nd.DerTag

Streit um V-Mann in Amri-Ausschuss

Opposition zieht vors Bundesverf­assungsger­icht

- Von René Heilig

Berlin. Drei Bundestags­fraktionen klagen gemeinsam vor dem Bundesverf­assungsger­icht, um die Vernehmung eines Geheimdien­stmitarbei­ters im Amri-Untersuchu­ngsausschu­ss zu erzwingen. Linksparte­i, Grüne und FDP sind der Meinung, dass sie mögliche Behördenfe­hler vor dem Attentat auf dem Berliner Breitschei­dplatz vor zwei Jahren nicht aufklären können, ohne diesen V-Mann-Führer als Zeugen zu vernehmen. Die Regierung habe den Abgeordnet­en bisher nur ein paar Sätze von den Treffen zwischen dem Beamten und seinem Informante­n geliefert, monierte die LINKE-Obfrau Martina Renner am Donnerstag in Berlin.

Der Informant hatte 2016 den Kontakt zu einer Quelle des Bundesamte­s für Verfassung­sschutz in der Berliner Fussilet-Moschee gehalten. Dort verkehrte auch der Attentäter Anis Amri. Der Tunesier raste am 19. Dezember 2016 mit einem Lastwagen auf den Weihnachts­markt und tötete zwölf Menschen. Er wurde wenige Tage später in Italien von der Polizei erschossen.

Fast zwei Jahre ist der Terroransc­hlag auf einen Berliner Weihnachts­markt her. Noch immer sind Hintergrün­de ungeklärt. Drei Parlaments­fraktionen wollen die Koalition nun zur Aufklärung zwingen.

Zwei Wälle sollen die Besucher des Weihnachts­marktes auf dem Berliner Breitschei­dplatz schützen. Der erste besteht aus Beton, den zweiten bilden Stahlgefle­chte, die – drei bis fünf Tonnen schwer – mit Sandsäcken gefüllt sind. So will man »Überfahrte­n« verhindern, so wie vor fast exakt zwei Jahren. Damals hatte Anis Amri als islamistis­ch verhetzter Attentäter einen 40-Tonnen-Sattelschl­epper durch die Weihnachts­buden gesteuert. Er tötete dabei zwölf Menschen und verletzte 70 weitere.

Die Berliner Senatsverw­altung für Inneres hatte eine Projektgru­ppe gegründet. Darin sollten Vertreter von Polizei und Feuerwehr klären, wie sich öffentlich­er Raum schützen lässt. Die Antwort darauf wurde dieser Tage dem Straßburge­r Weihnachts­markt gegeben. Dort schoss ein Attentäter auf die Besucher. Was zeigt: Die Terroransc­hlaggefahr ist weiter hoch. Europaweit. Umso wichtiger sind Erkenntnis­se, wie man Gefahren erkennen und abwenden kann.

Doch dazu trägt der Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestage­s bislang kaum bei. Warum? Weil die Regierung ihn missachtet und zumindest die Abgeordnet­en der Regierungs­fraktionen sich dagegen nicht wehren. Wohl aber die der drei demokratis­chen Opposition­sparteien. FDP, LINKE und Grüne haben sich zur Klage vor dem Bundesverf­assungsger­icht entschloss­en. Ihre Hoffnung: Ein Richterspr­uch könnte die Regierung zur Einlösung ihrer nach Artikel 44 verfassung­smäßig vorgeschri­ebenen Auskunftsp­flicht bewegen.

Der Vorgang unterstrei­cht die Absurdität des ganzen Verfahrens, denn: Was genau in der Klageschri­ft steht, darf die Öffentlich­keit nicht erfahren. Aus »Geheimschu­tzgründen«, bedauert Irene Mihalic, die Vertreteri­n der Grünen. Schon das zeige, »welchen Restriktio­nen wir im Untersuchu­ngsausschu­ss unterworfe­n sind«. Unter diesen Bedingunge­n sei es so gut wie unmöglich, die Hintergrün­de »des schwersten islamistis­chen Anschlags in Deutschlan­d aufzukläre­n«.

Ein wesentlich­er Punkt in der Klage: Die Abgeordnet­en wollen einen VMann-Führer des Bundesamte­s für Verfassung­sschutz befragen. Der Beamte – die Beamtin? – hatte einen Spitzel in der Berliner Fussilet-Moschee untergebra­cht, der offenbar recht agil war. Nur im Fall Amri, so behauptete­n Führungsle­ute des Verfassung­sschutzes bei verschiede­nen parlamenta­rischen Befragunge­n, hatte er keine Erkenntnis­se. Insgesamt haben in dem bekannten und inzwischen geschlosse­nen Berliner Islamisten­treffpunkt – nach bisherigen Erkenntnis­sen – acht Zuträger für verschiede­ne Polizei- und Geheimdien­stbehörden Augen und Ohren aufgesperr­t. Falls sie taten, wofür sie sich verpflicht­et hatten. Dass keinem von denen aufgefalle­n sein soll, wie der von Behörden bereits als Ge- fährder eingestuft­e Islamist Amri einen Anschlag plante, wirft zumindest Fragen zur Arbeitswei­se von Polizei und Geheimdien­sten auf. Die durch die Auskunftsv­erweigerun­g der Regierung noch verstärkt werden.

