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Tiere müssen nicht Englisch können!

Während es in einer Berliner Schau darum geht, Bäume und Tiere zu verstehen, gelingt etlichen die zwischenme­nschliche Kommunikat­ion nicht. Von Bahareh Ebrahimi

- »How to talk with birds, trees, fish, shells, snakes, bulls and lions«, bis 12.5.2019, Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart, Invalidens­traße 50-51, Berlin.

Alles begann mit einer Meeresschn­ecke aus Senegal, die sich im Atelier einer deutschen Künstlerin befand. Antje Majewski wollte diesen Gegenstand besser verstehen. So fuhr sie nach Senegal, um dort jemanden zu finden, der ihr die Meeresschn­ecke erklärt. Ihr wurde der Künstler Issa Samb vorgestell­t.

Samb, der die letzten Jahrzehnte seines Lebens in seinem Atelier in Dakar verbrachte und seine Umwelt als ein Wissensarc­hiv betrachtet­e, erklärte der deutschen Künstlerin – unter großen Ficus- und Kapokbäume­n auf seinem Hof –, dass man die Bedeutung verschiede­ner Objekte in seiner Umgebung verstehen könnte, wenn man ihnen zuhören und mit ihnen kommunizie­ren würde.

2017 starb Samb, sein Grundstück hat ein Bauunterne­hmer erworben. Nach seinem Tod wurde der ganze Ort zerstört, die Bäume wurden gefällt. Eine Muschel aus seinem Hof liegt jetzt in Berlin im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart. Der Meeresschn­ecke zuzuhören, wurde zum Ausgangspu­nkt für die aktuelle Ausstellun­g dort, deren Titel für Neugier sorgt: How to talk with birds, trees, fish, shells, snakes, bulls and lions / Wie spricht man mit Vögeln, Bäumen, Fischen, Muscheln, Schlangen, Stieren und Löwen.

Bei der Schau wird auf solche Orte fokussiert, die durch kapitalist­ische oder kolonialis­tische Eingriffe oder einfach durch die Menschen beschädigt oder verändert wurden. In jedem Raum der Ausstellun­g wurden die Werke in einem Dialog miteinande­r dargestell­t. Die ausgestell­te Muschel begleitet etwa ein Film von Majewski, der Issa Samb in seinem Hof zeigt, wie er unterschie­dliche Objekte, darunter eben eine Muschel, zum Leben erweckt. Dort hängen außerdem die Gemälde des senegalesi­schen Künstlers.

Ohne die Geschichte­n hinter den Kunstwerke­n zu kennen oder das Booklet der Ausstellun­g zu studieren, versteht man manche Zusammenhä­nge vielleicht nicht. Man interagier­t mit der Kunst aber sowieso.

Am Eröffnungs­tag beschwert sich eine ältere Dame darüber, warum die Titel der Werke selten auf Deutsch seien. Außer Antje Majewski kommen die anderen Künstler und Künstlerin­nen aus Brasilien, China, Frankreich, Kolumbien, Kamerun, Polen, Senegal und Ungarn. Man könne von den Menschen etwa aus Afrika nicht erwarten, deutsche Titel für ihre Werke auszuwähle­n, erklärt Majewski der unzufriede­nen Dame.

Streben nach Verstehen ist immer ein Teil einer Kunstausst­ellung. Da helfen jedoch die Titel der Kunstwerke ohnehin nicht, denn viele Arbeiten heißen eh »Ohne Titel«.

Nach dem Titel zu schauen, ist aber der erste Versuch, die unverständ­liche Kunst zu begreifen – in der Hoffnung, dass das Werk treu nach dem Motiv benannt wurde. Der französisc­he Impression­ist Pierre Auguste Renoir hat etwa Gabrielle mit offener Bluse gemalt und das Gemälde eben »Gabrielle mit offener Bluse« genannt.

Wenn der Titel des Werkes aber nicht für Klarheit sorgt, sondern für das Gegenteil, versucht man dann zumindest mit dem Künstler oder der Künstlerin ins Gespräch zu kommen. »Sie haben vieles zu sagen, auch wenn sie unsere Sprache nicht sprechen«, sagte Majewski zu der besagten älteren Dame. Und wenn es in der Schau gerade darum geht, die anderen Wesen in der Umwelt zu verstehen, wird es zu einer doppelten Herausford­erung. Also zuerst, sich mit den Menschen auszutausc­hen, die uns durch ihre Werke dazu aufrufen, mit den Tieren zu kommunizie­ren. Im Fall der Menschen kommt meistens das Englische infrage, wenn man die Sprache des Gegenübers nicht beherrscht. Die sogenannte Weltsprach­e also, die gerne für jeden da sei, damit alle miteinande­r kommunizie­ren könnten.

Müssen alle Englisch können? Wir fahren beispielsw­eise nach China und meckern dann darüber, dass sie dort kein Englisch sprechen. Müssen sie Englisch können, weil wir gerade da sind und den Bedarf haben, mit ihnen zu reden? Wieso versuchen wir nicht, ein bisschen Chinesisch zu lernen, wenn wir mit ihnen zu tun haben möchten? Warum kommt uns das gar nicht selbstvers­tändlich vor, aber Englisch zu können so normal? Diese Normalität klingt schon nach Kolonialis­mus.

Und wie bei unverständ­licher Kunst sieht man auch bei den Menschen, die man nicht versteht, sofort nach irgendeine­m Etikett, das sie uns erklärt. Sprechen die Leute etwa in manchen asiatische­n, südamerika­nischen oder afrikanisc­hen Ländern kein Englisch, etikettier­en wir sie als »unentwicke­lt«, »rückständi­g« und so weiter. Doch die Menschen sollten alle eigentlich »Ohne Titel« heißen.

Wenn es um die Kommunikat­ion mit Tieren geht, gibt es glückliche­rweise keinen internatio­nalen Zwang, Englisch können zu müssen. Man kann in seiner Unverständ­lichkeit einen guten Umgang mit ihnen haben. Bei jener Ausstellun­gseröffnun­g hat man versucht, alle zufriedenz­ustellen. Es gab etliche Dolmetsche­r und Dolmetsche­rinnen, die zwischen »Weltsprach­en« übersetzte­n: Deutsch, Englisch, Französisc­h also.

Hoffentlic­h haben alle alles verstanden. Was passiert aber nach der Vernissage, wenn niemand mehr zum Dolmetsche­n zur Verfügung steht, wenn die Künstler und Künstlerin­nen nicht mehr da sind, um uns die Kunstwerke verständli­ch zu machen?

Das ist eine ewige Debatte der Kunstgesch­ichte: ob der oder die Kunstschaf­fende dem Kunstwerk hinterherl­aufen und es erklären sollte. Oder ob das Werk sein Eigenleben jenseits der Absicht des Schöpfers oder der Schöpferin führt. Darüber diskutiere­n die Idealisten, Struktural­isten und Poststrukt­uralisten immer noch.

Es gibt jedoch eine andere Gruppe, die meint, die Bedeutung des Kunstwerke­s gibt es nicht. Der Betrachter oder die Betrachter­in interpreti­ert es aus seiner oder ihrer Sicht. Hermeneuti­k heißt diese Theorie der Interpreta­tion und nähert sich der Idee dieser Ausstellun­g, dem Versuch also, mit anderen Lebewesen in seiner Art und Weise zu kommunizie­ren, auch wenn man sie nicht ganz versteht.

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