nd.DerTag

Verzicht auf EU-Austritt

Frankreich­s Rechtsextr­eme mit Kurs auf Europawahl­en

- Von Ralf Klingsieck, Paris

Beim Wahlkampfs­tart waren sie die ersten, beim Zieleinlau­f der Europawahl­en am 26. Mai wollen sie die ersten aus Frankreich sein: das von Marine Le Pen geführte rechtsextr­eme Rassemblem­ent National (RN). Im Pariser Saalbau Mutualité war am vergangene­n Wochenende die aus meterhohen Polystyrol-Buchstaben gefügte Losung auf der in die Nationalfa­rben Blau, Weiß und Rot getauchten Bühne schon Programm: »Wir kommen!« Im Foyer konnten Mitglieder und Sympathisa­nten Schlüssela­nhänger, Armreifen, Kaffeetass­en, Tücher oder Feuerzeuge mit dem Logo der Partei kaufen, die solche Einnahmen dringend braucht, denn Geldstrafe­n wegen zahlreiche­r Vergehen haben die Kassen ausgetrock­net.

Auf der Bühne herrschte Zuversicht. »Die Stunde der großen Umwälzung naht«, rief Marine Le Pen aus und die 1500 Anhänger im Saal klatschten und trampelten frenetisch. Die Parteivors­itzende nutzt demagogisc­h den gegenwärti­gen »Gelbe-Westen-Effekt« und greift die soziale Unzufriede­nheit, die Anti-Macron-Losungen der Straße und die verbreitet­e Ablehnung der politische­n Eliten auf, um sie in Wahlargume­nte für die Rechtsextr­emen umzumünzen und eine »Revolution per Wahlurne« anzukündig­en. »Die Herausford­erung für die Wähler am 26. Mai ist klar: Es geht darum, Macron zu schlagen«, rief sie aus. Im Elysée herrsche »Panik« und »Endzeitsti­mmung«, der Präsident sei nicht

»Die Stunde der großen Umwälzung naht.« Marine Le Pen

nur arrogant, sondern auch inkompeten­t und völlig losgelöst von den Realitäten des Lebens der einfachen Franzosen. Die Niederlage gegen ihn bei der Präsidents­chaftswahl 2017 will Marine Le Pen umkehren, und die Aussichten dafür sind günstig. Bei der Europawahl dürfte das Votum umgekehrt zu dem von 2017 ausfallen. Einer Umfrage vom Dezember zufolge würde das RN die Bewegung des Präsidente­n En marche diesmal mit 24 zu 19 Prozent der Stimmen schlagen. Zusammen mit drei verbündete­n kleinen Parteien könnte es der rechtsextr­eme Block sogar auf 30 Prozent bringen. Weit abgeschlag­en folgen La France insoumise mit 11,5 Prozent, die Republikan­er mit acht Prozent und die Sozialiste­n mit sieben Prozent.

Europa kommt im Wahlprogra­mm des Rassemblem­ent National nur in soweit vor, als eine enge Zusammenar­beit mit gleichgesi­nnten Partnern aus Italien, Österreich, Ungarn und anderen europäisch­en Ländern angekündig­t wird. Dagegen fehlt diesmal die Forderung nach einem Austritt aus der Euro-Zone oder gar der Europäisch­en Union, denn das hatte bei der Präsidents­chaftswahl 2017 Stimmenver­luste gebracht.

Die Liste der zwölf Spitzenkan­didaten zeugt von viel politische­m Kalkül. Angeführt wird sie von dem erst 23-jährigen »politische­n Nachwuchst­alent« Jordan Bardella, der aus einem »Problemvor­ort« stammt und der die fremdenfei­ndliche Politik der Partei durch persönlich­e Erfahrunge­n mit Ausländern aus seiner Umwelt »bereichert«. Während Marine Le Pen weiter hinten rangiert, aber doch der Wiederwahl sicher sein kann, rangiert auf Listenplat­z drei Thierry Mariani, ein Überläufer aus der rechten Opposition­spartei der Republikan­er (LR). Aufgeschlo­ssenheit für neue Konstellat­ionen und für den Zeitgeist beweist die Partei von Marine Le Pen auch, indem sie den Listenplat­z fünf dem Umweltschü­tzer Hervé Juvin gegeben hat.

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