Der politische Virtuose
Der Pianist András Schiff gestaltet eine vielseitige Residency am Berliner Konzerthaus
Derart unprätentiös begibt sich kaum ein Musiker auf die Bühne. András Schiff läuft zielstrebig zum Flügel, verbeugt sich knapp und spielt sofort los. Der Pianist konzentriert seine Kraft aufs Wesentliche. Im Vordergrund steht das Werk. Schiff will nicht das eigene virtuose Können zur Schau stellen, sondern die Absichten des Komponisten umsetzen – keine Selbstverständlichkeit im eventhungrigen Konzertbetrieb.
András Schiff gilt als der Intellektuelle unter den Pianisten, als nachdenklicher Analytiker. Virtuose spätromantische Schlachtross-Stücke lässt er links liegen. Stattdessen konzentriert er sich auf die Wiener Klassiker: Mozart, Beethoven und Schubert. Sein Landsmann Béla Bartók und Johann Sebastian Bach sind weitere Fixsterne im Kosmos des Musikers. Schiffs Markenzeichen sind übergreifende zyklische Aufführungen – eigentlich verpönt bei den Veranstaltern, die das Publikum mit Abwechslung locken. Schiff jedoch hat mehrfach bedeutende Klavierwerke im großen Zusammenhang live aufgeführt: von Bachs »Wohltemperiertem Klavier« bis zu den 32 Beethoven-Sonaten.
In dieser Spielzeit ist der ungarische Pianist als »Artist in Residence« am Berliner Konzerthaus zu Gast. Am Gendarmenmarkt stehen dabei die jeweiligen Konzertabende unter zyklischem Gedanken. So spielt Schiff am 24. Mai kommenden Jahres zusammen mit seiner Frau, der japanischen Geigerin Yuuko Shiokawa, ausschließlich Mozart-Violinsonaten. Seiner großen Liebe zu Bach geht Schiff wiederum Mitte Juni nach, wenn er die Residency mit dessen »Concerto nach italienischem Gusto« beschließt. Für seine Bach-Interpretationen hat András Schiff in musikhistorischen Quellen wie etwa alten Verzierungslehren gestöbert. Zugleich bezieht er die dynamischen und klangfarblichen Möglichkeiten heutiger Instrumente ein.
Und der Künstler blickt über den musikalischen Tellerrand hinaus: Er nimmt in gesellschaftlichen Debatten Stellung. So gab er aus Protest gegen die Regierungsbeteiligung der rechtsgerichteten FPÖ seine österreichische Staatsbürgerschaft auf. Auch das ungarische Orbán-Regime hat er heftig kritisiert und des Rassismus und Neofaschismus bezichtigt. Der Pianist will nie wieder ei- nen Fuß in seine Heimat setzen. Er sei dort unerwünscht und würde persönlich antisemitisch bedroht, hat er in Interviews erklärt. Schiff besitzt nun die britische Staatsbürgerschaft und wurde sogar ritterlich zum »Sir« geadelt. Er lebt in London und Florenz.
Die Verbindung zur Insel ist biografisch bedingt – und ein Ergebnis der politischen Verwerfungen des 20. Jahrhunderts. András Schiff wurde 1953 in Budapest als einziges Kind zweier Holocaust-Überlebender geboren. Die Sommerferien verbrachte der Knabe regelmäßig bei Verwandten in England. Dort freundete er sich mit dem 35 Jahre älteren Cembalisten George Malcolm an, der in ihm die Liebe zu Bach weckte. Schiff studierte in Budapest und London. 1979 verließ er Ungarn; zum KarriereSprungbrett wurde ein Preis beim hochkarätigen Moskauer Tschaikowski-Wettbewerb.
Eigentlich mag András Schiff aber keine Musikwettbewerbe und deren »sportliche« Auswahlkriterien. Um dem Nachwuchs eine andere Plattform zu bieten, hat er die Reihe »Building Bridges« ins Leben gerufen. Dazu lädt er in jeder Saison drei hochbegabte Nachwuchspianisten ein, die ihm bei seiner Tätigkeit als Professor und Leiter von Meisterklassen aufgefallen sind.
Auch am Konzerthaus sind seine besten Schüler zu hören. Am 6. Februar kommt der 22-jährige Itai Navon, der aus Jerusalem stammt und bei András Schiff an der Berliner Barenboim-Said Academy studiert. Am Vortag, dem 5. Februar, präsentiert Schiff mit seinem eigenen, von ihm selbst geleiteten Kammerorchester »Cappella Andrea Barca« ein Mozart-Programm. Der Name des Ensembles zeugt von Humor: »Andrea Barca« ist die italienische Übersetzung seines Namens – Schiff heißt »barca«. Über die fiktive Figur des Barca hat der Pianist sogar eine witzige Pseudo-Biografie verfasst.
Aus Protest gegen die Regierungsbeteiligung der FPÖ hat Schiff die österreichische Staatsbürgerschaft zurückgegeben. Auch in seine Heimat Ungarn will er nie wieder einen Fuß setzen.
Zunächst aber beteiligt sich András Schiff an der anstehenden zehntägigen »Hommage an die Wiener Philharmoniker«. Am 14. und 16. Dezember spielt er zusammen mit dem Konzerthausorchester das zweite Klavierkonzert von Johannes Brahms. Es dirigiert der Konzerthaus-Chefdirigent Iván Fischer, der wie Schiff aus Ungarn stammt. Am 15. Dezember treffen sich die beiden zu einem kammermusikalischen Gesprächskonzert, um über »Das Ungarische in der Musik« zu fachsimpeln.