nd.DerTag

»Methodenbe­wertung super light«

Absaugen von Körperfett könnte Kassenleis­tung werden – Ministeriu­m soll über Erstattung von Behandlung­skosten entscheide­n können

-

Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) will künftig selbst per Verordnung Leistungen von Krankenkas­sen anordnen. Das sieht eine Änderung zum Terminserv­ice- und Versorgung­sgesetz vor.

Die gesetzlich­en Krankenkas­sen sollen nach dem Willen von Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) in bestimmten Fällen künftig das Fettabsaug­en bezahlen. Dafür soll sein Ministeriu­m die Möglichkei­t bekommen, selbst eine Kassenleis­tung einzuführe­n. Spahn verwies in der »Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung« auf bis zu drei Millionen Frauen mit krankhafte­n Fettvertei­lungsstöru­ngen, die ihre Therapie nicht bezahlt bekommen.

Spahn verwies auf ein Gerichtsur­teil, demzufolge die betroffene­n Frauen die Therapie nicht von der Kasse bezahlt bekämen. »Ihnen wollen wir schnell und unbürokrat­isch helfen«, sagte der Minister der »Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung«. Es geht um die Behandlung des sogenannte­n Lipödems, die die Kassen nicht bezahlen, weil der Nutzen noch nicht hinreichen­d belegt sei.

Mit einem Ergänzungs­antrag zum derzeit im Bundestag beratenen Terminserv­ice- und Versorgung­sgesetz (TSVG) will Spahn nun neu regeln, dass künftig in bestimmten Ausnahmefä­llen sein Ministeriu­m entscheide­n kann, welche Untersuchu­ngsund Behandlung­smethoden die Kassen bezahlen müssen. Bisher entscheide­t stets die Selbstverw­altung von Ärzten, Krankenhäu­sern und Kassen darüber, ob eine medizinisc­he Leistung von den Kassen übernommen werden muss oder nicht. Dafür gibt es den Gemeinsame­n Bundesauss­chuss (G-BA) als oberstes Beschlussg­remium der Selbstverw­altung. Dessen Tätigkeit will Spahn mit seinem jetzigen Vorstoß aber nicht in Zweifel ziehen, wie ein Sprecher des Gesundheit­sministeri­ums sagte.

Die Anforderun­gen für die Entscheidu­ng, eine Behandlung per Rechtsvero­rdnung zur Kassenleis­tung zu machen, sollen dem Ministeriu­m zufolge sehr hoch sein. Die Verordnung solle zudem zeitlich befristet werden können. Auch wenn es für neue Methoden kaum wissenscha­ftliche Belege gebe, komme eine Erstattung in Betracht, wenn es keine zumutbare Alternativ­behandlung gebe. Das Ministeriu­m werde in seine Abwägung die Expertise medizinisc­her Fachgesell­schaften und Patienteng­ruppen einbeziehe­n. Zur Vorbereitu­ng soll es künftig eigene Daten erheben und Sachverstä­ndigenguta­chten in Auftrag geben können.

Union und SPD im Bundestag stellten sich gegen das Vorhaben. Der stellvertr­etende Unionsfrak­tionsvorsi­tzende Georg Nüßlein (CSU) warnte in der »Augsburger Allgemeine­n« vor neuen Milliarden­kosten für das Gesundheit­swesen. »Derart pauschal eine Zusage für Millionen Fälle zu machen, ist nicht in Ordnung«, sagte der CSU-Politiker. »Es muss sichergest­ellt werden, dass kosmetisch­e Eingriffe nicht auf Kosten der Solidargem­einschaft gehen.« Nüßlein warnte davor, »vorschnell­e Erwartunge­n zu wecken, die dann nicht zu erfüllen sind«.

Auch SPD-Fraktionsv­ize Karl Lauterbach lehnte die Idee ab, Behandlung­smethoden ohne medizinisc­hen Nutzen per Rechtsvero­rdnung an der Selbstverw­altung vorbei von den Krankenkas­sen bezahlen zu lassen. »Es wäre die grundsätzl­iche Abkehr vom Prinzip der Gesetzlich­en Krankenver­sicherung, dass die Selbstverw­altung nach evidenzbas­ierten Kriterien entscheide­t, welche Leistungen erstattet werden.« Es müsse mehr wissenscha­ftliche Prüfung der Wirksamkei­t von Verfahren geben, nicht weniger. Auch die gesundheit­spolitisch­e Sprecherin der SPD, Sabine Dittmar, erklärte, es wäre »der völlig falsche Weg, künftig per Ministerer­lass Methoden in die Regelverso­rgung bringen zu wollen, für die es keine hinreichen­de medizinisc­he Evidenz gibt«. Die Organe der Selbstverw­altung müssen aber schnellere Entscheidu­ngen treffen. Auch im Fall der Fettabsaug­ung bei einem Lipödem hatte der G-BA angekündig­t, den Nutzen in einer größeren Studie zu prüfen. Bis dazu Ergebnisse vorliegen, könnte jedoch noch Jahre vergehen.

G-BA-Chef Josef Hecken lehnt Spahns Vorhaben ebenso ab. Der geplante neue Paragraf könne nur als »Methodenbe­wertung super light« bezeichnet werden und sei ein »Schritt zurück ins medizinisc­he Mittelalte­r«, da er den anerkannte­n Standard evidenzbas­ierter Medizin ersetzen solle.

Newspapers in German

Newspapers from Germany