Vorstände bleiben Männerdomäne
In Aufsichtsräten hilft die Frauenquote / Aber nur zehn Prozent der Vorstände weiblich
Das Managerinnen-Barometer, das am Mittwoch in Berlin präsentiert wurde, widerlegt das verbreitetes Gefühl, Frauen seien längst auf allen Ebenen beteiligt. Das kann noch bis nächstes Jahrhundert dauern.
In Norddeutschland stirbt ein Bäcker. Seine Frau übernimmt die riesige Firma. Ihre erste Amtshandlung? Arbeiterinnen mit Kindern unter drei Jahren müssen nicht mehr zwingend Nachtschichten übernehmen. Geschichten, wie sie die Ökonomin Elke Holst, Forschungsdirektorin für Gender Studies am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), erzählt, machen deutlich: Frauen als Chefs verändern Arbeitsklima und -bedingungen. Das bringe nicht nur denen ganz oben etwas, findet Holst. Dennoch sind noch immer viel mehr Chefs Männer. Holst, die selbst in der Privatwirtschaft tätig war, hat 2006 begonnen, dies mit Zahlen genau zu belegen. Am Dienstag stellte sie die Ergebnisse für 2018 vor und verkündete auch gute Nachrichten: In den Aufsichtsräten der 200 umsatzstärksten Firmen erhöhte sich der Frauenanteil gegenüber dem Vorjahr um zwei auf nun 27 Prozent. Die Top-100 Firmen konnten drei Prozent mehr, also 28 Prozent weibliche Mitglieder vorweisen. »Viele Unternehmen sind auf einem guten Weg, wenn es um Aufsichtsräte geht«, sagt Holst. Die DIW-Erhebung berücksichtigt 500 Unternehmen und ist nach Angaben des Instituts die größte in diesem Feld.
Der Grund für die langsame, aber positive Veränderung liegt für Holst auf der Hand: »Die Quote wirkt.« Seit 2016 sind börsennotierte und paritätisch mitbestimmte Betriebe zu mindestens 30 Prozent weiblichen Aufsichtsräten verpflichtet. Das halten heute, rund drei Jahre nach Einführung des Gesetzes, rund drei Viertel aller betroffenen Firmen ein. Schaffen Unternehmen das nicht und wählen auf einen frei werdenden Platz wieder einen Mann, ist dies nichtig und es bleibt ein »leerer Stuhl«.
Die DIW-Studie zeigt zudem, dass Unternehmen sich nicht freiwillig um Geschlechtergerechtigkeit kümmern. So fahren diese »ihre Anstrengungen deutlich zurück«, sobald sie die 30-Prozent-Frauen-Marke erreicht haben, heißt es im Bericht. »Die meisten tun nicht mehr als nötig«, so Holst. Ein weiterer Beleg dafür ist, dass bei den wichtigsten 30 Dax-Unternehmen, die alle gleich 2016 die Quote erfüllt hatten, seitdem nichts mehr passiert ist. Die Zahl der Frauen stagniert bei einem Drittel. Die These, dass Unternehmen von alleine merken, wie viel besser das Arbeiten zusammen mit Frauen ist, sobald erst einmal welche dabei sind, sei deshalb eher nicht haltbar, sagt Holst auf Nachfrage.
Ihre wissenschaftliche Mitarbeiterin Katharina Wrohlich ergänzt: »Auffällig ist, dass die verbindliche Geschlechterquote zumindest kurzfristig keine Strahlkraft auf die Vorstandsebene ausübt.« In Vorständen von Unternehmen, die an die Quote gebunden sind, lag der Frauenanteil bei gerade einmal 8,5 Prozent. Etwas besser sah es bei den Top-100-Unter- nehmen aus; der Frauenanteil lag dort erstmals bei zehn Prozent. Doch auch hier waren die Vorsitzenden der Gremien zu fast 99 Prozent Männer. Vorstände blieben »Männerdomänen«, so Wrohlich. Veränderungen passierten hier nur »im Schneckentempo«.
Besonders schlecht schneidet der Banken- und Versicherungssektor ab. Dort beobachten die Forscherinnen seit Beginn der Aufzeichnungen sogar einen Rückgang von Frauen an der Spitze, obwohl die Hälfte der Beschäftigten weiblich ist. Selbst bei einer optimistischen Fortschreibung der bisherigen Zahlen wären in Bankvorständen Frauen und Männer erst nächstes Jahrhundert gleichermaßen vertreten. Holst erklärt diesen »backlash« damit, dass nach der Finanzkri- se von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, kurz Bafin, strengere Kriterien an Vorstände eingeführt worden seien. Tatsächlich sei für Vorstände eine höhere Qualifikation notwendig, sagt Holst. Während es für Aufsichtsräte ausreiche, das Geschäft zu kennen, seien für die Vorstandsarbeit Fachkenntnis, Kontakte und Erfahrung erforderlich. Doch gerade »in der Mitte« der Unternehmen fehlten oft Frauen, die dann weiter hochrücken können, etwa weil sie nach Teilzeitphasen, die Holst unumwunden als »Karrierekiller« bezeich- net, nicht weiter nach oben kämen. Deshalb wäre es wichtig, konsequent alle Hierarchieebenen, gerade auch unterhalb des Vorstands, stärker mit Frauen zu besetzen. Nach Ansicht der Autorinnen müssen Arbeitsstrukturen für Führungskräfte flexibilisiert werden. Auch Männer sollten weiter ermutigt werden, Elternzeit zu nehmen oder in Teilzeit zu gehen, damit sich dies normalisiert.
Auf den Vorwand, dass Unternehmen keine qualifizierten Frauen fänden, reagiert Holst mit Beispielen, bei denen es gut klappt. Welche Firmen das sind, ist im DIW-Report nachzulesen. Eine einzige unter den Top-200 hat sogar mehr Frauen als Männer im Vorstand. Auch der EU-Vergleich zeigt, dass paritätische Führung möglich ist. Deutschland lag vergangenen Sommer mit 33 Prozent Frauen in Entscheidungsgremien auf Platz fünf. Gerechter zu geht es in Finnland (34), Italien (36), Schweden (36) und Frankreich (44). Für Frankreich nennt Holst sofort die Kultur als förderlich, in der arbeitende Mütter als ganz normal und anders als hier nie als »Rabenmütter« gelten. Auch in Norwegen liefe es besser. Holst führt das darauf zurück, dass es dort ebenso wie in Italien die strengsten Sanktionen für Unternehmen gibt, die Quoten nicht einhalten; sie reichen bis hin zur Auflösung des Betriebs. Das passiere selten, so Holst, da diese Unternehmen im Zweifelsfall die Rechtsform wechselten, um ihre Auflösung zu vermeiden. In Deutschland diskutiert man indes Sanktionen für sexistische Unternehmen weniger gern als für Hartz-IV-Bezieher.
Auch der EU-Vergleich zeigt, dass paritätische Führung möglich ist.