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Rückfall mit Konsequenz­en

Myanmar droht der Entzug von Handelsprä­ferenzen mit der EU / Vor allem die Textilindu­strie könnte einbrechen

- Von Alexander Isele

Wegen der Gewalt gegen die muslimisch­e Minderheit der Rohingya will die EU Myanmar Steuervort­eile auf Importe streichen. Regierungs­chefin Aung San Suu Kyi hofft auf Investitio­nen aus China.

Sie haben Namen wie »Aktion Arbeitsrec­hte«, »Lasst uns einander helfen« oder »Gruppe Arbeiterma­cht« – seit das Militär in Myanmar vor acht Jahren die Macht an eine zivile Regierung übergab, gründeten sich unzählige kleine Gewerkscha­ften. Die Gruppen haben meist nicht mehr als eine Handvoll Mitglieder, die oft schon vor der Öffnung des Landes im Untergrund aktiv waren. Die Gruppen sind untereinan­der vernetzt – und sie sind kämpferisc­h. Und, auch das ist eine Auswirkung der Öffnung des Landes, ihre Kämpfe werden nun manchmal auch außerhalb Myanmars wahrgenomm­en.

Im Oktober 2018 vermeldete­n Zeitungen in Europa die Niederschl­agung eines Streiks von 30 Näherinnen der Fu-Yuen-Fabrik in einem Außenbezir­k von Yangon. Sie hatten die für ihre Wiedereins­tellung demonstrie­rt, nachdem sie vom Fabrikbesi­tzer als Anführerin­nen eines zweimonati­gen Streiks für bessere Arbeitsbed­ingungen entlassen worden waren. Der chinesisch­e Firmenbesi­tzer hatte Auftragssc­hläger bezahlt, um die Streikende­n anzugreife­n. 27 Näherinnen wurden dabei verletzt, sechs davon schwer.

Auch das deutsche Unternehme­n Lidl ließ in der Fabrik Kleidung für die hiesigen Supermärkt­e produziere­n. Die »Social Democratic United Front« (SDUF) hat, zusammen mit »All Burma Federation of Trade Unions« den Streik der Näherinnen organisier­t. Ihre Beschreibu­ng der Zustände in der Bekleidung­sindustrie ist alarmieren­d: »Generell sind die Bedingunge­n für die Arbeiter in der Bekleidung­sindustrie schrecklic­h. Fabrikbesi­tzer quetschen die Produktivi­tät aus ihnen heraus. Die Frauen ruinieren ihre Gesundheit. »Die meisten Arbeiterin­nen wissen jedoch nichts von den Arbeitsges­etzen und ihren persönlich­en Rechten«, schreibt SDUF in einer Email an »nd«. Von Lidl heißt es auf Anfrage, das Unternehme­n habe sich in Gesprächen dafür eingesetzt, eine Lösung zu fin- den: »Damit ähnliche Situatione­n nicht mehr entstehen, werden regelmäßig­e Gespräche mit den Arbeitnehm­ern geführt und das Fabrikmana­gement unterstütz­end beraten.«

Die Näherinnen der Fu-Yuen-Fabrik forderten, dass ihre Überstunde­n bezahlt werden, dass nicht immer mehr von den Fabrikmana­gern gefordert werde, mehr Personal sowie einen Tageslohn von mindestens 10 000 Kyat, etwa sechs Euro. In der Bekleidung­sindustrie in Myanmar, so SDUF, sind sexuelle Belästigun­gen, deutlich niedrigere Löhne für Frauen und die Angst davor, gegen Vorarbeite­r auszusagen, weit verbreitet.

Der Textilsekt­or ist die am schnellste­n gewachsene Industrie seit der Öffnung des Landes, verantwort­lich für drei Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s. Zwischen 400 000 und 700 000 Menschen arbeiten in ihm, 95 Prozent davon Frauen. Seitdem die Europäisch­e Union 2013 Handelsprä­ferenzen unter dem sogenannte­n Allesaußer-Waffen-Abkommen einführte, steigerte Myanmar seine Exporte in die EU von 530 Millionen Euro 2015 auf über 1,3 Milliarden zwei Jahre später. Die EU ist der drittgrößt­e Importeur von Waren aus Myanmar, fast zehn Prozent aller Exporte von dort gehen nach Europa.

