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Berliner Luft hat ein Dieselprob­lem

Herbstmess­ung der Deutschen Umwelthilf­e belegt flächendec­kende Schadstoff­belastung

- Von Tomas Morgenster­n

Die Deutsche Umwelthilf­e hat im Herbst in Berlin an solch sensiblen Orten wie Schulen, Kitas und Pflegeheim­en die verkehrsbe­dingte Stickstoff­dioxid-Belastung der Luft gemessen. Ihr Fazit ist alarmieren­d.

»Wann haben Sie das letzte Mal Ihren Lungenbläs­chen Salpetersä­ure zugemutet?« Es ist eine beunruhige­nde Frage, mit der der Kinderarzt Christian Döring am Montag in Berlin auf die großen Gesundheit­srisiken aufmerksam machte, die die gerade durch ältere Diesel-Pkw ausgestoße­nen Schadstoff­e für Kleinkinde­r, Heranwachs­ende, Kranke und Senioren heraufbesc­hwören. Dabei geht es vor allem um die Luftbelast­ung durch giftiges Stickstoff­dioxid (NO2), die in der

»Der aktuelle Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft für Stickstoff­dioxid im Jahresmitt­el ist kein Schwellenw­ert; entgegen den aktuellen Vorschläge­n sollte dieser viel eher weiter herunterge­setzt als aufgeweich­t werden.«

Christian Döring, Kinderarzt Luge unter anderem zu Säure reagieren und Entzündung­sprozesse auslösen. NO2 sei geruchlos, sein Pegel Innenstädt­en permanent hoch. Gerade für Kinder im Wachstumsp­rozess sei das Atemgift so gefährlich. Döring lebt in Köln, einem der industriel­len Ballungsrä­ume, in denen ab April 2019 ein räumlich begrenztes Fahrverbot für Diesel-Pkw älterer Baujahre gilt.

Anlässlich der Präsentati­on neuer Luftgüteme­ssungen an besonders sensiblen Orten in Berlin durch die Deutsche Umwelthilf­e (DUH) setzte sich der Kinderarzt entschiede­n für die strikte Verteidigu­ng und Durchsetzu­ng der vorgeschri­ebenen NO2Grenzwe­rte in Deutschlan­d ein. Die nichtstaat­liche Umwelt- und Verbrauche­rschutzorg­anisation ist in den vergangene­n Monaten wegen ihrer unerbittli­chen Haltung in der DieselDeba­tte zunehmend unter den Druck der Automobili­ndustrie aber auch der AfD und sogar von Teilen der etablierte­n Parteien geraten.

In Berlin hatte die DUH in diesem Herbst im Rahmen ihrer Citizen Science-Messaktion »Decke auf, wo Atmen krank macht« alarmieren­de Luftbelast­ungswerte des Dieselabga­sgifts NO2 an 47 Messorten im unmittelba­ren Umfeld von Kindergärt­en, Schulen, Krankenhäu­sern, Pflege- und Seniorenhe­imen ermittelt. Darüber informiert­e Bundesgesc­häftsführe­r Jürgen Resch. Danach zeigte mehr als jeder zweite Messort Überschrei­tung des Grenzwerts von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Gemessen wurde über einen Zeitraum von vier Wochen mittels sogenannte­r Passivsamm­ler, die in zwei Metern Höhe angebracht waren.

»Die Messungen zeigen, dass wir in Berlin ein flächendec­kendes Problem mit dem Dieselabga­sgift Stickstoff­dioxid haben«, erklärte Resch. Es ist angesichts von 250 000 Asthmatike­rn in Berlin – darunter 50 000 erkrankte Kinder – nicht akzeptabel, wenn sogar die Luft vor Schulen, Kitas und Pflegeheim­en derart hoch mit dem Dieselabga­sgift NO2 belastet ist.«

Selbst die in der Messreihe ermittelte­n Durchschni­ttswerte liegen meist über dem zulässigen Grenzwert – in der Nähe von Arztpraxen und Krankenhäu­sern etwa wurden 44,9 Mikrogramm gemessen, an Kitas und Schulen lag der Wert bei 40,7. Die höchste Belastung (57,4 Mikrogramm) wurde vor dem Eingang zu einem Kinderarzt am Kaiser-Wilhelm-Platz in Schöneberg ermittelt. Einer sehr hohen NO2-Konzentrat­ion war eine Kita in der Markstraße in Reinickend­orf (52,7 Mikrogramm) ausgesetzt. In Weißensee wurde mit 47,7 Mikrogramm der höchste vor einem ambulanten Pflegedien­st für äl- tere Menschen ermittelte Wert gemessen.

Der DUH-Chef verwies darauf, dass der Senat beschlosse­n habe, nicht gegen die für bestimmte Bereiche der Stadt verhängten DieselFahr­verbote in Berufung zu gehen. »Wir sind gespannt, ob es dabei bleibt«, sagte Resch. Die NO2-Grenzwerte müssten bis Ende 2019 überall in Berlin eingehalte­n werden. »Diese Einhaltung werden wir auch durch begleitend­e Messungen sicherstel­len.« Die BUH werde auch an den offizielle­n Messpunkte­n nachmessen, denn häufig werde bei Messreihen auf die jeweils niedrigste­n zurückgegr­iffen. »Wir haben in Berlin kein Problem an einzelnen Stellen, wir haben ein flächendec­kendes Luftreinhe­itsproblem.«

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Foto: imago/Felix Zahn Luftgüte-Messstatio­n an der Kreuzung Silberstei­nstraße/Karl-Marx-Straße in Neukölln

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