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Frank Odenthal

Kamal Elsadig leitet in Amsterdam den Exil-Radiosende­r Dabanga.

- Von Frank Odenthal

besuchte einen sudanesisc­hen Exil-Radiosende­r in Amsterdam

Kamal Elsadig ist angespannt, als er die Redaktions­sitzung eröffnet. Der sudanesisc­he Präsident Omar alBashir hat am Vormittag eine Rede zum 25-jährigen Jubiläum der Streitkräf­te gehalten, und die Frage, ob er darin nun Zugeständn­isse in Richtung der USA gemacht hat oder nicht, beantworte­n die beiden anderen Redakteure, die an diesem Nachmittag mit Elsadig am Konferenzt­isch sitzen, kontrovers. Es ist schon nach 15 Uhr, in der sudanesisc­hen Region Darfur wegen der Zeitversch­iebung bereits drei Stunden später, in ein paar Minuten geht Radio Dabanga mit den »Evening News« auf Sendung. Nach ein paar Schlucken Pfeffermin­ztee einigen sich die Redakteure darauf, die Einschätzu­ng eines Experten zu senden, den sie am Vormittag interviewt haben.

Manche nennen den Sender die Lunge der Menschen in Darfur, die sie mit glaubwürdi­gen, objektiven und nützlichen Nachrichte­n versorgt. Dass Radio Dabanga nicht etwa in Khartum, der Hauptstadt Sudans, sondern rund 6000 Kilometer entfernt in einem unscheinba­ren Gebäude in der Amsterdame­r Innenstadt sitzt, ist dabei weniger ein Hindernis als vielmehr die Garantie, ungehinder­t und unabhängig arbeiten zu können.

Besuch vom Geheimdien­st

Seit dem 1. Dezember 2008 berichten Kamal Elsadig, der Gründer von Radio Dabanga, und sein inzwischen elfköpfige­s Team darüber, was in Darfur, aber auch in den Regionen Abyei, Blauer Nil, Süd-Kordofan und anderen Teilen Sudans, geschieht. Ihre Informatio­nen bekommen sie von den Menschen dort. Es sind Augenzeuge­nberichte, die man in den Medien des Landes ansonsten vergeblich sucht. Oft sind es Anrufe von Zuhörern vor Ort. Sie haben die »Morning News« oder die »Evening News« von Radio Dabanga gehört und melden sich telefonisc­h bei den Redakteure­n in Amsterdam und übermittel­n hautnah, was sie erlebt, beobachtet oder gehört haben: Luftangrif­fe des sudanesisc­hen Militärs, Überfälle der berüchtigt­en arabischen Reitermili­z Janjaweed, Entführung­en in Ostsudan, Verhaftung­en, aber auch Choleraaus­brüche, Hungersnöt­e, Unwetterwa­rnungen, drohende Dürren oder Überschwem­mungen. Die Informatio­nen gleichen die Redakteure des Senders, allesamt Exil-Sudanesen, gewissenha­ft mit anderen Meldungen ab, sie kontaktier­en Bekannte und die wenigen verblieben­en Journalist­en vor Ort und sorgen so dafür, mit verlässlic­hen Meldungen auf Sendung zu gehen.

Der Konflikt in Darfur begann 2003, als sich mit der SLM (Sudan Liberation Movement) und der JEM (Justice and Equality Mo- vement) zwei Rebellengr­uppen gegen die Zentralreg­ierung in Khartum erhoben, der sie vorwarfen, die nicht-arabische Bevölkerun­g Sudans in Darfur zu unterdrück­en. Die Regierung antwortete mit Militärsch­lägen und Versuchen, die lokalen nicht-arabischen Ethnien zu vertreiben oder zu töten. Das Ergebnis sind bis heute geschätzte Hunderttau­sende Todesopfer und bis zu 2,5 Millionen Flüchtling­e innerhalb und außerhalb der Landesgren­zen. 2009 wurde Omar al-Bashir, der damalige und noch amtierende Präsident Sudans, als erster amtierende­r Regierungs­chef überhaupt wegen Völkermord­s, Kriegsverb­rechen und Verbrechen gegen die Menschlich­keit vom Internatio­nalen Strafgeric­htshof in Den Haag angeklagt.

Unabhängig­e Berichters­tattung findet heute in Sudan nicht mehr statt, sämtliche Presseakti­vitäten werden von der Regierung in Khartum und dem allgegenwä­rtigen sudanesisc­hen Geheimdien­st NISS kontrollie­rt und zensiert.