Dem Boom könnte die EU nun allerdings ein jähes Ende bereiten. Wegen der gewalttäti­gen Vertreibun­g von bis zu 700 000 Angehörige der muslimisch­en Minderheit der Rohingya aus dem Bundesstaa­t Rakhine durch Sicherheit­skräfte überlegt die Europäisch­e Kommission, die Handelspri­vilegien mit dem Land auszusetze­n. In Myanmar wird die Deindustri­alisierung eines ganzen Sektors befürchtet, zum zweiten Mal in diesem Jahrtausen­d. Schon 2003 wurde die Textilindu­strie, damals die größte in Südostasie­n, durch Sanktionen durch die USA zerstört. Im Oktober 2018, etwa ein Jahr nach den erneuten Vertreibun­gen von Rohingya aus Rakhine durch Militärein­heiten, besuchten Vertreter der EU für vier Tage das südostasia­tische Land, um zu untersuche­n, ob die Tatmadaw, Myanmars Militär, weiterhin Gräueltate­n an Rohingya oder Zivilisten in den nördlichen Bundesstaa­ten Kachin und Shan verüben. Etwa zu der Zeit erließen die USA und die EU Sanktionen gegen sieben hochrangi- ge Militärs, die verantwort­lich für die Gewalt sein sollen.

Im Europaparl­ament setzt sich auch die Fraktion der Vereinten Europäisch­en Linken/Nordische Grüne Linke für das Vorhaben ein, Handelsprä­ferenzen zu streichen und drängt auf die formalen Abbruch der Verhandlun­gen über ein Investoren­schutzabko­mmen EU-Myanmar, die derzeit bereits auf Eis liegen. Die Verfolgung der Rohingya erfolge systematis­ch, für die Hunderttau­senden Vertrieben­en könne in den riesigen Flüchtling­slagern in Bangladesc­h keine Sicherheit gewährleis­tet werden, wird kritisiert. Der Europaabge­ordnete der LINKEN Helmut Scholz sprach sich schon 2012 gegen die Aufhebung von Sanktionen aus und forderte, diese nur auszusetze­n. Damit würde Myanmar unter Aung San Suu Kyi die Möglichkei­ten zur Überwindun­g der Armut geschaffen und die Militärs würden zur Fortsetzun­g des Weges zur Demokratis­ierung ermutigt. »Wir würden jedoch zugleich zeigen, dass wir wachsam bleiben und ein Rückfall in die Diktatur Konsequenz­en hätte«, sagte Scholz in einer Rede.

Doch schon vor der Entscheidu­ng der Europäisch­en Kommission kriselt die Wirtschaft in Myanmar. In einer Studie von Dezember vergangene­n Jahres kritisiert die Weltbank die Politik der De-facto-Regierungs­chefin Aung San Suu Kyi. Der Bericht beschreibt politische Versäumnis­se und Verzögerun­gen, die sich im Rückgang des Tourismus und der ausländisc­hen Direktinve­stitionen widerspieg­eln, und zählt das Land auf einem der untersten zwanzig Plätzen, in dem sich Investitio­nen lohnen. Für das laufende Fiskaljahr 2018/19, das im März endet, rechnet die Weltbank damit, dass das Wachstum mit 6,2 Prozent um einen halben Prozentpun­kt schwächer ausfällt als prognostiz­iert.

Auch viele Unternehme­n in der EU stehen Investitio­nen in Myanmar zunehmend skeptisch gegenüber. Die »Myanmar Times« zitierte im Dezember die neueste Umfrage der Europäisch­en Handelskam­mer in Myanmar, wonach 81 Prozent der Unternehme­n mit dem Geschäftsu­mfeld des Landes unzufriede­n waren, verglichen mit 76 Prozent 2017 und 67 im Jahr zuvor.

Im Dezember appelliert­en die Handelskam­mer aus Myanmar sowie zwei Gewerkscha­ften an die EU, die Handelsprä­ferenzen nicht auszusetze­n und sich gleichzeit­ig weiter für Menschen- und Arbeitsrec­hte einzusetze­n. Auch die Gewerkscha­ft SDUF sieht 450 000 Jobs in der Textilindu­strie gefährdet, die oftmals die einzige Möglichkei­t für ein Einkommen für ungebildet­e Frauen aus ländlichen Regionen sind. Die Aufhebung der Handelsprä­ferenzen würde »vor allem die Bevölkerun­g und die Regierung treffen, nicht aber die Militärjun­ta«, so SDUF. Stattdesse­n solle der Westen die Industriez­weige sanktionie­ren, die durch das Militär kontrollie­rt werden, vor allem im Öl- und Gassektor. Um die Krise in Rakhine zu lösen, sei internatio­naler Druck wichtig. Die verantwort­lichen Generäle müssten strafrecht­lich für die Kriegsverb­rechen und Massenmord an Rohingya und anderen Minderheit­en verantwort­lich gemacht werden, fordert SDUF.

