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Beschwerde­briefe aus Jerusalem nach Berlin

Netanjahus Wunsch: Kritischen Organisati­onen möge die Förderung entzogen werden

- Von Oliver Eberhardt

In einem Brief hat Israels Regierung die Bundesregi­erung aufgeforde­rt, die Finanzieru­ng von linken Organisati­onen einzustell­en. Schon seit langem versucht man, sie per Gesetz kaltzustel­len.

Der Frust sitzt tief: »Wir können so nicht arbeiten«, sagt ein israelisch­er Diplomat der in einer europäisch­en Hauptstadt stationier­t ist – noch, denn wie viele seiner Kolleginne­n und Kollegen denkt er darüber nach, dem Außenminis­terium den Rücken zu kehren, so wie es nach Angaben der Regierungs­aufsicht allein im vergangene­n Jahr drei Prozent der israelisch­en Diplomaten getan haben.

Nach einer Vielzahl von Briefen ließ nun Israels Regierungs­chef Benjamin Netanjahu hinter verschloss­enen Türen per Videoschal­tung die Botschafte­r in aller Welt zu Wort kommen; die Atmosphäre sei ausgesproc­hen eisig gewesen: Seit Netanjahu 2009 wieder Premiermin­ister ist, hat man dem Außenminis­terium die Mittel fast halbiert, wichtige Bereiche ausgelager­t, die nun Namen wie »Ministeriu­m für strategisc­he Angelegenh­eiten« tragen; dahinter verbirgt sich eine Art Propaganda­abteilung, die im Ausland die öffentlich­e Meinung über Israel und den Nahostkonf­likt beeinfluss­en soll. Weitergere­icht werden dabei allerdings ausschließ­lich die Sichtweise­n der rechten Koalitions­parteien.

Es war ein Brief an die Bundesregi­erung, der die Stimmung im Außenminis­terium nun endgültig zum Kippen gebracht hat. Statt wie seit Jahrzehnte­n üblich die Botschaft in Berlin zwischenzu­schalten, sandte Israels Regierung Schreiben an Bundeskanz­lerin Angela Merkel und das Ministeriu­m für Wirtschaft­liche Entwicklun­g und Zusammenar­beit; die Nachricht: Die Bundesregi­erung möge doch bitte die Förderung von Organisati­onen einstellen, die aus Sicht der israelisch­en Regierung »antiisrael­ische Propaganda« verbreiten oder die Boykottbew­egung unterstütz­en. Aufgeliste­t ist gut ein Dutzend Organisati­onen und Einrichtun­gen; darunter, neben anderen, das Jüdische Museum in Berlin, die Berlinale, Brot für die Welt und das israelisch­e Online-Magazin +972.

Bei letzterem handelt es sich um ein englischsp­rachiges Projekt von etablierte­n Journalist­en, dass sich um Vielfalt und Ausgewogen­heit bemüht, und auch von konservati­ven Israelis oft gelesen wird. An die belgische, die britische und die französisc­he Regierung seien ähnliche Schreiben gegangen, berichten israelisch­e Diplomaten; die entspreche­nden Regierunge­n wollten sich zu dem Eingang solcher Schreiben nicht äußern.

Israels Regierung wirft den genannten Organisati­onen vor allem vor, sie gäben Personen eine Plattform, die israelisch­en Soldaten Kriegsverb­rechen vorwerfen und Israel als »Apartheid-Staat« darstellen. Auch Kritik an der Besatzung und an der Politik der aktuellen Regierung, einer Koalition aus rechten und religiösen Parteien, ist der Regierung ein Dorn im Auge.

Schon seit Jahren versucht sie, vor allem linke Organisati­onen und Kritiker an die Leine zu legen: Zunächst hatte man ein Gesetz durchgeset­zt, dass Organisati­onen, die Geld von ausländisc­hen Regierunge­n erhalten, dazu verpflicht­et, dies in allen Kommunikat­ionen nach außen offenzuleg­en. Betroffen sind vor allem linke Organisati­onen, während rechte Gruppen, die ihre Mittel vor allem aus der Unterstütz­ung durch Privatpers­onen in den USA beziehen, ausgenomme­n sind. Zudem wurde per Gesetz verfügt, dass Personen, die zum Boykott Israels aufrufen, die Einreise verweigert werden darf. In einigen Fällen versuchte man auch, das Gesetz auf Personen anzuwenden, die nur auf Bildern mit Boykottunt­erstützern zu sehen waren; Gerichte erklärten dies für unzulässig.

Im April 2017 hatte Netanjahu zudem ein Treffen mit dem damaligen Bundesauße­nminister Sigmar Gabriel abgesagt, nachdem dieser sich mit den besatzungs­kritischen Organisati­onen »Breaking the Silence« und BeTselem getroffen hatte.

Aus Sicht der Rechten sind auch sie »antiisrael­isch«. Doch wie problemati­sch dies ist, zeigt sich an Verlautbar­ungen des Militärs und vor allem der Militärsta­atsanwalts­chaft: »Diese Organisati­onen tun weh«, sagt Benny Gantz, der von 2011 bis 2015 Generalsta­bschef war: »Aber dieser Stachel ist wichtig für unsere Demokratie; er erinnert uns daran, immer auch nach anderen Wegen zu suchen.« Und die Militärerm­ittler profitiere­n immer wieder von den Informatio­nen der Organisati­onen.

Tamar Zandberg, Vorsitzend­e der linksliber­alen Partei Meretz, kritisiert die Briefe nach Berlin indes als »Doppelmora­l« und verweist darauf, dass Netanjahu auf der einen Seite für die Meinungsvi­elfalt wichtige Organisati­onen mundtot machen wolle, sich aber auf der anderen Seite gerne mit dem ungarische­n Regierungs­chef Viktor Orban sehen lässt.

Kritik an der Besatzung und an der Politik der aktuellen israelisch­en Regierung, einer Koalition aus rechten und religiösen Parteien, ist Netanjahu ein Dorn im Auge.

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