nd.DerTag

Devisen und Braindrain

Entwicklun­gsexperte Theo Rauch über den UN-Migrations­pakt und effektive Fluchtursa­chenbekämp­fung

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Entwicklun­gsexperte Theo Rauch über Migration und unterschie­dliche Interessen in Afrika.

Seit zwei Jahren wird über den UNMigratio­nspakt verhandelt, seit ein paar Wochen macht er Schlagzeil­en, weil Populisten behaupten, dass er Flüchtling­en Tür und Tor öffnet. Ist diese mediale Aufregung um eine rechtlich unverbindl­iche Erklärung mit sogenannte­r politische­r Verbindlic­hkeit nachvollzi­ehbar? Die Aufregung ist insofern berechtigt, als dass dieser Pakt mehr Aufmerksam­keit durchaus benötigt. Migration ist eines der zentralen Themen des 21. Jahrhunder­ts. Das steht auf einer Ebene mit internatio­nalen Handelsbez­iehungen und internatio­nalen Kapitalver­kehrsregel­ungen. Entspreche­nd muss internatio­nale Migration für alle akzeptabel geregelt werden: für die Migranten, für die Herkunftsl­änder und für die Aufnahmelä­nder. Bei Handel, bei Kapitalver­kehr haben wir seit Jahrzehnte­n Debatten darüber, wie das geregelt werden kann. Die sind nicht immer zum Guten ausgegange­n und die Länder des Globalen Südens saßen meist am kürzeren Hebel. Der Plan, den Migrations­pakt ohne öffentlich­e Diskussion einfach zu verabschie­den, war verkehrt. Um zu einem breiten gesellscha­ftlichen Konsens zu kommen, hätten wir Diskurse gebraucht.

Aber ist diese Aufregung inhaltlich nicht überzogen angesichts der rechtliche­n Unverbindl­ichkeit? Inhaltlich sehe ich keinen großen Grund für Aufregung. Aus entwicklun­gspolitisc­her Sicht haben wir im Sinne von globaler Regierungs­führung schon immer gefordert, dass eine multilater­ale Regulierun­g von Märkten – und das betrifft in dem Falle den Arbeitsmar­kt – durchaus notwendig ist. Ich habe mir das Dokument dazu gründlich angeschaut. Das sind schon sinnvolle Schritte, die einen Rahmen für multilater­ale Regulierun­g bieten. Nicht unproblema­tisch ist, dass der Pakt ein etwas allzu einseitig positiven Tonfall zugunsten Migration hat und die Probleme – insbesonde­re für jene, die unfreiwill­ig ihre Heimat verlassen müssen und den Verlust der gut ausgebilde­ten Arbeitskrä­fte – weitgehend verschweig­t. Aber das Wesentlich­e für mich ist, dass ein internatio­naler Regulierun­gsrahmen geschaffen ist.

Praktisch folgt die deutsche Politik, wie die jüngste Afrika-Reise von Kanzlerin Angela Merkel zeigte, dem Zuckerbrot-und-PeitschePr­inzip: Afrikanisc­he Länder, die Migration unterbinde­n, sollen belohnt werden, unwillige bis hin zum Entzug von Entwicklun­gshilfegel­dern zur Raison gebracht werden. Ist das zielführen­d?

Zielführen­d ist nur das Zuckerbrot, die Peitsche nicht. Länder, die zum Teil gegen eigene Interessen Migration regulieren sollen, müssen für ihre Kosten kompensier­t werden. Das ist ähnlich wie beim Umgang mit dem Klimawande­l. Wenn ich von Brasilien erwarte, den Regenwald zu erhalten, ist das mit Kosten verbunden. Daran müssen sich die Staaten des Globalen Nordens in unser aller Interesse beteiligen. Peitsche im Sinne von Entwicklun­gsprojekte abbrechen oder runterfahr­en ist auf keinen Fall zielführen­d, weil sehr viele dieser Projekte durchaus einen positiven Effekt auf die Reduzierun­g des Zwangs zur Migration haben können. Etwas Sinnvolles abzubreche­n, um jemanden zu bestrafen, der wie etwa die tunesische Regierung etwas zögerlich bei der Wiederaufn­ahme von Migranten agiert, ist kontraprod­uktiv.

Sie sprachen von Eigeninter­essen an Migration von Ländern des Globalen Südens. Bekannt sind die Rücküberwe­isungen aus der Diaspora, die das Dreifache der weltweiten Entwicklun­gshilfe betragen. Was ist sonst noch nennenswer­t? »Nutzen« und »Schaden« von Migration ist innerhalb der afrikanisc­hen Länder ein durchaus umstritten­es Thema, ähnlich umstritten wie hierzuland­e. Wenn ich die Diskussion­en in Ghana anschaue, da gibt es sehr viele, die hauptsächl­ich den sogenannte­n Braindrain befürchten, sprich: dass ihnen die guten Fachleute verloren gehen. Andere Regierunge­n wiederum verweisen darauf, dass das eine ganz bequeme Lösung ist, um Unzufriede­nheit zu exportiere­n und um über Rücküberwe­isungen an Devisen ranzukomme­n. Hier wie dort gibt es kein einheitlic­hes Interesse, was Migrations­politik betrifft. Bei der Regulierun­g von Migration handelt es sich also sowohl um einen innergesel­lschaftlic­hen als auch um einen internatio­nalen Aushandlun­gsprozess.

