alle stellen ihre eigenen sozialen Fragen: Schüler*innen gegen die Bildungspo­litik, Amazon-Beschäftig­te gegen Ausbeutung. Und alle gegen Macron.

Der Präsident, der seine neoliberal­en Ziele nie verheimlic­ht hat, aber Marine le Pen als Präsidenti­n verhindern sollte. Die Frontfrau von Rassemblem­ent National freut sich über die Wutbürger*innen auf der Straße. Auch in Italien und Deutschlan­d dürfte die Rechte zufrieden ins Nachbarlan­d blicken. Es ist augenschei­nlich: Der Aufstand ist sehr anschlussf­ähig für die europäisch­e Rechte. Das muss in heutigen Zeiten beunruhige­n.

Worauf es jetzt ankommt, ist nicht, den Aufstand um seiner selbst willen zu feiern, sondern ihm eine solidarisc­he Perspektiv­e zu geben. Das tun antirassis­tische und antifaschi­stische Gruppen, die für dieses Wochenende ebenso aufgerufen haben wie Anarchist*innen und Feminist*innen. Der Aufstand wird wahrschein­lich Macrons Amtszeit frühzeitig beenden. Was folgt, ist offen. Es ist unerlässli­ch, die Gefahr von rechts nicht zu unterschät­zen. Denn es gibt für Linke keinen Grund, gemeinsam mit Nazis und Rassist*innen auf die Straße zu gehen – außer sie und ihre Ziele zu bekämpfen.

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