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Nicht mehr viel übrig von Chávez

Für Tobias Lambert hat die Regierung in Venezuela abgewirtsc­haftet. Er meint, das Land benötige einen Neuanfang

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Der externe Druck blieb wirkungslo­s. Wenngleich die USA, die EU und zwölf lateinamer­ikanische Staaten die Präsidents­chaftswahl vom Mai 2018 nicht anerkennen, ließ sich der venezolani­sche Präsident Nicolás Maduro am vergangene­n Donnerstag für eine zweite sechsjähri­ge Amtszeit vereidigen. Er tat dies vor dem Obersten Gericht und nicht – wie eigentlich in der Verfassung vorgesehen – vor der zurzeit opposition­ell dominierte­n Nationalve­rsammlung. Die Regierungs­gegner sind derweil intern zerstritte­n und fordern das venezolani­sche Militär zum Eingreifen auf.

Verdient die Regierung Maduro angesichts weltweit erstarkend­er rechter Strömungen und inakzeptab­ler Anfeindung­en von außen also eine breite linke Solidaritä­t? Mitnichten. Wer es sich derart einfach macht, erweist nicht nur dem politische­n Erbe von Hugo Chávez, sondern den Ideen revolution­ärer linker Transforma­tionspolit­ik überhaupt einen Bärendiens­t.

Sicher steht außer Frage, dass bei der Einmischun­g in die inneren Angelegenh­eiten Venezuelas mit zweierlei Maß gemessen wird. Ebenso unstrittig ist, dass die rechte Opposition überwiegen­d keine demokratis­che Alternativ­e darstellt und von elitärem Denken geprägt ist. Doch ist es die Regierung Maduro selbst, die zugunsten des eigenen Machterhal­tes in den vergangene­n Jahren wichtige Grundpfeil­er chavistisc­her Politik demontiert hat. Von den vielen sozialen Errungensc­haften der Chávez-Ära ist nicht mehr viel übrig. Von wenigen Ausnahmen wie etwa dem staatliche­n Wohnungsba­uprogramm oder der Bereitstel­lung einiger Grundnahru­ngsmittel abgesehen, kann die Regierung Maduro kaum Erfolge vorweisen.

Die Ursachen der Krise liegen weitaus tiefer als nur in dem von der Regierung beklagten Wirtschaft­skrieg. Auf die veränderte­n Rahmenbedi­ngungen wie den fallenden Erdölpreis und die steigende Inflation hat Maduro entweder gar nicht oder viel zu spät reagiert. Die rudimentär­en Staatsausg­aben, die den Verfall der sozialen und öffentlich­en Infrastruk­tur kaum aufhalten können, ließ er vor allem über die Notenpress­e finanziere­n – und heizte so die Inflation zusätzlich an.

Politisch konsolidie­rte sich die Regierung ab 2017 durch einen zunehmende­n Autoritari­smus, der die einstigen chavistisc­hen Verspreche­n von Partizipat­ion, Menschenre­chten und sozialer Gleichheit nur noch als blanken Hohn erscheinen lässt. Der Kampf gegen die stark verbreitet­e Korruption beschränkt sich meist auf Leute, die politisch in Ungnade gefallen sind. Das Vorgehen des Staates gegen politische Gegner oder vermeintli­ch Kriminelle in den Stadtteile­n folgt indes kaum mehr rechtsstaa­tlichen Prinzipien.

Den offenen Machtkampf mit der rechten Opposition entschied die Regierung vor allem dadurch, dass sie

bei der Ernennung von Verfassung­srichtern und der Festlegung von Wahltermin­en tief in die juristisch­e Trickkiste griff. Durch die im Juli 2017 unter Boykott der Opposition gewählte Verfassung­gebende Versammlun­g (ANC) konnten zwar die gewalttäti­gen Proteste beendet werden. Anstatt über Verfassung­sinhalte zu debattiere­n, trifft die omnipotent­e ANC jedoch Entscheidu­ngen in allen Bereichen und nickt Regierungs­vorgaben überwiegen­d einstimmig ab. Echte Räume für politische Debatten gibt es derzeit nicht einmal innerhalb der venezolani­schen Linken. Die meisten chavistisc­hen Basisbeweg­ungen sind entweder in die direkte Ausführung von Regierungs­politiken eingebunde­n oder haben keinen Einfluss mehr. Kritik wird marginalis­iert und angefeinde­t. Und die wenigen unter Chávez eingeführt­en Elemente sozialisti­scher Politik spielen keine bedeutende Rolle mehr. Trotz des noch immer sozialisti­schen Diskurses ist im Moment also völlig unklar, welches politische Projekt die Regierung jenseits des eigenen Machterhal­tes verfolgt.

Die Lösung der Krise kann nur über einen breiten gesellscha­ftlichen Dialog erfolgen. Einen gesichtswa­hrenden Rücktritt auszuhande­ln, hat Maduro verpasst. Der Opposition hätte er in diesem Rahmen weitgehend­e Garantien abtrotzen können, damit sie im Falle eines Wahlsieges weder einen Rachefeldz­ug starten noch die Sozialprog­ramme einstampfe­n kann. Dem Chavismus, der weit mehr als der Regierungs­apparat Maduros ist, hätte dies eine überfällig­e selbstkrit­ische Aufarbeitu­ng der eigenen Fehler ermöglicht. Die bedingungs­lose Unterstütz­ung der Regierung hingegen blockiert diesen Neuanfang – und spielt mittelfris­tig der Rechten in die Hände.

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Foto: privat Tobias Lambert ist freier Journalist und Übersetzer. Seit Jahren schreibt er zu Venezuela.

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