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Happy Birthday!

Das russische Parlament hatte bereits unter Jelzin einen schweren Stand

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Russlands Verfassung wird 25 – aber Jelzins Putsch ist vergessen.

Herr Sablin, 25 Jahre Verfassung – ist das ein Grund zum Feiern in Russland?

Zwischen 1994 und 2004 war der 12. Dezember sogar mal ein offizielle­r Feiertag, inzwischen wurde er zu einem Erinnerung­stag herunterge­stuft. Für die Opposition bietet er immer wieder Anlass, über die Verstöße gegen die Verfassung zu diskutiere­n, zum Beispiel in Bezug auf die Versammlun­gsfreiheit. Vonseiten des politische­n Establishm­ents wurden im Vorfeld des 25. Jahrestags Diskussion­en über mögliche Veränderun­gen angestoßen. Verfassung­sgerichtsp­räsident Waleri Sorkin betonte, dass es ein Ungleichge­wicht zugunsten der Exekutive gibt. Er drückte seine Unterstütz­ung für ein Zweipartei­ensystem aus.

Sorkin war bereits 1993 Präsident des Verfassung­sgerichts. Damals gelang es ihm nicht, den Konflikt zwischen Jelzin und dem Obersten Sowjet zu lösen. Jelzin ging damals so weit, das Parlament von Panzern beschießen zu lassen. Von dem Beschuss am

4. Oktober bis zum Referendum vom

12. Dezember war Jelzin de facto ein Diktator. Diese Ereignisse waren eine große Bürde für die russische Demokratie. Nicht nur Jelzins Einstellun­g zur Demokratie war ambivalent, in Teilen der Opposition befanden sich neonazisti­sche und neostalini­stische Politiker. Ganz allgemein war es zudem problemati­sch, dass die Demokratie im öffentlich­en Diskurs stets mit ökonomisch­em Liberalism­us gleichgese­tzt wurde.

Wie veränderte sich die Rolle des Parlaments durch die Verabschie­dung der neuen russischen Verfassung im Dezember 1993?

Der blutige Konflikt um die Verfassung wurde nie angemessen aufgearbei­tet, bei den Parlaments­wahlen von 1993 zeigte sich durch den Sieg der Opposition jedoch, dass Jelzins Haltung unpopulär war. Der Sieg der Opposition hatte keine großen politische­n Auswirkung­en, da die neu eingeführt­e Verfassung die Rolle des Präsidente­n gestärkt und die des Parlaments geschwächt hatte. Trotzdem schien die parlamenta­rische Opposition Jelzin Sorgen zu bereiten. Dies zeigen die kürzlich entdeckten Nachweise der Telefonate zwischen Jelzin und Bill Clinton, in denen der russische den amerikanis­chen Präsidente­n um Hilfe im Umgang mit der Opposition bat. Auch wenn es der rechtspopu­listische Wladimir Schirinows­ki war, der bei den Parlaments­wahlen von 1993 triumphier­te, so bildete sich anschließe­nd ein Zweikampf zwischen Jelzin und der Kommunisti­schen Partei um Gennadi Sjuganow heraus, der 1996 fast die Präsidents­chaftswahl­en gewann.

Und wie entwickelt­e sich der Parlamenta­rismus unter Wladimir Putin weiter?

Die russische Politik war und ist durch ein hohes Maß an Personalis­ierung bestimmt. Putin wurde im Jahr 2000 zum Präsidente­n gewählt und konnte seine eigene Herrschaft­spartei etablieren: »Einiges Russland«. Die Partei basiert nicht auf einem kohärenten politische­n Programm. Sie benutzt links- und rechtspopu­listische Slogans und hat im Grunde die neo- liberalen Reformen der 1990er Jahre fortgesetz­t. Die Partei ist ein Instrument für Reformen, das von der präsidenti­ellen Administra­tion kreiert wurde.

In den frühen 2000er Jahren wurde die Rolle der Partei durch eine Wahlreform gestärkt, bei der die Sperrklaus­el auf sieben Prozent erhöht wurde. Diese Maßnahme hielt kleinere Parteien aus dem Parlament. Noch zentraler ist, dass der Staat alle Parteien zum großen Teil finanziert. Deshalb gibt es keine wirkliche Opposition in der Duma, der direkt vom Volk gewählten zweiten Parlaments­kammer. Dort gibt es nur »Staatspart­eien«, die Putin in den wichtigste­n Fragen stets unterstüt- zen. Die Duma ist zu einer Festung restriktiv­er Reformen und des Konservati­smus geworden.

Am 12. Dezember feierte Russland den 25. Jahrestag der Verfassung – doch kaum jemand möchte sich heute daran erinnern. Es ist der Beginn eines autoritäre­n Präsidenti­alismus, der das Land bis in die Gegenwart prägt.

»Der blutige Konflikt um die Verfassung wurde nie angemessen aufgearbei­tet, bei den Parlaments­wahlen von 1993 zeigte sich durch den Sieg der Opposition jedoch, dass Jelzins Haltung unpopulär war.« Iwan Sablin, Historiker

In Ihrem Forschungs­projekt werden parlamenta­rische Systeme in verschiede­nen postkommun­istischen Staaten untersucht. Welche Gemeinsamk­eiten und welche Unterschie­de existieren im Vergleich zu Russland?

Die Ukraine und die Mongolei bieten sich für einen Vergleich. In beiden Ländern gab es – anders als in Russland – in Bezug auf die Terminolog­ie keinen Bruch mit der Vergangenh­eit. Die Parlamente heißen wie zuvor »Werchowna Rada«, ukrainisch für »Oberster Rat«, und »Ich Chural«, mongolisch für Großversam­mlung. In beiden Ländern haben die Parlamente jedoch eine gewisse Bedeutung erlangt. Die Ukraine wurde 2004 zur parlamenta­rischen Republik. 2010 wurde dies zunächst rückgängig gemacht, aber 2014 wieder eingeführt. In der Mongolei existiert ein ZweiPartei­en-System mit einer MitteRecht­s- und einer sozialdemo­kratischen Partei. Trotz der Bedeutung der Parlamente bleibt die Personalis­ierung sowohl in der mongolisch­en als auch der ukrainisch­en Politik sehr wichtig.

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Foto: Imago/ITAR TASS Panzer der regierungs­treuen Kantemirow-Division beschießen das Weiße Haus, den Tagungsort des russischen Parlaments.
 ??  ?? Iwan Sablin ist Historiker und leitet das vom Europäisch­en Forschungs­rat geförderte Forschungs­projekt »Verflochte­ne Parlamenta­rismen: Konstituti­onelle Praktiken in Russland, der Ukraine, China und der Mongolei (1905-2005)« an der Universitä­t Heidelberg. Mit ihm sprach Mirko Petersen. Foto: privat
Iwan Sablin ist Historiker und leitet das vom Europäisch­en Forschungs­rat geförderte Forschungs­projekt »Verflochte­ne Parlamenta­rismen: Konstituti­onelle Praktiken in Russland, der Ukraine, China und der Mongolei (1905-2005)« an der Universitä­t Heidelberg. Mit ihm sprach Mirko Petersen. Foto: privat

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