Katastrophenschutz wird zur Armee
Kosovo schafft Streitkräfte – die NATO gibt sich auf einmal pikiert
Die USA unterstützen die Schaffung einer Kosovo-Armee – und stellen sich damit gegen die NATO und internationales Recht. Serbien ist empört und droht mit seiner Armee. Die albanische Mehrheit des KosovoParlaments will am 14. Dezember über eine Umwandlung der Kosovo Security Force (KSF) in eine reguläre Armee abstimmen. Das geschieht ohne Konsultationen mit der NATO, die die einstige serbische Provinz in die Unabhängigkeit bombte und seit 1999 die Sicherheit des von über 100 Staaten anerkannten, aber nicht selbstständig lebensfähigen Landes garantiert. Der Vorstoß komme zum »falschen Zeitpunkt«, mosert NATOGeneralsekretär Jens Stoltenberg.
Sein Einspruch beeindruckt in Kosovo niemanden. Wieso auch? Das mächtigste NATO-Land, die USA, steht hinter der Umwandlung der für Katastrophenfälle vorgesehenen KSF zu einer regulären Armee. Philip Kosnett, US-Botschafter in Pristina, sagte in der vergangenen Woche im Sender RTK, das Vorhaben sei ein »positiver Schritt«, denn es wäre doch normal, wenn ein »souveränes und unabhängiges Land« über eigene Verteidigungsfähigkeiten verfüge.
Serbien, das Kosovo noch immer als Provinz betrachtet, reagierte rasch. Präsident Aleksandar Vucic schaltete die ständigen UNO-Sicher- heitsratsmitglieder Russland und China ein. Er machte »die Führung des befreundeten Russland darauf aufmerksam, dass Serbien und die Region von jemandem absichtlich in einen Konflikt« gedrängt werden sollen. Serbien wolle keine Instabilität hervorrufen; es werde jedoch durch anhaltende Provokationen in die Situation geraten, das serbische Volk in Kosovo schützen zu müssen, warnte der Präsident. Martialisch tönte dann auch Ministerpräsidentin Ana Brnabic: »Ich hoffe, dass wir niemals unsere Armee einsetzen müssen«. Was sie aber zugleich für »eine Option« hält.
Moskaus Außenministerium reagierte wie gewünscht. Man betrachte die Bildung von Streitkräften als direkte und grobe Verletzung der Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrates. Die sieht die Präsenz ausschließlich multinationaler Kontingente unter internationaler Kontrolle auf dem Hoheitsgebiet der Provinz vor. Kosovos Regierungschef Ramush Haradinaj dagegen hält solche Bedenken für lächerlich. Man wolle eine Armee aufbauen, um die NATO-Einsätze in Afghanistan und Irak zu unterstützen. Die Pläne richteten sich also nicht gegen die Kosovo-Serben.
Die Konfrontation zwischen den beiden Nachbarn wächst wieder. Dabei hatte das Jahr durchaus vielversprechend begonnen. Man sprach über einen Gebietsaustausch, an dessen Ende ein Grenzvertrag und die Anerkennung Kosovos durch Serbien hätte stehen können. Frankreich und Österreich hielten das für eine gute Idee, Deutschland sah das anders. Rückenwind aus Brüssel kam weder so noch so auf. Wieder einmal zeigte sich, dass die EU über keinerlei gemeinsame außen- und sicherheitspolitischen Vorstellungen verfügt.
Die Machthaber in Kosovo aber spürten zunehmenden Spielraum. Pristina erhöhte die Einfuhrzölle für Waren aus Serbien und Bosnien-Herzegowina um 100 Prozent und verstieß damit gegen das Mitteleuropäische Freihandelsabkommen. Umso mehr freute man sich in Belgrad, dass Kosovos Antrag auf Mitgliedschaft bei Interpol abgelehnt wurde.
Nun kommt die Provokation mit der Armeegründung hinzu. Der Schritt war absehbar. Und wenn Deutschland sowie andere NATO-Staaten dagegen Bedenken erheben, so ist das scheinheilig. Immerhin hat die NATO die rund 5000 Kosovo-»Katastrophenschützer« sowie 2000 Reservisten systematisch ausgebildet und mit Gerät versehen. Heckler&Koch lieferte Sturmgewehre, die meisten Fahrzeuge tragen einen Stern am Grill. Und natürlich weiß man, dass die schweren Waffen, die die Unabhängigkeitsarmee UCK erbeutet hat oder aus dem Westen geliefert bekam – Panzer, Geschütze, Granatwerfer, Flugabwehrraketen –, nicht verschrottet, sondern beim NATO-Nachbarn Albanien geparkt sind.