Schöne Bescherung
Große Paketdienste schauen ihren Subunternehmern zu wenig auf die Finger
Berlin. Durch den Online-Handel ist der Paketmarkt an allen 365 Tagen im Jahr gewachsen, vor Weihnachten schraubt er sich jedoch in fantastische Höhen. An Spitzentagen müssen Lieferdienste über 15 Millionen Päckchen bearbeiten: Die Flut ist kaum zu bewältigen. Ein Zustellversuch ist zwar Pflicht, aber in Wahrheit nicht zu schaffen. Für die Kunden ist das ärgerlich, wenn sie vergeblich auf das bestellte Geschenk für ihre Liebsten warten. Aber noch mehr leiden die Paketboten. Zehntausende zusätzliche Auslieferer sind in diesen Tagen deutschlandweit unterwegs. Viele haben meist kurze Zeitverträge oder ar- beiten als Subunternehmer. Immer mehr stammen aus Osteuropa, hat die Gewerkschaft ver.di beobachtet, denn auf dem leergefegten Arbeitsmarkt in Deutschland finden Paketfirmen immer weniger Menschen, die sich diesen schlecht bezahlten Knochenjob noch geben wollen.
Während die Auftraggeber tarifgebunden sind, gilt das für ihre Subunternehmen in der Regel nicht. Bei Razzien wurden immer ähnliche Delikte festgestellt: Unterlaufen des Mindestlohns, Hinterziehung von Sozialversicherungsbeiträgen und Dokumentenfälschung, illegale Beschäftigung und Schwarzarbeit. »Die großen Unternehmen stehlen sich da ein Stückweit aus der Verantwortung«, kritisiert die ver.di-Logistikexpertin Sigrun Rauch. Die Gewerkschaft fordert daher auch für die Paketbranche eine Nachunternehmerhaftung der Auftraggeber für Sozialversicherungsbeiträge – wie es sie in der Fleischindustrie und in der Baubranche gibt.
Aber nicht nur die Überbringer der Pakete arbeiten unter miesen Bedingungen. Auch die, die den Inhalt derselben produzieren – ein Blick nach Ghana zeigt, dass die Kakaoproduzenten heute ihre Existenz mit dem Anbau nicht mehr sicherstellen können.
Sigrun Rauch ver.di-Logistikexpertin
Paketdienstleister wie Hermes oder DPD haben keine eigenen Zusteller, sondern setzen ausschließlich auf Subunternehmer. Wie die ihre Leute behandeln, scheint die Großen wenig zu interessieren.
Auf ihrer Uniform steht zwar Hermes oder GLS, unter Vertrag sind die Paketboten aber bei irgendeinem namenlosen Subunternehmer – zu meist miesen Konditionen.
Es ist ein besonders krasser Fall, der derzeit vor dem Landgericht Landshut verhandelt wird. Er dreht sich um den gewaltsamen Tod eines ukrainischen Paketzustellers in Deutschland, der bei einem Subunternehmer des Logistikonzerns GLS angestellt war. Er wurde zu Tode geprügelt, weil er zusammen mit zwei Kollegen seinen ausstehenden Lohn einforderte. Fünf Männer stehen deshalb vor Gericht. Offen ist, welche Verantwortung die Leiharbeitsfirma EVB für den Überfall trägt. Der Südwestrundfunk berichtete Ende November zuerst über diesen Fall.
Demnach vermittelte das Unternehmen die Arbeiter mit gefälschten Pässen, die sie als EU-Bürger auswiesen. Sechs Euro pro Stunde seien ihnen versprochen worden, was für ukrainische Verhältnisse viel ist, aber in Deutschland weit unter dem gesetzlichen Mindestlohn liegt. Bekommen haben sie nicht einmal diesen Betrag. Nach acht Wochen Arbeit hatten sie erst 380 Euro gesehen, sagen die Ukrainer. Und als sie auf ihrem Geld bestanden, wurden sie für die Übergabe zu einem Platz in Erding bei München bestellt, aber dort von einem Schlägertrupp erwartet. Wie ein Mitarbeiter gegenüber »Report Mainz« einräumte, waren ihre Peiniger ebenfalls bei der Leiharbeitsfirma EVB angestellt. Am Donnerstag wurde der Geschäftsführer der Firma vor Gericht als Zeuge vernommen. Ein Urteil in dem Prozess wird für Januar erwartet.