In Afrika kommen Jahr für Jahr 15 bis 20 Millionen junge Menschen neu auf den Arbeitsmar­kt. Sie treffen im Normalfall auf zwei Millionen formelle neue Jobs. Entwicklun­gsminister Gerd Müller setzt auf den Ausbau von Beschäftig­ungsmöglic­hkeiten. 50 Jahre Entwicklun­gszusammen­arbeit haben das nicht annähernd im Ausmaß der Nachfrage geschafft. Warum sollte das jetzt klappen? Vorweg: Die Zweifel sind nachvollzi­ehbar. Und: Entwicklun­gszusammen­arbeit allein kann es sicher nicht schaffen. Das muss Hand in Hand mit einer veränderte­n Handelspol­itik, Fischereip­olitik, Finanzmark­tpolitik etc. einhergehe­n. Dennoch spielt die Art der Entwicklun­gszusammen­arbeit eine große Rolle: Sie kann Migrations­zwänge verschärfe­n oder reduzieren. Wenn zum Beispiel durch kapitalint­ensive Investitio­nen Tausende von Bauern von ihrem Land durch Großinvest­oren vertrieben werden, wenn bessergest­ellte Kleinbauer­n zulasten der ärmeren im Kampf um knappe Ressourcen unter dem Vorzeichen einer »Agrarmoder­nisierung« gestärkt werden, erhöht das den Migrations­druck. Oder wenn die Auslandsin­vestitione­n in Bereiche gehen, wo sie das traditione­lle lokale Gewerbe ersetzen und dabei vielleicht in einer Möbelfabri­k 370 Arbeitsplä­tze geschaffen werden während Tausende von Teilzeitti­schlern ihre Existenzgr­undlage verlieren.

Und wiel assen sich dieMig rat ions zwänge durch Entwicklun­gszusammen­arbeit senken?

Ein Fokus auf Beschäftig­ung ist der entscheide­nde Punkt. Die verstärkte Beschäftig­ung sorientier­ungd er Entwicklun­gs politik unter Entwicklun­gs minister Gerd Müller, wie sie etwa im Marshallpl­an mit Afrika erkennbar ist, ist durchaus sinnvoll. Entscheide­nd dabei ist jedoch der Nett o-B eschäftigu­ngs effekt: Es müssen mehr Arbeitsplä­tzege schaffen als vernichtet werden. Die geförderte­n Investitio­nen müssten daraufhin geprüft werden, ob sie in neue Wirtschaft­s bereiche gehen, also Importe ersetzen oder in die Weitervera­rbeitung von Rohstoffen für den Export. Nicht aber dahin, arbeitsint­ensive lokale Produktion zu ersetzen. Die meisten Auslandsin­vestitione­n in Afrika fließen aber in Bereiche, wo wohletabli­erte lokale Märkte vor- handen sind, die durch lokale Produzente­n bedient werden, die dann vom Markt verdrängt werden. Nehmen wir die berüchtigt­en Investitio­nen in die Wasserwerk­e, wo öffentlich­e Unternehme­n durch private Unternehme­n ersetzt werden und als erstes Arbeitsplä­tze wegrationa­lisiert werden. Solche Investitio­nen stimuliere­n Migration.

Im Saldo würde bei dieser Strategie Deutschlan­d Arbeitsplä­tze verlieren, oder?

Stimmt. Aber wenn wir angesichts unseres technologi­schen Vorsprungs Güter wie Mangosaft, Milchpulve­r oder Schokolade nach Afrika exportiere­n, müssen wir uns nicht wundern, wenn Afrikaner hierher kommen, um ihre Rohstoffe hier zu verarbeite­n und nicht bei sich zu Hause.

Können Sie Beispiele für beschäftig­ungsförder­nde Investitio­nen nennen?

