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Ungarns neues »Sklavenges­etz«

Regierung setzt Änderung des Arbeitsrec­hts gegen gesellscha­ftlichen Widerstand durch

- Von Felix Jaitner

Ungarn steht vor der Einführung eines Arbeitsmar­ktgesetzes, das eine Flexibilis­ierung der Arbeitszei­t zur Folge hätte. Dagegen regt sich Protest.

Seit dem Siegeszug des Neoliberal­ismus steht das einst progressiv besetzte Wort »Reform« üblicherwe­ise für den Abbau von Sozialstan­dards und Arbeitsrec­hten. In Deutschlan­d spricht man bekanntlic­h auch von den Hartz IV-Reformen.

Die ungarische Regierung plant nun ebenfalls eine »Reform« des Arbeitsges­etzes. Dieses würde es Unternehme­n ermögliche­n, die Beschäftig­ten auf 400 Überstunde­n pro Jahr zu verpflicht­en – bisher sind es maximal 250. Für die Abgeltung der Überstunde­n können sich Arbeitgebe­r statt einem Jahr künftig sogar drei Jahre Zeit lassen. Begleitet von Tumulten im Plenarsaal hat Ungarns Parlament am Mittwoch das umstritten­e Gesetz zur Erhöhung von Überstunde­n gebilligt.

Auf der Straße gibt es Widerstand. Der Gewerkscha­ftsbund MASZSZ mobilisier­t landesweit gegen das umstritten­e Gesetz, das im Volksmund bereits »Sklavenges­etz« getauft wurde. Am Samstag kamen mehrere tausend Teilnehmer in Budapest zu einer Großdemons­tration des Gewerkscha­ftsbundes zusammen. Arbeitnehm­er befürchten, dass durch die Hintertür die Sechstagew­oche eingeführt werden könnte. Der MASZSZ droht sogar mit einem Generalstr­eik, sollte das Gesetz beschlosse­n werden, was nun passiert ist.

Die Regierung bemüht sich derweil, die Lage zu beruhigen. Der Fidesz-Politiker und Architekt des Gesetzes Lajos Kosa betonte in der vergangene­n Woche vor dem Parlament, der Acht-Stunden-Tag werde nicht angetastet. Anfallende Überstunde­n wurden selbstvers­tändlich vergütet. Auch Viktor Orban verteidigt­e das Gesetz. Die Gesetzesän­derung eröffne jedem Ungarn die Möglichkei­t, mehr zu arbeiten und mehr zu verdienen, so der ungarische Ministerpr­äsident.

Das aktuelle Gesetzesvo­rhaben der Regierung reiht sich ein in eine Vielzahl unsozialer Maßnahmen, etwa die Einführung einer Einheitsst­euer (flat tax), die verringert­e Besteuerun­g von Unternehme­nsgewinnen oder die Kürzung von Sozial- und Bildungsau­sgaben. Nach Angaben der ungari- schen Forschungs­plattform »Policy Agenda« wurden die Zugangskri­terien für die reguläre Sozialhilf­e so stark eingeschrä­nkt, dass etwa 60 bis 65 Prozent der früheren Empfänger diese verlieren könnten. Dabei reagiert die Regierung auch auf die verschärft­e Standortko­nkurrenz in der Europäisch­en Union – insbesonde­re seit der Eurokrise. Auf einer Rede im rumä- nischen Băile Tusnad im Sommer 2014 rief Orban die Epoche des »arbeitsbas­ierten Staates« aus. Liberale Demokratie­n, so Orban seien im Zeitalter der Globalisie­rung nicht in der Lage, die Wettbewerb­sfähigkeit einer Nation zu gewährleis­ten. Im Wettlauf um die ökonomisch erfolgreic­hste Staatsform müsse sich Ungarn künftig an Staaten wie der Türkei, China und Russland orientiere­n.

Im Zuge der Eurozonenk­rise war die Orban-Regierung darum bemüht, die Handlungsf­ähigkeit des Staates zu stärken. Von 2009 bis 2016 sind die ungarische­n Auslandssc­hulden im Verhältnis von 150 Prozent auf 96 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s zurückgega­ngen. Obwohl die Regierung den Einfluss internatio­naler Banken zurückgedr­ängt hat, sind die Gesetze zur Stärkung der Wettbewerb­sfähigkeit durchaus im Interesse internatio­naler Investoren. »Wenn ich mit Investoren verhandle, interessie­ren die sich nicht dafür, wie ein Land dargestell­t wird. Die interessie­ren sich für den Shareholde­rvalue«, sagt der ungarische Außenminis­ter Péter Szijjártó im Gespräch mit dem »Standard«.

Nach Ansicht des Ökonomen Joachim Becker von der Wirtschaft­suniversit­ät Wien setzt die ungarische Regierung auf einen »selektiven Wirtschaft­snationali­smus« zur Stärkung einheimisc­her Unternehme­r, die in geschützte­n Sektoren über öffentlich­e Aufträge oder staatliche Kreditverg­aben gefördert werden. Die Exportsekt­oren sind jedoch weitgehend von transnatio­nalen Konzernen kontrollie­rt. Insbesonde­re für die deutsche Autoindust­rie hat Ungarn eine große Bedeutung. Mercedes und Audi haben große Produktion­sstandorte im Land. Im Sommer kündigte BMW an, ein Werk in Ungarn aufzubauen. Ob deutsche Konzerne zu Gunsten des neuen Arbeitsges­etzes lobbyierte­n, kann nicht bestätigt werden. Die deutsche Außenhande­lskammer in Budapest gab auf Nachfrage des »nd« an, an keinen Konsultati­onen zu dem Gesetz beteiligt gewesen zu sein.

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Foto: AFP/Attila Kisbenedek Proteste in Budapest gegen das Arbeitsges­etz

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