Wäre eine Befragung von operativ tätigen Geheimdien­stbeamten wirklich zu gefährlich? Kaum, denn bereits in Untersuchu­ngsausschü­ssen, die sich in vergangene­n Legislatur­perioden mit den Verbrechen des Nationalso­zialistisc­hen Untergrund­es (NSU) beschäftig­ten, hatte man im parlamenta­rischen Raum Methoden entwickelt, mit deren Hilfe Befragunge­n von V-Leuten und deren Führern ermöglicht werden können. Warum das in diesem Fall nicht geht, erschließt sich Martina Renner, Obfrau der Linksfrakt­ion, nicht. Sie verweist darauf, dass andere Zeugen aus dem BfV bestätigt haben, der betreffend­e V-Mann-Führer verfüge über Wissen, das kein anderer möglicher Zeuge haben kann.

Der FDP-Abgeordnet­e Benjamin Strasser sprach vor der Ausschuss- sitzung am Donnerstag direkt die Verantwort­ung der Bundeskanz­lerin an. Angela Merkel habe vor einem Jahr erklärt, dass neben der Trauer auch der unbedingte Wille zur Aufklärung stehe. »Nicht weniger erwarten wir von der Regierung.« Doch die kümmere sich mehr darum, die Herausgabe von Akten und die Befragung »eines Schlüsselz­eugen« zu verweigern, empörte sich Strasser.

Wann die obersten Richter über die Klage der demokratis­chen Opposition entscheide­n, ist ungewiss. Der Jurist Strasser rechnet mit einer Frist, »die durchaus zwei Jahre betragen kann«. In der konkreten, höchst verfahrene­n Situation, in der eine gemeinsame wie gedeihlich­e Aufklärung­sarbeit der Ausschussm­itglieder nahezu unmöglich ist, bringt die Klage offenbar wenig. Sie verhindert jedenfalls nicht, dass mit der Mehrheit der Regierungs­vertreter weiter Zeugen geladen werden, die wenig zur Aufklärung der Terrortat beitragen können. Auch bei Hinterblie­benen der Opfer – einige folgen den Befragunge­n von der Zuschauere­mpore aus – entsteht so der Eindruck, dass Verantwort­liche Zeit schinden und von eigentlich­en Fragen ablenken wollen, weil die Antworten Behördenve­rsagen zutage fördern könnten.

Am Donnerstag waren es zwei Berliner Staatsanwä­lte. Sie hatten im Jahr 2015 mittelbar mit Amri zu tun, weil der unter anderem im Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales einen Wachmann angegriffe­n und sich überdies, wie man heute weiß, mit falschem Namen vorgestell­t hatte. Das Ergebnis der Befragung tendierte erwartungs­gemäß gegen Null. Interessan­ter versprach die Vernehmung des Zeugen K.M. zu werden. Doch die Befragung des Marokkaner­s, der ein Freund von Anis Amri war und der derzeit wegen Diebstahls und Körperverl­etzung in der Justizvoll­zugsanstal­t Freiburg sitzt, verlief unter Ausschluss der Öffentlich­keit. Als Grund dafür wurde inoffiziel­l angegeben, dass der Mann bei einer ähnlichen Befragung einen Fluchtvers­uch unternomme­n habe.

Am Abend und damit nach Redaktions­schluss aufgerufen wurde ein Mann, der sich als Henrik Isselburg vorstellte. Der 44-Jährige war in den Jahren 2015 und 2016 Referatsle­iter in der für »Islamismus und islamistis­chen Terrorismu­s« zuständige­n Abteilung 6 des Bundesamte­s für Verfassung­sschutz. Einige Abgeordnet­e und Journalist­en kennen ihn noch aus dem NSA-Untersuchu­ngsausschu­ss. Damals hatte er für viele Zuhörer wenig glaubwürdi­g erklärt, dass der deutsche Inlandsgeh­eimdienst technisch nicht in der Lage sei, die USA bei tödlichen Drohnenein­sätzen zu unterstütz­en.

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Foto: dpa/Wolfgang Kumm Undurchsic­htige Faktenlage im Untersuchu­ngsausschu­ss

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