Nordsyrien im Fokus von Erdogan
Zankapfel ist erneut die kurdische Selbstverwaltung
Die Türkei legt es erneut auf eine Kraftprobe mit den USA an. Nichts anderes ist die Ankündigung von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan vom Mittwoch, gegen die von den Kurden selbstverwalteten Gebiete in Nordsyrien vorzugehen. Ankaras Ziel ist es dabei zu verhindern, dass sich im Grenzstreifen zur Türkei eine Art Keimzelle für einen kurdischen Staat bildet. Im eigenen Territorium im Südosten verhindert man das seit 30 Jahren mit mal mehr, mal weniger offenem Krieg. Sollte sich in Nordsyrien auch nur eine begrenzte kurdische Autonomie etablieren können, befürchtet Erdogan eine Vorbildwirkung auch für »seine« Kurden.
Das militärische Vorgehen der Türkei gegen Teile der eigenen Bevölkerung in Türkisch-Kurdistan wird von den USA seit jeher toleriert, auch von Deutschland. Die dort operierende Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) wird von beiden im Sinne Ankaras als Terrororganisation geführt – im Gegensatz zu den kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) in Nordsyrien, obwohl diese eng verbunden sind mit der PKK. Seit vier Jahren unterstützen die USA vor allem mit Luftangriffen, aber auch Ausbildern und anderen Spezialkräften am Boden die YPG.
Eine einseitige Militäraktion wäre inakzeptabel, zumal sich US-Einheiten dort aufhalten.
US-Verteidigungsministerium gegenüber Ankara
Die USA haben keineswegs ihr Herz für den Kampf der Kurden um Selbstbestimmung entdeckt hätten. Aber das Streben nach Eigenständigkeit der des PKK-Ablegers YPG findet nun mal in Syrien statt. Und die USA haben nach wie vor das Ziel, dessen mit Russland verbundene Führung zu stürzen.
Dazu braucht man dort einen Fuß in der Tür. Nachdem aber in der Vergangenheit Versuche misslangen, in Syrien Oppositionsgruppen gegen Staatspräsident Baschar al-Assad aufzubauen, setzt Washington seit einiger Zeit auf die wie in den Nachbarländern Irak und Türkei auch in Syrien gegen den Zentralstaat opponierenden Kurden. Zupass kommt dabei, dass die syrischen Kurden von den Banden des Islamischen Staats bedrängt wurden und man also in den USA die Unterstützung der YPG als Anti-Terror-Krieg verkaufen kann.
Auch Erdogan spricht stets von Anti-Terror-Krieg, wenn er gegen Kurden, ob PKK in der Türkei oder YPG in Syrien, vorgeht, auch jetzt wieder. Er fühlt sich brüskiert, weil die USA in jüngster Zeit an der Grenze zur Türkei, aber auf syrischem Gebiet »Beobachtungsposten« errichtet haben. Offenbar soll so verhindert werden, dass, wie bereits im März der kurdisch-syrische Distrikt Afrin, ein weiteres Kurdengebiet türkisch überrollt bzw. von türkischhörigen syrischen Milizen dem Herrschaftsbereich der YPG entzogen wird. Damals ließen die Türken den USBeratern Wege, um sich unversehrt zurückziehen zu können. Washington beließ es seinerzeit bei ärgerlichen Reaktionen über die von der verbündeten Türkei öffentlich bezogene Ohrfeige.
Danach sieht es auch dieses Mal aus. Man halte eine einseitige militärische Aktion der Türkei für inakzeptabel, hieß es aus Washington. Das riecht nach Kleinbeigeben. Dass dies alles völlig völkerrechtswidrig auf syrischem Boden geschieht und weiter geschehen soll, scheint keine der beteiligten Seiten zu interessieren.