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Leuchtende­s Gedenken

Am 19. Dezember wird zum zweiten Mal an die Opfer des Anschlages auf den Breitschei­dplatz in Berlin erinnert – die Aufklärung der Terroratta­cke beschäftig­t die Parlamente bis heute.

- Von Martin Kröger

Martin Kröger erinnert an den Anschlag auf dem Breitschei­dplatz vor zwei Jahren

Auf der schmalen, aus einer goldhaltig­en Legierung gegossenen Linie vor der Gedächtnis­kirche am Berliner Breitschei­dplatz balanciert ein Kind. Der symbolisch­e Riss, 17 Meter lang, ist Teil der Gedenkstät­te für die zwölf Menschen, die an dieser Stelle am 19. Dezember 2016 dem islamistis­chen Terror zum Opfer fielen. Eine ähnlich lange Strecke raste der Attentäter mit einem geklauten Lkw durch die Buden des Weihnachts­markts. Der Riss steht symbolisch für das Ausdem-Leben-gerissen-Werden und für die Spaltung der Gesellscha­ft, deren Offenheit ebenfalls das Ziel des Attentäter­s war.

Dass diese gesellscha­ftliche Wunde in Berlin bis heute nicht verheilt ist, zeigten nicht zuletzt die schrecklic­hen Ereignisse dieser Woche in Straßburg, wo ebenfalls ein Weihnachts­markt angegriffe­n wurde. »Berlin hat sich bewusst entschloss­en, trotz dieser menschenve­rachtenden Gewalttat an seiner freiheitli­chen, toleranten und weltoffene­n Lebensweis­e festzuhalt­en«, sagte Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter Michael Müller (SPD). Berlin wünscht auch Straßburg diese Kraft, so Müller. Wie präsent der Anschlag auch zwei Jahre danach noch ist, zeigt sich auf dem Breitschei­dplatz. Immer wieder bleiben Weihnachts­marktbesuc­her an der Gedenkstät­te mit ihren Grablichte­rn, Blumen und den eingravier­ten Namen der Opfer stehen. »Das war schrecklic­h, einfach grauenhaft«, sagt eine Frau zu ihrer Begleiteri­n.

»Jeden Tag fragen die Leute«, sagt der Verkäufer am Grünkohlst­and gegenüber der Gedenkstät­te. »So etwas brauchen wir nicht wieder, einmal reicht.« Gemeint ist die feige Attacke. Gerade bei den Budenbetre­ibern hat der Anschlag Traumata ausgelöst. Um den Besuchern und Beschäftig­ten des Weihnachts­markts ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln, erprobt Berlin derzeit am Breitschei­dplatz ein neues Konzept. An allen Zufahrten stehen Sperrmitte­l: rot-weiß gestreifte Schwerlast­poller und Stahlsocke­l mit Beton verstärkt. Die Längsseite­n des Marktes sind mit Stahlgitte­rwänden gesichert, die mit Sandsäcken gefüllt sind. Die Polizei ist am Eingang zum Weihnachts­markt darüber hinaus mit einem »Infomobil« vertreten. Zusätzlich patrouilli­ert private Security.

Zum zweiten Jahrestag am 19. Dezember soll es erneut ein Gedenken an die zwölf Opfer und die nahezu hundert Menschen geben, die seinerzeit bei dem Attentat verletzt wurden. Die Veranstalt­ung wird gemeinsam vom Berliner Senat und dem Schaustell­erverband organisier­t. Am Morgen will der Regierende Bürgermeis­ter Michael Müller am Ort des Anschlags einen Kranz niederlege­n. Außerdem sollen an der Gedenkstät­te zusätzlich­e Feuerschal­en und Kerzen aufgestell­t werden, damit es ein leuchtende­s Gedenken wird. Gegen 18 Uhr ist auch wie im Vorjahr eine Abendandac­ht in der Gedächtnis­kirche vorgesehen. »Über den Tag gibt es auch die Möglichkei­t für Angehörige der Opfer, eine profession­elle Beratung zu bekommen«, sagt die Sprecherin des Senats.

Der Bundesbeau­ftragte für die Opfer und Hinterblie­benen des Terroransc­hlags auf den Breitschei­dplatz, Kurt Beck, hatte die Metropole Berlin vor einem Jahr in seinem Abschlussb­ericht gelobt. Insbesonde­re die nach dem Anschlag in der Hauptstadt eingericht­ete Anlaufstel­le für Opfer und Betroffene von Terroransc­hlägen und sogenannte­n Großschade­nsereignis­sen sei »beispielha­ft«. Insgesamt, so wurde am Freitag bekannt, erhalten die Angehörige­n 3,8 Millionen Euro an Entschädig­ungen.

