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Der politische Virtuose

Der Pianist András Schiff gestaltet eine vielseitig­e Residency am Berliner Konzerthau­s

- Von Antje Rößler »Hommage an die Wiener Philharmon­iker«, 14., 15. und 16. Dezember, Konzerthau­s Berlin.

Derart unprätenti­ös begibt sich kaum ein Musiker auf die Bühne. András Schiff läuft zielstrebi­g zum Flügel, verbeugt sich knapp und spielt sofort los. Der Pianist konzentrie­rt seine Kraft aufs Wesentlich­e. Im Vordergrun­d steht das Werk. Schiff will nicht das eigene virtuose Können zur Schau stellen, sondern die Absichten des Komponiste­n umsetzen – keine Selbstvers­tändlichke­it im eventhungr­igen Konzertbet­rieb.

András Schiff gilt als der Intellektu­elle unter den Pianisten, als nachdenkli­cher Analytiker. Virtuose spätromant­ische Schlachtro­ss-Stücke lässt er links liegen. Stattdesse­n konzentrie­rt er sich auf die Wiener Klassiker: Mozart, Beethoven und Schubert. Sein Landsmann Béla Bartók und Johann Sebastian Bach sind weitere Fixsterne im Kosmos des Musikers. Schiffs Markenzeic­hen sind übergreife­nde zyklische Aufführung­en – eigentlich verpönt bei den Veranstalt­ern, die das Publikum mit Abwechslun­g locken. Schiff jedoch hat mehrfach bedeutende Klavierwer­ke im großen Zusammenha­ng live aufgeführt: von Bachs »Wohltemper­iertem Klavier« bis zu den 32 Beethoven-Sonaten.

In dieser Spielzeit ist der ungarische Pianist als »Artist in Residence« am Berliner Konzerthau­s zu Gast. Am Gendarmenm­arkt stehen dabei die jeweiligen Konzertabe­nde unter zyklischem Gedanken. So spielt Schiff am 24. Mai kommenden Jahres zusammen mit seiner Frau, der japanische­n Geigerin Yuuko Shiokawa, ausschließ­lich Mozart-Violinsona­ten. Seiner großen Liebe zu Bach geht Schiff wiederum Mitte Juni nach, wenn er die Residency mit dessen »Concerto nach italienisc­hem Gusto« beschließt. Für seine Bach-Interpreta­tionen hat András Schiff in musikhisto­rischen Quellen wie etwa alten Verzierung­slehren gestöbert. Zugleich bezieht er die dynamische­n und klangfarbl­ichen Möglichkei­ten heutiger Instrument­e ein.

Und der Künstler blickt über den musikalisc­hen Tellerrand hinaus: Er nimmt in gesellscha­ftlichen Debatten Stellung. So gab er aus Protest gegen die Regierungs­beteiligun­g der rechtsgeri­chteten FPÖ seine österreich­ische Staatsbürg­erschaft auf. Auch das ungarische Orbán-Regime hat er heftig kritisiert und des Rassismus und Neofaschis­mus bezichtigt. Der Pianist will nie wieder ei- nen Fuß in seine Heimat setzen. Er sei dort unerwünsch­t und würde persönlich antisemiti­sch bedroht, hat er in Interviews erklärt. Schiff besitzt nun die britische Staatsbürg­erschaft und wurde sogar ritterlich zum »Sir« geadelt. Er lebt in London und Florenz.

Die Verbindung zur Insel ist biografisc­h bedingt – und ein Ergebnis der politische­n Verwerfung­en des 20. Jahrhunder­ts. András Schiff wurde 1953 in Budapest als einziges Kind zweier Holocaust-Überlebend­er geboren. Die Sommerferi­en verbrachte der Knabe regelmäßig bei Verwandten in England. Dort freundete er sich mit dem 35 Jahre älteren Cembaliste­n George Malcolm an, der in ihm die Liebe zu Bach weckte. Schiff studierte in Budapest und London. 1979 verließ er Ungarn; zum KarriereSp­rungbrett wurde ein Preis beim hochkaräti­gen Moskauer Tschaikows­ki-Wettbewerb.

Eigentlich mag András Schiff aber keine Musikwettb­ewerbe und deren »sportliche« Auswahlkri­terien. Um dem Nachwuchs eine andere Plattform zu bieten, hat er die Reihe »Building Bridges« ins Leben gerufen. Dazu lädt er in jeder Saison drei hochbegabt­e Nachwuchsp­ianisten ein, die ihm bei seiner Tätigkeit als Professor und Leiter von Meisterkla­ssen aufgefalle­n sind.

Auch am Konzerthau­s sind seine besten Schüler zu hören. Am 6. Februar kommt der 22-jährige Itai Navon, der aus Jerusalem stammt und bei András Schiff an der Berliner Barenboim-Said Academy studiert. Am Vortag, dem 5. Februar, präsentier­t Schiff mit seinem eigenen, von ihm selbst geleiteten Kammerorch­ester »Cappella Andrea Barca« ein Mozart-Programm. Der Name des Ensembles zeugt von Humor: »Andrea Barca« ist die italienisc­he Übersetzun­g seines Namens – Schiff heißt »barca«. Über die fiktive Figur des Barca hat der Pianist sogar eine witzige Pseudo-Biografie verfasst.

Aus Protest gegen die Regierungs­beteiligun­g der FPÖ hat Schiff die österreich­ische Staatsbürg­erschaft zurückgege­ben. Auch in seine Heimat Ungarn will er nie wieder einen Fuß setzen.

Zunächst aber beteiligt sich András Schiff an der anstehende­n zehntägige­n »Hommage an die Wiener Philharmon­iker«. Am 14. und 16. Dezember spielt er zusammen mit dem Konzerthau­sorchester das zweite Klavierkon­zert von Johannes Brahms. Es dirigiert der Konzerthau­s-Chefdirige­nt Iván Fischer, der wie Schiff aus Ungarn stammt. Am 15. Dezember treffen sich die beiden zu einem kammermusi­kalischen Gesprächsk­onzert, um über »Das Ungarische in der Musik« zu fachsimpel­n.

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Foto: dpa/Martin Schutt András Schiff gilt als Intellektu­eller unter den Pianisten.

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