In diesem Ausmaß ist die brutale Geschichte sicher ein Einzelfall, dennoch begünstigen strukturelle Missstände in der Branche Exzesse wie diesen. »Die Anwendung von Gewalt ist ein klassischer Bestandteil krimineller Strukturen, die sich auch in der Paketbranche breit machen«, erklärt die Logistikexpertin der Gewerkschaft ver.di, Sigrun Rauch. Hauptschauplatz sind Subunternehmen. Bei mehreren Razzien in verschiedenen Bundesländern seien in den letzten eineinhalb Jahren immer ähnliche Delikte festgestellt worden. »Über den Verstoß gegen das Mindestlohngesetz hinaus auch Hinterziehung von Sozialversicherungsbeiträgen und Dokumentenfälschung, illegale Beschäftigung und Schwarzarbeit.«
Der Wettbewerb im deutschen Paketmarkt ist groß, nicht erst, seit der Online-Handel boomt. Von den fünf großen Anbietern Deutsche Post DHL, Hermes, UPS, GLS und DPD arbeitet nur DHL fast ausschließlich mit eigenen Beschäftigten – 100 000 sind es etwa. Sie werden nach Tarif bezahlt, zwischen 11,50 und 20 Euro liegt der derzeit. Bei UPS sind immerhin 60 Prozent der Zusteller fest angestellt. Die anderen drei Logistikunterneh- men setzen bei der Zustellung ausschließlich auf Subunternehmen. »Hermes, DPD und GLS hatten praktisch noch nie eigene Zusteller«, sagt Rauch. Der Paketbote an der Wohnungstür steckt lediglich in der Uniform von Hermes, einen Vertrag mit dem Dienstleister hat er nicht. Die Gewerkschaft kritisiert das seit Langem.
Denn während die Auftraggeber tarifgebunden sind, gilt das für ihre Subunternehmen in der Regel nicht. Dort wird meist nur der gesetzliche Mindestlohn gezahlt, wenn überhaupt. Betriebsräte sind ein Fremdwort. »Subunternehmen verschaffen den Unternehmen ein Minus an Verantwortung und ein Plus an Flexibi- lität«, sagt die Logistikexpertin Rauch. Sie schließen einen Vertrag, in dem beschrieben ist, welche Leistung sie erwarten und wenn die nicht erbracht wird, dann wird der Subunternehmer ausgewechselt oder bekommt einen Regress. Für Rauch stehlen sich die großen Unternehmen schlicht aus der Verantwortung.
Hat man eigene Beschäftigte, muss man sich als Arbeitgeber ganz andere Fragen stellen, wenn es Probleme gibt: Habe ich meinen Laden richtig organisiert? Habe ich die Beschäftigten ausreichend geschult, stimmen die Betriebsmittel?
Dabei gibt es nicht nur Sub-, sondern mitunter auch Subsubunternehmerstrukturen. Je länger die Kette, umso weniger Geld kommt am Ende bei dem an, der die Arbeit tut. Das Feld ist unübersichtlich und lässt sich schwer kontrollieren. Wie viele Menschen bei Subunternehmen in der Paketbranche unter Vertrag sind, lässt sich auch für die Gewerkschaft kaum beziffern. »Das ist ein großer Graubereich«, sagt Rauch. Nicht selten sind Fahrer auch selbstständig oder scheinselbstständig.
Fest steht: Während der leer gefegte Arbeitsmarkt auf der einen Seite dazu führt, dass Unternehmen versuchen, durch unbefristete Verträge und höhere Löhne Fahrer anzulocken, gehen einige den umgekehrten Weg und versuchen, zum Beispiel im Ausland Menschen zu finden, die die Arbeit auch zu schlechteren Konditionen übernehmen. Viele Paketfahrer stammen aus Osteuropa und werden leicht Opfer von Ausbeutung. »Sie kommen hierher, sind der Sprache nicht mächtig und kennen ihre Rechte nicht«, erklärt Rauch. »Wer aufmuckt, verliert seinen Arbeitsplatz und wird durch einen anderen ersetzt.« Unter diesen Bedingungen hält es die Gewerkschafterin für »müßig«, darüber zu diskutieren, ob die Beschäftigten sich selbst organisieren und einen Betriebsrat wählen, in die Gewerkschaft eintreten und womöglich für die Tarifbindung ihres Unternehmens in den Streik treten. »Utopisch« nennt sie das. »Die Menschen stehen in einer solchen Abhängigkeit und sind ja auch in solcher wirtschaftlicher Not, dass das nicht stattfindet.«
Die Auftraggeber weisen die Verantwortung für die Arbeitsbedingungen bei Subunternehmen von sich. Sie ziehen sich auf die Position zurück, die Einhaltung von Recht und Gesetz vertraglich festzuschreiben. Für Kontrollen seien jedoch die Behörden zuständig. Das stimmt natürlich; Gewerkschaften fordern auch seit Langem die personelle Aufstockung der zuständigen Zollabteilung. Zugleich wollen sie aber auch die Auftraggeber stärker in die Pflicht nehmen. Die Beschäftigten müssten nach Tarif bezahlt werden, unabhängig davon, ob sie beim Paketunternehmen direkt angestellt sind oder bei seinem Subunternehmen. »Wer Arbeit auslagert, muss dafür verantwortlich bleiben«, betont Rauch und verweist auf das Gesetz zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte, wie es bereits für die Fleischwirtschaft oder den Bau gilt. Danach müssen die Auftraggeber an der Spitze selbst dafür haften, dass ihre Subunternehmer die Sozialversicherungsbeiträge bezahlen. So etwas wünscht sich ver.di auch für die Paketbranche.
»Die Anwendung von Gewalt ist ein klassischer Bestandteil krimineller Strukturen, die sich auch in der Paketbranche breit machen.«