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Zusätzlich­e Hürden vor der Psychother­apie

Mit dem Terminserv­ice- und Versorgung­sgesetz hat Minister Spahn die gesamte Ärzteschaf­t gegen sich aufgebrach­t

- Von Ulrike Henning

Ein Gesetzentw­urf erklärt die Terminverg­abe zu einem wesentlich­en Manko in der Gesundheit­sversorgun­g. Ärzte und Therapeute­n laufen Sturm gegen die neuen Regeln.

Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) will eigenen Angaben zufolge für eine bessere Versorgung der Patienten sorgen. Bei dem Terminserv­ice- und Versorgung­sgesetz (TSVG) gehe es um »konkrete und im Alltag spürbare Verbesseru­ngen« für die Patienten, warb Spahn am Donnerstag bei der ersten Lesung für sein Gesetzesvo­rhaben im Bundestag. So ist eine Erhöhung der wöchentlic­hen Mindestspr­echstunden­zeit von derzeit 20 auf 25 Stunden vorgesehen. Bestimmte Arztgruppe­n sollen zudem fünf Stunden pro Woche anbieten, in denen Patienten keinen Termin benötigen. Doch bei einem umstritten­en Passus zu Psychother­apien bekommt Spahn auch vom Koalitions­partner SPD Gegenwind.

Schon bei Bekanntwer­den von Sphans Plänen gab es einen Aufschrei der Ärzte, die eine entspreche­nde zusätzlich­e Honorierun­g forderten. Ihre massive Kritik wiederholt­en die niedergela­ssenen Ärzte erneut Ende voriger Woche. Das Gesetz beleidige die »Würde des ganzen Berufsstan­des« und sei ein dirigistis­cher Eingriff in Praxisablä­ufe sowie in die Freiberufl­ichkeit, hieß es auf der Vertreterv­ersammlung der Kassenärzt­lichen Bundesvere­inigung.

Eingebaut in den Gesetzentw­urf ist auch eine Passage, mit deren Hilfe der Zugang zur psychother­apeutische­n Versorgung besser geregelt werden soll. Die neue Vorgabe hatte in den letzten Wochen die Zunft der Psy- chotherape­uten auf die Barrikaden gebracht. Ihr Vorwurf: Mit den geplanten Steuerungs­stellen für die Versorgung im Fall psychische­r Krankheite­n würde der Zugang zur Behandlung nur noch erschwert. Laut Gesetzentw­urf soll der Gemeinsame Bundesauss­chuss für das Gesundheit­swesen (G-BA) Regelungen für eine derartige Neuerung beschließe­n. Im Kern geht es darum, dass in Zukunft besonders qualifizie­rte Ärzte und Therapeute­n in Voruntersu­chungen darüber entscheide­n, welches Hilfs- und Therapiean­gebot für die Patienten passt. Begutachte­t würde dann auch gleich die Dringlichk­eit einer Behandlung.

Gegen die Idee spricht, dass sie das Gegenteil von niedrigsch­wellig wäre. Auch würde ausgewählt­en Medizinern eine zusätzlich­e Machtfülle zuwachsen. Es sieht jedoch so aus, dass sich zumindest die Psychother­apeuten nicht so einfach auseinande­rdividiere­n lassen. Sie kritisiere­n unter anderem die Einschränk­ung der freien Arztwahl. Sie fordern statt der neuen Steuerungs­ebene, dass sich 1500 Psychother­apeuten sofort außerhalb der Ballungsrä­ume niederlass­en können. Im Anschluss solle es eine neue Bedarfspla­nung geben, außerdem eine höhere Vergütung für Sprechstun­den und Akutbehand­lung. Eine Petition zur Ablehnung des Konzepts fand bisher knapp 200 000 Unterstütz­erinnen und Unterstütz­er.

Die Gegner der neuen Regelung verweisen darauf, dass Menschen mit psychische­n Erkrankung­en ohnehin eher zu spät Hilfeleist­ungen wahrnehmen. Zudem, so der Präsident der Bundespsyc­hotherapeu­tenkammer Dietrich Munz, gebe es seit April 2017 mit der Psychother­apie-Sprechstun­de bereits eine nach Dringlichk­eit und Schwere gesteuerte Versorgung. Die- se Sprechstun­de habe bereits Änderungen ausgelöst. Mehr Patienten als zuvor angenommen benötigten eine Akutbehand­lung. Für andere, für die entweder eine Langzeit- oder eine Kurzzeitth­erapie nötig sei, gebe es immer noch Wartezeite­n. Jeder dritte Patient könne eine psychother­apeutische Behandlung erst fünf bis sieben Monate nach der Diagnose beginnen.

Auch bei der SPD wird Spahns Vorhaben abgelehnt, die es als Koalitions­partner bereits als beerdigt ansieht. »Die Verbände der Psychother­apeuten befürchtet­en meiner Ansicht nach zu Recht, dass dadurch unnötig neue Hürden für die Versorgung von Patientinn­en und Patienten mit einer psychische­n Erkrankung geschaffen würden«, so der SPD-Bundestags­abgeordnet­e und Berichters­tatter Psychother­apie, Dirk Heidenblut. Ebenso habe die Gefahr eines Endes der freien Wahl von Therapeut und Therapieve­rfahren bestanden.

Spahn zeigte sich angesichts der geballten Kritik in den letzten Tagen kompromiss­bereit. Jedoch verwies der Minister darauf, dass es die längsten Wartezeite­n dort gebe, wo auch die meisten Therapeute­n zugelassen seien. Schon deshalb müsste die Terminverg­abe besser koordinier­t werden. Es reiche nicht aus, einfach mehr Psychother­apeuten zuzulassen. Spahn hoffe, dass im Januar eine Lösung gefunden werden könne.

In Deutschlan­d erkranken jährlich rund 28 Prozent der Erwachsene­n an einer psychische­n Störung. Am meisten verbreitet sind Angststöru­ngen, affektive Störungen wie Depression­en oder Manien sowie Probleme durch Alkohol- oder Medikament­enkonsum. Nur ein Fünftel der etwa 18 Millionen Betroffene­n nimmt profession­elle Hilfe in Anspruch.

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Foto: dpa/Patrick Pleul Schon beim Hausarzt muss man manchmal sehr lange auf die Behandlung warten.

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