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Großmutter ist Popstar!

Die Dokumentat­ion »RBG – Ein Leben für die Gerechtigk­eit« erinnert an Ruth Bader Ginsburgs Kampf für Bürgerrech­te

- Von Jasper Nicolaisen

Über eine der erfolgreic­hsten Juristinne­n in den USA gibt es jetzt eine Dokumentat­ion: Ruth Bader

Ginsburg.

Zum ersten Mal begegnete ich dem Namen Ruth Bader Ginsburg auf Twitter, wo die Nachricht kursierte, diese offensicht­lich hochbetagt­e Person habe sich bei einem Sturz verletzt und es sei fraglich, ob sie ihr Amt weiter ausüben könne. Mehrere Userinnen meldeten sich daraufhin mit dem Angebot, Knochen, Organe und alles, was nötig sei, zu spenden, um »RBG« zu ermögliche­n, weiter am Obersten Gerichtsho­f der USA Recht zu sprechen und Ärsche zu treten.

Diese kurze Anekdote verdeutlic­ht vielleicht, wieso über das vermeintli­ch trockene juristisch­e Geschäft dieser Tage eine Kinodokume­ntation erscheint, die mit reihenweis­e enthusiast­ischen Interviewa­usschnitte­n zumeist sehr junger Fans aufwarten kann. »RBG« ist in der US-amerikanis­chen Öffentlich­keit eine Kultfigur, ja ein Popstar, und das gerade weil sie dem Anschein nach eine großmütter­liche Figur ist, die ihre Autorität niemals durch lautes Auftreten unter Beweis stellen muss. Vielmehr, das wird bei der Betrachtun­g dieses Dokumentar­films schnell deutlich, ist es ihre bedachtsam­e Art zu argumentie­ren, im Tonfall verbindlic­h, in der Sache aber unbestechl­ich und strategisc­h kühl, taktisch kein Register von emotional bis druckvoll scheuend, die sie zu einer der erfolgreic­hsten Juristinne­n des 20. Jahrhunder­ts gemacht hat. Seit den 1970er Jahren focht sie bei einer Reihe von Fällen beharrlich bis in höchste Instanzen, die zusammenge­nommen wesentlich dazu beitrugen, das von sozialen Bewegungen und po- litischen Gruppierun­gen Erstritten­e auch in der Gesetzgebu­ng der USA zu verankern: das Recht von Frauen, am verfassung­smäßig garantiert­en Streben nach Glück teilzunehm­en, zuvorderst durch die Herstellun­g von finanziell­er Unabhängig­keit von und die rechtliche Gleichstel­lung mit Männern.

Der Film verzichtet glückliche­rweise bei aller Begeisteru­ng für seine Protagonis­tin darauf, aus Ruth

»RBG« ist ein Popstar, und das gerade weil sie dem Anschein nach eine großmütter­liche Figur ist, die ihre Autorität nicht durch lautes Auftreten unter Beweis stellen muss.

Bader Ginsburg eine einsame Lichtgesta­lt zu machen, sondern lässt ausführlic­h auch Mandant*innen und juristisch­e Wegbegleit­er*innen zu Wort kommen, sodass deutlich wird, wie sehr die 1993 ans höchste Gericht Berufene mit und für Zeitgenoss*innen stritt. Dazu gehören übrigens immer wieder auch Männer, etwa der Vater, für den Bader Ginsburg erstritt, dass ihm dieselben Elternzeit­rechte eingeräumt wurden wie einer Frau, nicht ohne dabei strategisc­h schon an anschließe­nde Klagen hinsichtli­ch der Gleichbere­chtigung von Frauen zu denken.

Die Besetzung des Supreme Court hat unter dem unsägliche­n Donald Trump als politische Frage wieder an Bedeutung gewonnen, und die Beliebthei­t einer kämpferisc­hen und doch sachlichen öffentlich­en Person wie RBG erklärt sich wohl auch durch die Sehnsucht nach Repräsenta­tions- und Integratio­nsfiguren eines liberalen bürgerlich­en Milieus in den USA. Dass es ein solches einmal machtvoll gegeben hat, dass es gar zum Vorbild eines deutschen sozialdemo­kratischen oder grünen Lagers getaugt haben mag, nicht zuletzt daran erinnert dieser Film.

»RBG – Ein Leben für die Gerechtigk­eit«, USA 2018. Regie: Julie Cohen/Betsy West. 98 Min.

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Abb.: Koch Films
 ?? Foto: Koch Films ?? Präsident Jimmy Carter ernannte Ruth Bader Ginsburg 1980 zur Richterin am Court of Appeals.
Foto: Koch Films Präsident Jimmy Carter ernannte Ruth Bader Ginsburg 1980 zur Richterin am Court of Appeals.

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