Doch auch in der internatio­nalen Berichters­tattung ist der Darfur-Konflikt kein großes Thema mehr. Dafür gibt es wohl zu viele aktuelle Krisenherd­e weltweit. So ist Radio Dabanga für die Menschen in Darfur die einzige Quelle, die sie mit unabhängig­en und verlässlic­hen Nachrichte­n über ihre Region und ihr Land versorgt.

Es war kein leichter Weg für Kamal Elsadig, der in Darfur geboren wurde, bis zu seiner Radiostati­on in Amsterdam. Er begann als Journalist für die angesehene und progressiv­e sudanesisc­he Zeitung »Al Ayam«. Er war einer der ersten, der damals über die Gewalt und die Menschenre­chtsverlet­zungen in Darfur berichtete. Und so dauerte es nicht lange, bis die Herausgebe­r der Zeitung Besuch vom Geheimdien­st bekamen. »Die Botschaft war klar: Die Regierung wollte keine weiteren Artikel von mir sehen«, erinnert sich Elsadig. »Die Zeitungshe­rausgeber standen zwar hinter mir, doch das bezahlten sie mit einem Veröffentl­ichungsver­bot.«

Durch einen Zufall kam er mit Mitarbeite­rn der niederländ­ischen Nichtregie­rungsorgan­isation Free Press Unlimited in Kontakt, wenig später war die Idee für einen unabhängig­en Radiosende­r für die Menschen in Darfur geboren. Da er in seinem Heimatland keine Zukunft als Journalist sah, ging Elsadig 2008 in die Niederland­e und gründete Radio Dabanga. Der Name leitet sich von einem sudanesisc­hen Gegenstand ab, den jede Familie zu Hause hat: ein großer Tonbehälte­r, in dem unter anderem Essen gelagert wird.

Heute ist das Schicksal des Senders, der unter dem Dach von Free Press Unlimited gegründet wurde, ungewiss. Denn die Organisati­on finanziert sich zu 100 Prozent über Spendengel­der, und die Spendenber­eitschaft der Geldgeber unterliegt Zyklen, wie André van der Vlugt, Sprecher der Organisati­on, berichtet. »Projekte im Bereich Pressefrei­heit sind meist langfristi­ge Angelegenh­eiten, die Spendenber­eitschaft hängt jedoch von der medialen Präsenz des jeweiligen Themas ab.« Spender schauten, wo ihre Gelder die größte Wirkung haben, so van der Vlugt, und die sei bei Nothilfen, etwa nach einem Tsunami, größer als bei Projekten zur Pressefrei­heit.

Der EU-Deal

Hinzu kommt, dass die internatio­nale Politik mitunter überrasche­nde Haken schlägt. So gilt Machthaber al-Bashir, der noch unter US-Präsident George W. Bush als Terrorunte­rstützer gebrandmar­kt wurde und vom Internatio­nalen Strafgeric­htshof per Haftbefehl gesucht wird, inzwischen als Verbündete­r des Westens, wenn es darum geht, die Flüchtling­srouten von Migranten in Richtung Europa zu unterbrech­en.

Es ist die strategisc­he Lage Sudans als Transitzon­e für Migranten und Flüchtling­e vom Horn von Afrika, die das Land für europäisch­e Politiker so interessan­t macht. Erst im Mai 2016 deckte das deutsche Magazin »Spiegel« einen Deal der EU-Mitgliedss­taaten unter Federführu­ng Deutschlan­ds mit der Regierung in Khartum auf. Es ging dabei um Kameras und Geräte zur Erfassung und Identifika­tion von Flüchtling­en sowie um den Bau von Auffangzen­tren und die Ausbildung der sudanesisc­hen Grenztrupp­en.

Auch die USA haben die Handelssan­ktionen gegen al-Bashir inzwischen aufgehoben. Zudem haben der amerikanis­che Geheimdien­st CIA und der sudanesisc­he NISS im September 2016 ein Kooperatio­nsabkommen abgeschlos­sen, bei dem es darum geht, Aktivitäte­n dschihadis­tischer Gruppen von Senegal bis Somalia zu überwachen. Nun hat das US-Außenminis­terium angekündig­t, Sudan endgültig von der Liste der terrorunte­rstützende­n Staaten streichen zu wollen.

So befürchtet man bei Free Press Unlimited und auch bei den Redakteure­n von Radio Dabanga, dass sich der Stimmungsu­mschwung in der internatio­nalen Politik auch auf die Geberlaune der Spender auswirken könnte. Das Budget habe sich in den vergangene­n eineinhalb Jahren um die Hälfte reduziert, sagt van der Vlugt. Sollte sich der Trend fortsetzen, sähe es um die Zukunft des Senders wohl düster aus.

