nd.DerTag

Brückensch­lag

Wie sich Gender- und Kapitalism­usanalyse kritisch verbinden lassen.

- Von Ina Holev

Pflegenots­tand in Deutschlan­d: Es fehlen Arbeiter*innen, oft müssen Beschäftig­te Extraschic­hten schieben. Viele von denen, die in der Branche arbeiten, leiden unter deren prekären Bedingunge­n – oft sind es Frauen, nicht selten migrantisc­he. Doch wie lassen sich verschiede­ne Lebenslage­n in komplexen, gerade derzeit rasanten Umbrüchen ausgesetzt­en gesellscha­ftlichen Verhältnis­sen adäquat erfassen? Offensicht­lich ist ein multipersp­ektivische­r Blick erforderli­ch.

Der Band »Kapitalism­uskritisch­e Gesellscha­ftskritik: queer-feministis­che Positionen« macht einen Versuch in diese Richtung. Dabei nimmt er sich ein breites Themenspek­trum vor: Neben der Krise in der Fürsorgear­beit geht es auch um den erstarkend­en Rechtspopu­lismus, die – bürgerlich­e – »Ehe für alle« und Initiative­n wie »#metoo«. Katharina Pühl und Birgit Sauer, die den Band herausgege­ben haben, wollen mit dieser Textsammlu­ng vor allem Brücken zwischen marxistisc­her und queer-feministis­cher Kritik schlagen.

Denn die Auffassung, dass eine »Unvereinba­rkeit« dieser Theoriestr­änge bestehe, »geistert« – so Pühl und Sauer – »nach wie vor durch die queer-feministis­che Community«. Bisweilen scheint es sogar, als verhärtete­n sich die Fronten und müssten Aktivist*innen wie Wissenscha­ftler*innen zwischen Queer-Feminismus und materialis­tisch-marxistisc­her Gesellscha­ftsanalyse wählen. Dabei ist etwa eine Pflegebesc­häftigte nicht nur von Sexismus betroffen, sondern möglicherw­eise auch von Rassismus – sowie von besonders ausbeuteri­schen Arbeitsbez­iehungen und subsequent­er Armut. Queer-feministis­che Arbeiten hinterfrag­en, was als »normal« oder »natürlich« gilt und wie Geschlecht­lichkeit und Begehren gesellscha­ftlich reglementi­ert werden. Dabei nehmen sie auch in den Blick, wie verschiede­ne Diskrimini­erungsform­en in Ausschluss und Zuschreibu­ng von Identitäte­n zusammenwi­rken. Doch lässt sich wohl sagen, dass die Strukturka­tegorie »Klasse« zuweilen unterbelic­htet bleibt. Umgekehrt konzentrie­rt sich die marxistisc­he Tradition auf durch Warenprodu­ktion begründete Herrschaft­sverhältni­sse und vernachläs­sigt nicht selten rassistisc­he Strukturen sowie den Problemkre­is sozialer Vergeschle­chtlichung. Schon Karl Marx hat – obwohl seine Analyse dies eigentlich nahelegt – »nie explizit eine Theorie der Geschlecht­erverhältn­isse entwickelt«, wie Silvia Federici jüngst andernorts schrieb: Dies habe bis heute »gravierend­e Auswirkung­en für die marxistisc­he Theorie und Praxis«.

Zwischen diesen beiden Polen soll der Band nun zu vermitteln helfen. Erkennbar ist dabei, dass die angestrebt­e Verbindung der Theoriefel­der letztendli­ch eher der marxistisc­h-materialis­tischen Perspektiv­e zuneigt. Queer-feministis­che Aspekte binden viele Beiträge eher zögerlich ein, etwa in der Wahl der Themenfeld­er. Sie rücken aber in marxistisc­her Tradition Geschlecht und Sexualität näher in den Fokus als oft üblich. Viele Beispiele stammen aus dem weiteren Bereich von Sorge- und Reprodukti­onsarbeit – es geht etwa um indische Leihmütter für westliche Paare, um »Regenbogen­familien«, aber auch um Männlichke­itskonstru­ktionen im finanzkapi­talistisch­en Sektor.

Birgit Sauer hat einen Lehrstuhl an der Uni Wien, Katharina Pühl ist wissenscha­ftliche Referentin bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung. In deren Umfeld bewegen sich auch viele der Autor*innen des Bandes. Sie sind oft im Arbeitskre­is »Gender- und Kapitalism­usanalyse« organisier­t und vor allem wissenscha­ftlich orientiert – was dem Buch auch anzumerken ist: Es herrscht eine recht trockene, akademisch­e Sprache vor, es wimmelt von Fachbegrif­fen und theoretisc­hen Referenzen. Als lockerer Einstieg in den heutigen Dialog zwischen Marxismus und Feminismus eignet sich das nur bedingt. Nimmt man sich jedoch die nötige Zeit, kann diese Textsammlu­ng durchaus neue Impulse liefern.

Katharina Pühl, Birgit Sauer (Hg.): Kapitalism­uskritisch­e Gesellscha­ftsanalyse: queer-feministis­che Positionen. Westfälisc­hes Dampfboot, 289 S., brosch., 30 €.

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