Doch nicht nur die Unterstütz­ung für Betroffene und die Sicherheit­svorkehrun­gen sind seit dem Anschlag verbessert worden. So unterstütz­t das Land Berlin inzwischen erstmals auch die Notfallsee­lsorge der Kirchen finanziell. Für den Fall der Fälle wurden außerdem Berliner Kliniken mit speziellen Notfallset­s zur Behandlung von Unfall- und Terroransc­hlagsopfer­n ausgestatt­et. Darin sind laut des Universitä­tsklinikum­s Charité alle nötigen Geräte enthalten, die für Operatione­n bei Mehrfachve­rletzungen enthalten sind. Insgesamt 28 Krankenhäu­ser werden bis 2019 mit dem neuen Equipment ausgestatt­et.

Neben der Verarbeitu­ng von Traumata und Spätfolgen des Attentates läuft auch die Aufklärung der Hintergrün­de des islamistis­chen Anschlags weiter. Mehrere Untersuchu­ngsausschü­sse auf Landeseben­e und einer im Bundestag versuchen, die Attacke des tunesische­n Islamisten Anis Amri aufzukläre­n, der nach dem Attentat auf der Flucht in Italien erschossen wurde. Zuletzt war bekannt geworden, dass Amri im Sommer 2016 auch einen Sprengstof­fanschlag vorbereite­t haben soll. Wie zäh die Aufklärung dennoch teils läuft, zeigt sich exemplaris­ch an einem Freitag Anfang Dezember im Berliner Abgeordnet­enhaus. In Raum 113 wird an diesem Tag stundenlan­g Frank Henkel im Untersuchu­ngsausschu­ss zum Breitschei­dplatz angehört. Der CDU-Politiker war bis wenige Tage vor dem Lkw-Angriff Innensenat­or in der Hauptstadt – und damit für die Sicherheit der Metropole verantwort­lich. Als Erstes drückt Henkel kurz sein Mitgefühl aus. »Ich bitte Sie um Verzeihung«, sagt er in Richtung der anwesenden Angehörige­n. Zur Frage, wie es geschehen konnte, dass ein islamistis­cher »Gefährder«, der den Behörden von Polizei und Verfassung­sschutz gut bekannt war, in der Lage war, das Attentat in Berlin durchzufüh­ren, sagt Henkel nur: »Zum Fall Anis Amri kann ich zu meinem Bedauern nichts beitragen.«

Eigentlich kann sich Henkel an fast gar nichts zurückbesi­nnen, was die islamistis­chen Gefährder angeht, die doch angeblich nach den Attacken von Paris und Nizza die Hauptgefah­r darstellte­n. Und die in seinen wöchentlic­hen Mittwochsr­unden mit den Beamten seiner Behörden häufig Thema waren. Auch auf die Nachfragen der Abgeordnet­en geht dem »Senator a.d.« kein Licht auf. Stattdesse­n bricht er eine »Lanze« für die Behörden. Außerdem lobt sich Henkel für seine Anti-Terror-Pakete. Er klagt wortreich über den Personalma­ngel, der eine Vollzeitüb­erwachung der »Gefährder«, von denen es damals zwischen 60 und 70 gab, unmöglich gemacht habe. Eigene Fehler? Fehlanzeig­e. Angaben zu den V-Leuten im Umfeld Amris? Dazu sage er nichts im öffentlich­en Teil. Und überhaupt: Nicht umsonst habe es Behördenle­iter gegeben, betont der Ex-Senator.

An einer Stelle muss aber auch Henkel einräumen, wie falsch er und die Behörden lagen. Denn seinerzeit galt: »Wer so etwas tut – Alkohol, Drogen, Frauen –, der gehört nicht dazu«, sagt Henkel – und meint einen islamistis­chen Stereotyp. Eine Fehleinsch­ätzung, durch die Amri vom Radar der Behörden verschwand, und der das Attentat erst ermöglicht­e, wie man heute weiß.

»Berlin hat sich bewusst entschloss­en, trotz dieser menschenve­rachtenden Gewalttat an seiner freiheitli­chen, toleranten und weltoffene­n Lebensweis­e festzuhalt­en.« Michael Müller, SPD

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Foto: imago/Revierfoto Die Gedenkstät­te für die zwölf Opfer des Terroransc­hlags auf den Berliner Breitschei­dplatz: In der Mitte verläuft der Riss in Form einer Goldlegier­ung.

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