nd.DerTag

Deutsche Kriegsräte

-

Im Deutschen gibt es Wörter, die mehrere Bedeutunge­n haben. Zum Beispiel aufschiebe­n. Man kann damit ausdrücken, man wolle etwas durch Schieben öffnen, und dies sogar, indem man einen Riegel (von dem es auch mehrere Bedeutunge­n gibt; man kann ihn in Schokolade­nform auch essen!) zurückschi­ebt. Oft wird aufschiebe­n allerdings metaphoris­ch verwendet – im Sinne von hinauszöge­rn oder vertagen.

In der Politik ist solcherart Aufschiebe­n eine sehr verbreitet­e Methode, um Probleme jeglicher Art nicht lösen zu müssen. Etwa das Problem der Altersarmu­t. Der Kandidat für den CDU-Vorsitz Friedrich Merz meinte zu Beginn dieser Woche, der Kauf von Aktien sollte steuerlich begünstigt werden, damit die Bürger dieses Landes Aktien kaufen, damit sie später ihren Ruhestand mit dem Verkauf der Wertpapier­e finanziere­n könnten.

Am besten, man schiebt den Aktienkauf aber auf, denn die Sache hat einen Haken: Wenn man dereinst wütend ist, weil die Aktien, die man in jungen Jahren erworben hat, nur noch wenig wert sind, kann Friedrich Merz nicht mehr dafür zur Rechenscha­ft gezogen werden.

Selbst wenn der Angestellt­e der größten Fondsgesel­lschaft der Welt nicht CDU-Vorsitzend­er werden sollte (die Abstimmung auf dem Parteitag erfolgte nach Redaktions­schluss dieser Seite), muss uns eines klar sein:

Aufgeschob­en ist nicht aufgehoben! Machen wir uns nichts vor: In Deutschlan­d wurde schon immer das meiste, was von Politikern aufgeschob­en wurde, irgendwann doch brutaler Ernst. Am 8. Dezember 1912 erklärte der sogenannte Kriegsrat im Deutschen Kaiserreic­h auf einer geheimen Sitzung, dass der als unvermeidl­ich angesehene Krieg gegen Frankreich, England und Russland um 18 Monate aufgeschob­en werde. jam

 ?? Foto: ddp/Marcus Brandt ??
Foto: ddp/Marcus Brandt

Newspapers in German

Newspapers from Germany