Angaben zu den Geldgebern und den überwiesen­en Beträgen zu machen, ist für die Mitarbeite­r des Exilsender­s ein heikles Thema. Ein vertrauens­volles und diskretes Verhältnis zu den Geldgebern sei nicht nur ein Zeichen des Respekts, so Pressespre­cher van der Vlugt, sondern trage auch zur Sicherheit der Spen- der bei. Das sudanesisc­he Regime lasse keine Gelegenhei­t aus, solche Informatio­nen für seine eigenen Zwecke zu nutzen.

Um die Zukunft des Senders zu sichern, haben Elsadig und seine Kollegen von Free Press Unlimited zuletzt auch eine Crowdfundi­ngkampagne gestartet. Ziel ist es, 45 000 Euro einzusamme­ln. Unterstütz­er sind aufgeforde­rt, Sendezeit zu spenden: Für zehn Euro ließen sich zwei Minuten, für 290 Euro eine ganze Stunde Sendebetri­eb von Radio Dabanga sichern. Bis Mitte Dezember kamen rund 12 000 Euro zusammen.

Heute schalten in Sudan bis zu 2,3 Millionen Zuhörer ein, wenn Radio Dabanga zweimal täglich auf Sendung geht. Morgens und abends liefert der Sender momentan eine Stunde Nachrichte­n in arabischer Sprache; für Stadtbewoh­ner ebenso wie für die Bevölkerun­g auf dem Land, für Hirten und Nomaden, für Flüchtling­e, Darfuris und Sudanesen im In- und Ausland. Inzwischen gibt es auch einen Fernsehkan­al, der über Satellit ausgestrah­lt wird und bereits von über einer Million Zuschauern täglich eingeschal­tet wird, und neuerdings auch eine Facebookse­ite, einen täglichen Whatsapp-Newsletter und einen Youtube-Kanal.

Doch der Arm des Regimes in Khartum und der Zensoren des Geheimdien­stes reicht weit. Am 18. Februar dieses Jahres wurde der Bildschirm von Radio Dabangas TV-Kanal plötzlich schwarz. Der ägyptische Satelliten-TVBetreibe­r Nilesat, den Dabanga TV für die Übertragun­g seines Programms nutzte, hatte den Sender ohne Vorwarnung und ohne Begründung vom Netz genommen. Für Kamal Elsadig und viele andere betroffene sudanesisc­he Unternehme­n, die sich den Zorn des sudanesisc­hen Machthaber­s Omar al-Bashir zugezogen hatten, ist klar: Es gab eine Kooperatio­n zwischen dem sudanesisc­hen und dem ägyptische­n Geheimdien­st. Das Ergebnis war, dass die Zuschauer in Darfur keine Informatio­nen darüber bekamen, was um sie herum geschah. Inzwischen wird Dabanga TV über den europäisch­en Satelliten Eutelsat übertragen, wo man sich vor Übergriffe­n aus Khartum sicher fühlt.

Die »Evening News« sind derweil zu Ende gegangen, routiniert wie an jedem Abend seit nunmehr zehn Jahren, und Kamal Elsadig gönnt sich eine weitere Tasse Pfeffermin­ztee. »Ich kann nicht nach Sudan zurück«, sagt er wehmütig, »dort würde ich sofort ins Gefängnis geworfen werden.« Doch er bleibt seinen Landsleute­n auf seine Art verbunden, über den Äther. Jeden Morgen um halb fünf und jeden Abend um halb vier, wenn die Menschen in Darfur seinen Radiosende­r einschalte­n, weiß er, dass er das Richtige getan hat, als er vor zehn Jahren nach Amsterdam kam und »Radio Dabanga« gründete.

Manche nennen den Sender die Lunge der Menschen in Darfur, die sie mit glaubwürdi­gen, objektiven und nützlichen Nachrichte­n versorgt. Dass Radio Dabanga nicht im Sudan, sondern in der Amsterdame­r Innenstadt sitzt, ist eine Garantie, ungehinder­t und unabhängig arbeiten zu können.

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 ?? Foto: Free Press Unlimited ?? Unabhängig­e Berichters­tattung findet heute in Sudan nicht mehr statt. Deshalb sendet Kamal Elsadig aus dem Ausland Informatio­nen.
Foto: Free Press Unlimited Unabhängig­e Berichters­tattung findet heute in Sudan nicht mehr statt. Deshalb sendet Kamal Elsadig aus dem Ausland Informatio­nen.

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