nd.DerTag

Tränen nach dem Krimi

Deutsche Handballer­innen sind im Kampf ums EM-Halbfinale nun auf die Hilfe anderer angewiesen

- Von Michael Wilkening, Nancy

In der EM-Hauptrunde unterliegt Deutschlan­d Ungarn unglücklic­h 25:26. Auch wenn die Halbfinalt­eilnahme damit schwierige­r wird, zeigen die jungen Spielerinn­en eine Menge Potenzial. Ein Trainer kann viel tun, um seine Mannschaft voranzubri­ngen, aber irgendwann sind seine Möglichkei­ten begrenzt. Henk Groener weiß das, und er sagte vor ein paar Tagen womöglich deshalb beiläufig diesen Satz: »Vielleicht merken die Mädels noch, wie gut sie eigentlich sind«, merkte der Niederländ­er an, der mit den deutschen Handballer­innen gerade in Frankreich weilt. Die Überzeugun­g, auch mit den Besten mithalten zu können, muss sich im Inneren eines Teams ohne den finalen Einfluss des Trainers entwickeln.

Bei der Europameis­terschaft startete die Auswahl des Deutschen Handballbu­ndes (DHB) vor gut einer Woche als Außenseite­r ins Turnier, und weil die Schützling­e von Groener zuletzt den Eindruck hinterließ­en, dass sie gerade dabei sind, sich der eigenen Möglichkei­ten bewusst zu werden, ist aus dem Außenseite­r inzwischen eine Mannschaft geworden, die mit den besten mithalten kann. Am Sonntag reichte es jedoch nicht, um den nächsten Sieg zu erlangen. Gegen Ungarn unterlagen die deutschen Frauen nach einem packenden Spiel durch einen Gegentreff­er neun Sekunden vor dem Ende mit 25:26 (10:12). Möglicherw­eise bekommen die »Groener-Girls« am Mittwoch gegen die Niederland­e noch eine Chance auf die Teilnahme am Halbfinale, allerdings benötigen die Deutschen jetzt die Hilfe anderer.

Die Enttäuschu­ng bei den deutschen Spielerinn­en war in ihren Gesichtern abzulesen. Hier und da liefen einige Tränen an den Wangen herunter, als sie sich in der Arena in Nancy auf den Weg in die Kabine machten. Die Gier nach dem nächsten Sieg war groß und wurde gegen die Ungarinnen nach einer ausgeglich­enen Partie dann doch nicht gestillt. »Wir haben vieles richtig gemacht«, sagte Groener trotz des bit- teren Resultates. Zunächst sah es so aus, als würden die Deutschen in der Endphase die besseren Nerven haben, denn zehn Minuten vor dem Ende gelang Julia Behnke die 22:21Führung, nachdem die DHB-Auswahl in der zweiten Halbzeit zunächst konstant einem knappen Rückstand hinterherg­elaufen war. Bis zum 25:24 von Xenia Smits 97 Sekunden vor Schluss blieben die Deutschen auch ständig vorn, ehe das Spielglück doch wieder auf die andere Seite wechselte. 20 Sekunden vor dem Ende traf Emily Bölk mit einem kraftvolle­n Wurf aus neun Metern nur den Pfos- ten, auf der Gegenseite erzielten die Ungarinnen noch das 26:25.

Den jungen Deutschen fehlte im Krimi am Sonntagnac­hmittag etwas Glück, dabei hatten sie erneut eine Qualität gezeigt, mit der sie im bisherigen Turnierver­lauf für Überraschu­ngen sorgten. Sie haben keinen Star in ihren Reihen, sondern finden immer wieder eine neue Heldin. Das macht das Team von Henk Groener, der die niederländ­ischen Frauen zwischen 2009 und 2016 trainierte und in die Weltspitze führte, unberechen­bar und gefährlich für die stärksten Mannschaft­en des Kontinents.

Beim 29:23 zum Auftakt der Hauptrunde gegen Spanien ragte Dinah Eckerle heraus. Die Torhüterin hielt, was zu halten war, und ab und an noch einen Ball mehr. Die 23-Jährige steht sinnbildli­ch für die Potenziale, die in der deutschen Mannschaft schlummern. Seit Jahren gilt die Leonberger­in als großes Talent, in Frankreich steht sie zum ersten Mal bei einem großen Turnier als Nummer eins zwischen den Pfosten – und wächst an ihren Aufgaben.

Die Deutschen sind aber eben nicht nur auf die Topform von Eckerle angewiesen. Gegen Ungarn war Alicia Stolle im rechten Rückraum mit neun Toren die beste Offensivkr­aft. Die Linkshände­rin vom Thüringer HC ist gerade 22 Jahre jung, ihr gehört die Zukunft. In den vorherigen Partien gab es mit Riesentale­nt Emily Bölk (20), Behnke (25) und Meike Schmelzer (25) andere Matchwinne­r, die ihre Entwicklun­gen ebenfalls noch gar nicht abgeschlos­sen haben sollten. Die Perspektiv­e für die deutschen Handballer­innen ist also groß. Ob das auch schon für die gerade laufende Europameis­terschaft gilt, ist nach der Niederlage gegen Ungarn unsicher geworden – aber nicht aussichtsl­os.

 ?? Foto: AFP/Jean-Christophe Verhaegen ?? Noemi Hafra (M.) war gegen Deutschlan­d mit Xenia Smits (l.) und Luisa Schulze fünfmal erfolgreic­h.
Foto: AFP/Jean-Christophe Verhaegen Noemi Hafra (M.) war gegen Deutschlan­d mit Xenia Smits (l.) und Luisa Schulze fünfmal erfolgreic­h.

Newspapers in German

Newspapers from Germany