Zum Beispiel ist die handgepflü­ckte Baumwolle in aller Regel qualitativ der maschineng­epflückten aus den USA überlegen. Die Baumwollfö­rderung in afrikanisc­hen Ländern war summa summarum bei allen Problemen mit den Preisschwa­nkungen ein Volltreffe­r in Sachen Beschäftig­ung. Es gibt Möglichkei­ten der arbeitsint­ensiven Aufbereitu­ng lokaler Produkte, etwa bei Cashewnüss­en, die gut in den an sich sehr vollen Arbeitskal­ender afrikanisc­her Frauen passen. Auch im Reparaturg­ewerbe oder in der Produktion von Baumateria­lien gibt es Chancen für arbeitsint­ensive Produktion. Jetzt kommt das große Aber. Das Ganze führt nicht sehr weit, wenn wir nicht auch eine beschäftig­ungsorient­ierte Handelspol­itik zulassen. Ansonsten bauen wir arbeitsint­ensive Gewerbe durch Entwicklun­gszusammen­arbeit mühsam auf, die dann wieder durch externe Kapital- oder Güterström­e vernichtet werden. Bis die Weichen in der Handelspol­itik neu gestellt werden, kann es dauern. Wie kann kurzfristi­g agiert werden? Es gibt in entwicklun­gspolitisc­hen Kreisen die Forderung nach Kontingent­en, nach niedrigs ch welligem, temporären Zugang auf den Arbeitsmar­kt in Deutschlan­d und in Europa für Menschen aus Afrika. Die Geflüchtet­en, die es unter Lebensgefa­hr über das Mittelmeer versuchen, sind mit um die 100 000 Menschen, die Europa pro Jahr erreichen, im Gesamtkont­ext eine sehr geringe Zahl. Sind Kontingent­e bedenkensw­ert und über welches Ausmaß müsste nachgedach­t werden?

Richtig! Auc heine konsequent beschäftig­ungs orientiert­e Handels -, Investit ions-und Entwicklun­gs politik– von welcher wir noch weit entfernt sind–wird nicht über Nacht das Defizit an Beschäftig­ungsmöglic­hkeiten beheben können. Der Migrations­druck wird also erst einmal anhalten. Deshalb bedarf es neben der Mi grat ionsur sachen bekämpfung auch einer aktiven Förderung legaler Wege für Arbeitsmig­ration nach Europa. Dem Streben vieler Afrikaner und Afrikaneri­nnen nach temporären Erwerbs möglichkei­ten jenseits der Landesgren­zen im Rahmen ihrer trans lokalen Über lebens systeme sollte durch Angebote für zeitlich befristete Arbeitsver­träge vor allem für die große Zahl gering qualifizie­rter Jobsuchend­er begegnet werden. Niedrigs ch welliger, legaler und zeitlich befristete­r Zugang zu europäisch­en Arbeitsmär­kten für viele anstelle eines gefährlich­en und illegalen Zugangs für die wenigen, die stark genug sind, die Festungsgr­äben zu überwinden–diese Option sollte diskutiert werden als Teil einer gleicherma­ßen humanen wie realistisc­henMi grat ions politik.

Und der UN-Migrations­pakt kann dazu einen Beitrag leisten?

Ja, er schafft für derartige Diskussion­en und Verhandlun­gen den nötigen formellen Rahmen, auf den man sich berufen kann. Wenn man sich genau anschaut, was zuMi grat ionsur sachen minderung in den Kapiteln steht, das ist extrem wenig konkret. Aber ich sehe den Migrations­pakt auch nicht als eine konkrete Lösungsstr­ategie an, sondern als einen internatio­nal vereinbart­en Rahmen, der es ermöglicht, Plattforme­n zu finden, wo man die konkreten Lösungen dann von Land zu Land diskutiere­n kann. Insofern begrüße ich letztendli­ch per Saldo diesen Migrations­pakt.

Am Tag der Menschenre­chte, am heutigen 10. Dezember, soll der UN-Migrations­pakt bei der UN-Konferenz in Marrakesch von möglichst vielen Regierungs­chefs unterzeich­net werden.

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Foto: privat
 ?? Foto: dpa/Lorenzo Carnero ?? Einwandere­r aus Nordafrika nach ihrer Seenot-Rettung im spanischen Hafen von Malaga.
Foto: dpa/Lorenzo Carnero Einwandere­r aus Nordafrika nach ihrer Seenot-Rettung im spanischen Hafen von Malaga.
 ?? Foto: privat ?? Theo Rauch ist Honorarpro­fessor für Wirtschaft­s- und Sozialgeog­raphie an der FU Berlin und am Seminar für Ländliche Entwicklun­g der HU Berlin. Er ist außerdem freiberufl­icher Gutachter und Trainer für Entwicklun­gszusammen­arbeit. Über den Globalen Pakt zur Migration und die Grenzen und Möglichkei­ten der Entwicklun­gspolitik, auf eine humane Migration hinzuwirke­n, sprach mit ihm Martin Ling.
Foto: privat Theo Rauch ist Honorarpro­fessor für Wirtschaft­s- und Sozialgeog­raphie an der FU Berlin und am Seminar für Ländliche Entwicklun­g der HU Berlin. Er ist außerdem freiberufl­icher Gutachter und Trainer für Entwicklun­gszusammen­arbeit. Über den Globalen Pakt zur Migration und die Grenzen und Möglichkei­ten der Entwicklun­gspolitik, auf eine humane Migration hinzuwirke­n, sprach mit ihm Martin Ling.

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