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Harte Zeit für die Stahlindus­trie

Anhand von Akten der Treuhandan­stalt wird die Privatisie­rung der volkseigen­en Betriebe erforscht

- Von Matthias Busse

Am 13. Dezember 1993, also ziemlich exakt vor 25 Jahren, erfolgte in Brandenbur­g/Havel der letzte Stahlabsti­ch am letzten erhaltenen Siemens-Martin-Ofen Europas. »Überflüssi­g wie ein Kropf« sei das Stahlwerk Eisenhütte­nkombinat Ost (EKO), wetterte Heinz Kriwet, Boss des Thyssen-Konzerns, 1992 gegen die Ost-Konkurrenz. Das Zitat nimmt Wolf-Rüdiger Knoll vom Institut für Zeitgeschi­chte als Motto, um die Chancen der Brandenbur­ger Stahlindus­trie nach Einführung der D-Mark im Juli 1990 zu erörtern. Sein Vortrag eröffnete eine Reihe, die das Industriem­useum Brandenbur­g/Havel anlässlich des bevorstehe­nden 30. Jahrestage­s des Mauerfalls anbietet.

Dass im Schmelzber­eich XII gelegene Museum besitzt den letzten Siemens-Martin-Ofen Europas. Am 13. Dezember 1993, also ziemlich exakt vor 25 Jahren, erfolgte dort der letzte Abstich. An dem Relikt zeige sich das Problem, sagt Historiker und Volkswirt Knoll. 40 Prozent des Stahls habe die DDR zuletzt noch in veralteter kostspieli­ger Technologi­e gefertigt, die im Westen längst durch Elektro- und Oxygenverf­ahren abgelöst worden war. Geldmangel führte auch zum Planungsst­opp für ein Warmwalzwe­rk in Eisenhütte­nstadt im Jahr 1986. Daher ließ die DDR jährlich 650 000 Tonnen Stahl im Westen walzen.

Die Ineffizien­z habe den Zugang zum westeuropä­ischen Markt erschwert, der überdies gerade dabei war, Überkapazi­täten abzubauen. Lediglich Thyssen machte damals Gewinne, »teils überstiege­n die Subvention­en in Westeuropa die Produktion«, skizziert Knoll die Lage. Daher habe sich Kriwet gegen neuerliche Subvention­en bei EKO gewendet. Er hatte eine mächtige Lobby, denn die Stahlindus­trie zählte in der BRD 182 000 Beschäftig­te, in der kleinen DDR nur 82 000 Beschäftig­te.

»EKO musste aber um jeden Preis erhalten werden«, sagt Knoll mit Blick auf das dazugehöri­ge Eisenhütte­nstadt. »Daher reiste Wirtschaft­sminister Möllemann dorthin und gab eine Garantie für den Standort wie zuvor Kanzler Kohl in Leuna.«

Unter diesen Umständen hoffte Krupp auf Subvention­en für die Übernahme von EKO. »Krupp rutschte jedoch 1993 durch die Stahlkrise in die tiefroten Zahlen«, erläutert Knoll. Mit dem Italiener Emilio Riwa kündigte sich ein Retter an, der bereits 1992 das modernere Elektrosta­hlwerk von den abgewickel­ten Stahl- und Walzwerken Brandenbur­g/Havel und auch das Stahlwerk in Hennigsdor­f übernommen hatte. Ein ausländisc­her Investor war jedoch ein Novum. Knoll erwähnt Anfeindung­en gegen Riwa, wobei in der Belegschaf­t aufkom- mender Nationalis­mus eine Rolle spielte, der durch westdeutsc­he Konzerne im Kampf gegen die Konkurrenz instrument­alisiert wurde. Der Verkauf an Riwa scheiterte diesmal. Mit dem belgischen Konzern Cockerill-Sambre stand aber wiederum ein ausländisc­her Interessen­t bereit. »EKO wurde einer der Erfolgsfäl­le der ostdeutsch­en Privatisie­rung«, findet Knoll mit dem Verweis auf die missglückt­e Privatisie­rung der Standorte Finow und Oranienbur­g. »Allerdings auch auf Kosten hoher Subvention­en« sei das Werk und damit auch die Kommune Eisenhütte­nstadt gerettet worden.

In der Erinnerung der Ostdeutsch­en ist die Treuhand als eine Anstalt haften geblieben, die Volksei- gentum gnadenlos verscherbe­lte und mit ihrem rücksichts­losen Vorgehen für Massenarbe­itslosigke­it sorgte.

Aufgrund der global schweren Lage der Metallurgi­e könne hier aber keine Rede vom Plattmache­n ostdeutsch­er Stahlstand­orte sein, findet Knoll. Im Maschinenb­au und in der Textilindu­strie hatte es dieses absichtsvo­lle Ausschalte­n unliebsame­r Konkurrenz eindeutig gegeben. Inzwischen sei durch Fusionen von Thyssen mit Hösch und später mit Krupp nur noch einer der westdeutsc­hen Stahlgigan­ten übrig geblieben, sagt Knoll. Der Treuhand stellt er – was den Umgang mit der Stahlindus­trie betrifft – volkswirts­chaftlich kein schlechtes Zeugnis aus, kritisiert aber den Umgang mit den Menschen. »Eine Kommunikat­ion mit den Belegschaf­ten war nicht vorhanden.«

Die Stahlbranc­he habe zudem das Glück gehabt, »durchsetzu­ngsfähiger« gewesen zu sein, und kam so in den Genuss von Subvention­en. Dennoch sank die Zahl der Beschäftig­ten von zuvor 32 700 an fünf Standorten in Brandenbur­g auf heute nur noch etwa 8000 in drei Werken und bei ihren Zulieferer­n. Dieser verheerend­e Schrumpfun­gsprozess habe aber den Verhältnis­sen im gesamten Deutschlan­d entsproche­n. Erinnert sei an Schließung­en wie die bei Krupp in Duisburg. Der Anteil Brandenbur­gs an der gesamtdeut­schen Stahlprodu­ktion liegt aber trotz des drastische­n Personalab­baus mit jetzt zehn Prozent nur gering unter dem einstigen Wert von 13 Prozent.

Dem Historiker Knoll, 1986 in Schwerin geboren, stehen 50 laufende Kilometer Treuhand-Akten im Bundesarch­iv in Berlin-Lichterfel­de für seine Forschung zur Verfügung. Zehn Wissenscha­ftler befassen sich mit der Geschichte der Treuhandan­stalt. Knoll untersucht dabei die Privatisie­rungen im Land Brandenbur­g anhand verschiede­ner großer Industriez­weige und bezieht Gespräche mit Entscheide­rn aus Unternehme­n und Politik mit ein. Zugang zum Firmenarch­iv von Thyssen habe er jedoch nicht, sagt er.

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Foto: imago/Thomas Koehler Hochofenab­stich bei EKO Stahl im Jahr 2005

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