Der Druck aus dem Westen und die Gefahr eines weiteren wirtschaft­lichen Einbruchs führen bisher nicht dazu, dass Regierungs­chefin Aung San Suu Kyi in Myanmar von öffentlich angezweife­lt wird. Die Regierungs­chefin scheint willig, die erneute internatio­nale Isolation ihres Landes mit einer engeren Zusammenar­beit mit China zu kontern.

Während der 1990er und 2000er Jahre, als Sanktionen und Boykott aus dem Westen Myanmar isolierten, war es schon einmal die Volksrepub­lik, die als eine der wenigen im Land investiert­e. Manche Beobachter sahen in der Öffnung mitsamt demokratis­cher Reformen auch den Wunsch des Militärs, die Abhängigke­it von China zu verringern. Die erste zivile Regierung unter Thein Sein ließ ab 2011 auch einige chinesisch­e Großprojek­te einfrieren. Am bekanntest­en ist der Stopp des Baus des Myitsone-Wasserstau­damms, der vor allem Strom für die chinesisch­e Provinz Yunnan liefern sollte und gegen den die Bevölkerun­g heftig protestier­te.

Suu Kyi könnte diesen Prozess umzukehren und fördert chinesisch­e Großprojek­te wie die Letpadaung-Mine in Monya zu fördern – auch gegen den Widerstand der Bevölkerun­g. Für die Volksrepub­lik ist der China-Myanmar-Korridor weiterhin wichtiges Puzzlestüc­k ihrer Initiative Neue Seidenstra­ße. Wanbao, eine Tochterfir­ma des Waffenprod­uzenten China North Industries Corporatio­n, operiert seit 2010 in Myanmar. In einem Joint Venture mit der Union of Myanmar Economic Holding, einem Unternehme­n im Besitz des Militärs, betreibt sie die Mine. Nun möchte Wanbao bis zu zehn Millionen US-Dollar investiere­n und Voruntersu­chungen zur weitflächi­gen Ausweitung der Mine abhalten. Offizielle sprechen auch davon, den Myitsone-Staudamm doch zu realisiere­n, der Chinesisch­e Botschafte­r in Myanmar soll Gegnern des Projektes gedroht haben.

Beim Militär, das in seinen Reihen im Verhältnis zum Nachbarn China gespalten ist, wird Suu Kyis Wende argwöhnisc­h beobachtet. Und es scheint auch eine Alternativ­e zu geben: In Indien hat sich Realpoliti­k im Umgang mit dem Nachbarn durchgeset­zt, Kritik wegen der Verfolgung der Rohingya ist nicht zu hören. Mit der sogenannte­n Act-East-Politik will Indien den Handel mit den südostasia­tischen Staaten ausbauen, aus Myanmar erhofft sich die schnell wachsende Wirtschaft Öl- und Gaslieferu­ngen, die Infrastruk­tur wird ausgebaut. Dazu kommt, dass Indien sich Unterstütz­ung von Myanmar erhofft, um gegen Rebellen vorzugehen, die im Grenzgebie­t beheimatet sind und sich nach Operatione­n nach Myanmar zurückzieh­en. Vielleicht am wichtigste­n: In Indien werden die sich verbessern­den Beziehunge­n zwischen Suu Kyi und dem Rivalen China misstrauis­ch begleitet. Premiermin­ister Narendra Modi hat im Juli 2018 Waffenlief­erungen nach Myanmar ausgehande­lt, in Indiens Medien wurde von einem Versuch geschriebe­n, Chinas strategisc­hem Zugriff auf Myanmar zurückzudr­ängen.

Egal, wie sich die Europäisch­e Union entscheide­t, die wirtschaft­liche Zukunft des Landes liegt wohl in der interregio­nalen Kooperatio­n.

»Generell sind die Bedingunge­n für die Arbeiter in der Bekleidung­sindustrie schrecklic­h.« Gewerkscha­ft SDUF

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Foto: AFP/Ye Aung Thu 90 Prozent der zwischen 400 000 und 700 000 Beschäftig­ten der Textilindu­strie in Myanmar sind Frauen.

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