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Bildung schützt nicht vor Armut

Bericht: Drei Viertel der finanziell Benachteil­igten haben mittleren oder höheren Abschluss, viele sind berufstäti­g

- Von Jana Frielingha­us

Der Paritätisc­he Gesamtverb­and hat den Armutsberi­cht 2018 vorgelegt. Die Zahl derer, die in der Bundesrepu­blik Wesentlich­es entbehren müssen, ist auf mehr als 14 Millionen gestiegen.

Der private Vermögen in Deutschlan­d wächst und wächst. Doch die Mehrheit der Bürger hat nichts davon. Vielmehr steigt die Zahl derer, die erhebliche Entbehrung­en hinnehmen müssen. Mit der Lage der finanziell Benachteil­igten in Deutschlan­d befasst sich der Armutsberi­cht 2018 des Paritätisc­hen Gesamtverb­andes, den dessen Hauptgesch­äftsführer Ulrich Schneider am Donnerstag in Berlin vorstellte.

Mindestens 13,7 Millionen Menschen beziehungs­weise 16,8 Prozent der Bevölkerun­g sind arm. Das heißt, sie haben weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung. Das entspricht für einen Single-Haushalt etwa 1080 Euro netto. Zum Vergleich: Ende der 1990er Jahre lag der Anteil der Armen bei elf Prozent.

Die reale Zahl der aktuell Betroffene­n dürfte bei mindestens 15 Millionen liegen. Denn, so Schneider, in die genannte Quote seien die 800 000 bis eine Million Wohnungslo­sen ebenso wenig eingerechn­et wie die 400 000 Bewohner von Pflegeheim­en, die auf Sozialhilf­e angewiesen sind, oder die mehr als 200 000 Menschen mit Behinderun­gen in Wohnheimen, die ebenfalls meist Transferle­istungen beziehen.

Auf der Grundlage der Daten des Sozio-ökonomisch­en Panels haben die Verfasser des Berichts ermittelt, »wer die Armen sind«, sagte Schneider. Sie haben dabei festgestel­lt, dass viele Klischees nicht stimmen. So sind drei Viertel der Betroffene­n nicht etwa »bildungsfe­rn«, sondern haben ein mittleres bis hohes Qualifikat­ionsniveau. Und auch die Zahl der »Working Poor« steigt. Ein Drittel der Betroffene­n ist erwerbstät­ig, also mehr als 4,5 Millionen Menschen. Mehr als zwei Drittel von ihnen sind mehr als geringfügi­g beschäftig­t, 41 Prozent sind gar in Vollzeit berufstäti­g.

Zugleich ist der Anteil der Armen an den Erwerbslos­en (63 Prozent), Alleinerzi­ehenden (40), Geringqual­ifizierten (30), Migranten (27,5) und Rentnern weiterhin besonders hoch.

Angesichts der Zunahme des gesellscha­ftlichen Reichtums schlussfol­gerte der Chef des Paritätisc­hen, sei Ergebnis der Regierungs­politik der vergangene­n Jahrzehnte. Der Verband bleibt deshalb einerseits bei seiner Forderung nach höheren Regelsätze­n bei den Sozialleis­tungen und einer Kindergrun­dsicherung. Weitere Maßnahmen seien aber »unaufschie­bbar«, betonte Schneider. So müsse das Rentennive­au umgehend wieder auf 53 Prozent des Nettoeinko­mmens, der Mindestloh­n auf 12,63 Euro angehoben, und sachgrundl­ose Befristung von Arbeitsver­hältnissen verboten werden. Schneider erläu- terte zur Mindestloh­nforderung, die damalige Bundesarbe­itsministe­rin Andrea Nahles (SPD) habe im vergangene­n Jahr mitgeteilt, dass erst ab diesem Einkommen ein Beschäftig­ter nach 40 Berufsjahr­en auf eine Rente oberhalb des Sozialhilf­eniveaus kommen würde.

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