Woher nehmt ihr dann den Kakao?
Die Bäuerin Elizabeth Agyei und die Aktivistin Sandra Sarkwah über die Situation der ghanaischen Kakaobauern
Frau Agyei, Sie sind Fairtrade-Kakaobäuerin. Wie sieht Ihr Arbeitsalltag in Ghana aus? Elizabeth Agyei:
Seit 20 Jahren arbeite ich jeden Tag auf unserem Stück Land. Der Anbau und die Ernte von Kakao sind mühsame Handarbeit. Zuerst müssen die Kakaofrüchte vorsichtig vom Baum geholt werden. Dann öffne ich sie, um das weiße Fruchtfleisch sowie die darin versteckten Kakaobohnen aus den Schalen zu holen. Diese lege ich dann zum Fermentieren auf Bananenblätter. Anschließend müssen sie eine Woche lang trocknen.
Das hört sich nach viel Arbeit an. Können Sie gut davon leben? Agyei:
Nein. Das Geld reicht nicht aus, was vor allem an der starken Inflation und damit an einer Preissteigerung bei vielen Produkten in Ghana liegt. Der Preis für Kakao ist jedoch gleich geblieben. Wenn die Preise für den Kakao nicht auch steigen, müssen wir bald anfangen, etwas anderes anzubauen. Aber woher nehmt ihr in Deutschland dann den Kakao für eure Schokolade? Wir wollen ja gar nicht aufhören, Kakao anzubauen, aber so können wir nicht weitermachen.
Frau Sarkwah, Sie haben den Kakaosektor in Ghana analysiert. Warum können Kakaobäuerinnen wie Frau Agyei die Bohnen nicht einfach teurer verkaufen? Sandra Sarkwah:
In Ghana können die Kakaobauern nicht einfach selbst entscheiden, an wen oder für wie viel Geld sie ihre Bohnen verkaufen. Der Kakaopreis auf dem Weltmarkt ist seit 2016 um fast 40 Prozent gefallen. Die ghanaische Regierung hat den Preis für die Bauern stabil gehalten. Er wird jedes Jahr von der Kakaobehörde festgelegt. Die Bauern haben auf die Preissetzung kaum Einfluss. Momentan sind es 475 Cedi (etwa 80 Euro) für einen Sack Kakao (64 Kilogramm). Darüber hinaus bekommen Kakaobauern, die in einer von Fairtrade zertifizierten Kooperative sind, ein bisschen mehr.
Reicht das dann für den Lebensunterhalt?
Sarkwah:
Bauern der Kooperative Kuapa Kokoo bekommen pro Sack Kakao acht Cedi (1,40 €) extra. Dabei gehen fünf Cedi direkt an die Bauern und drei Cedi an die jeweilige Kooperative, die das Geld in verschiedene Projekte investiert: für den Bau von Schulen, Sanitäranlagen und Infrastruktur. Zwar ist das ein Schritt in die richtige Richtung, aber dieses Extra reicht nicht aus, um den Lebensunterhalt sicherzustellen. Eine Studie hat kürz- lich herausgefunden, dass Kakaobauern-Familien eigentlich 395 US-Dollar bräuchten, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Selbst die Fairtrade-Bauern bekommen nur 191 USDollar. Das ist ein riesiger Unterschied. Fairtrade müsste also eigentlich fast doppelt so viel bezahlen.
Wer trägt die Verantwortung dafür? Sarkwah:
Ich würde sagen, viele verschiedene Akteure spielen eine Rolle: die ghanaische Regierung, die Schokoladenindustrie und die Konsumenten. Aber so wie die Situation im Moment ist, liegt eine Hauptverantwortung bei den Unternehmen. Wenn am Weltmarkt alles perfekt wäre, dann hätte die ghanaische Regierung keine Ausrede mehr dafür, das Geld nicht an die Bauern weiterzugeben. Wenn der Preis auf dem Weltmarkt steigen würde, dann würde das auch bei ihnen ankommen. Aber das ist nicht die Realität: Gerade gehen die meisten Gewinne an die Unternehmen und an Supermarktketten in den Industriestaaten. Die Bauern bekommen gerade einmal sechs Prozent. Das Problem ist also vor allem eine sehr ungerechte Wertschöpfungskette. Die Unternehmen könnten etwas daran ändern, indem sie mehr für den Kakao bezahlen.
Haben die Interesse daran, etwas zu ändern?
Sarkwah:
Die Unternehmen reden schon seit Jahren davon, dass sich etwas ändern soll und dass sie Verantwortung übernehmen wollen, aber man sieht bis heute nichts davon. Ohne Regulierungen, die sie auf ihre Versprechen festnageln und zwingen, diese auch einzulösen, wird sich nichts ändern. Es bräuchte Gesetze in den Ländern, in denen Schokolade konsumiert wird, damit die Unternehmen ihre Versprechen einhalten müssen.
Der deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) hat kürzlich tatsächlich so einen Vorschlag gemacht. Meinen Sie mit so einem
Gesetz wären alle Probleme gelöst?
Sarkwah: Natürlich begrüße ich so ein Gesetz. Es wäre super, wenn Unternehmen keine Materialien einführen dürfen, bei denen gegen menschenrechtliche Standards verstoßen wurde. Andererseits glaube ich aber nicht, dass damit alle Probleme gelöst wären. Ein anderes Problem ist eben auch: 90 Prozent von dem, was wir in Ghana produzieren, wird exportiert. Wir müssen anfangen, selbst Dinge zu verarbeiten und zu konsumieren.
Wie engagieren Sie sich in Ghana? Agyei:
Ich bin in der Frauengruppe einer Kooperative organisiert, die sich mehrmals im Jahr in Kumasi trifft. Dort haben wir gelernt, wie wir flüssige Seife herstellen können, Duschgel und Haarpomade. So können wir neben dem Kakaoanbau zusätzlich Geld einnehmen und damit das Schulgeld für unsere Kinder bezahlen. Daneben gibt es auch noch Treffen in der Stadt Asamankese, wo ich lebe. Ungefähr 100 Frauen treffen sich dort, um sich auszutauschen und zu vernetzen.
Sarkwah: Meine Organisation SEND unterstützt Kakaobauern durch Schulungen dabei, ihre Rechte gegenüber der ghanaischen Regierung und der Schokoladenindustrie einzufordern. Es gab schon lange davor Trainings, aber das waren eher technische Schulungen mit dem Ziel, die Produktion zu steigern. Wir wollen ihnen helfen, sich zu vernetzen, um ihre Interessen auf politischer Ebene besser vertreten zu können.
»Es bräuchte Gesetze in den Ländern, in denen Schokolade konsumiert wird, damit die Unternehmen ihre Versprechen einhalten müssen.« Sandra Sarkwah, Aktivistin aus Ghana