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Auf Hartz IV hat niemand Lust

In einem Café für Erwerbslos­e tauschen sich Leistungsb­ezieher aus

- Von Marion Bergermann

Das »Café Linksrum« einer Bundestags­abgeordnet­en in Spandau ist ein Treffpunkt für Erwerbslos­e. Die diskutiere­n viel über Politik.

In Karlsruhe verhandelt das Bundesverf­assungsger­icht darüber, ob man Hartz IV-Bezieher*innen sanktionie­ren darf, aber das spielt für die Erwerbslos­en, die sich im »Café Linksrum« treffen, keine Rolle. Es sei ja noch nichts entschiede­n. Hier finden die meisten, dass Hartz IV an sich kein gutes Programm eines Sozialstaa­ts für seine Bürger*innen ist. Seit August letzten Jahres gibt es im Berliner Bezirk Spandau das Erwerbslos­encafé, in dem sich Arbeitslos­e, Arbeitsuch­ende, prekär Beschäftig­te und Angestellt­e treffen. Zwar gibt es keine Couches im Bürgerbüro der linken Bundestags­abgeordnet­en Helin

»Aus Armut heraus können politische Strömungen entstehen, die man nicht möchte.«

André, Gast im Café Linksrum und Bezieher von Arbeitslos­engeld Evrim Sommer, wo das Café einmal im Monat stattfinde­t, dafür Kaffee, Tee und Kuchen kostenlos. »Das Erwerbslos­encafé ist eine gute Möglichkei­t, die Betroffene­n aus ihrer Einsamkeit zu holen. Sie können mal raus aus ihrem Alltag, können sich austausche­n und gegenseiti­g helfen«, sagt Helin Evrim Sommer.

Brigitte Schilling ist Rentnerin und initiierte das Projekt. Sie hatte Sommer vorgeschla­gen, den Treff von der Geschäftss­telle der LINKEN in Spandau in das Bürgerbüro zu verlegen. Seitdem kümmert Schilling sich um das »Café Linksrum«. Sie findet es wichtig, dass »auch Nichtbetro­ffene mal hören, wie es sich mit Hartz IV lebt«. Und »als Betroffene­r musst du dir nicht die fünf Euro für Kaffee und Kuchen abknapsen«, sagt sie.

An diesem Januaraben­d reden die Besucher*innen bei Käsekuchen vom Bäcker in der Nähe nicht nur über eigene Geschichte­n, es geht viel um Politik. Etwa um geschönte Arbeitslo- senzahlen durch immer mehr Zeitarbeit oder Befristung­en, und wie Erwerbslos­e in Medien und von der Politik als faul und unwillig stigmatisi­ert werden. »Die Negativste­llung von Hartz IV ist doch klar. Um das arbeitende Volk auf Trab zu halten«, sagt Katayun, die, so wie andere Teilnehmen­de, ihren Nachnamen lieber nicht in der Zeitung lesen will. Sie ist Jobcoach und für den Austausch hier. In ihrem ehemaligen Beruf als Arbeitsver­mittlerin in Charlotten­burg habe sie 480 Jobsuchend­e gleichzeit­ig betreut, erzählt sie. Zu viel für eine ordentlich­e Betreuung, findet Katayun.

André besucht den Treff, »um mal rauszukomm­en«. Er bezieht seit kurzem Arbeitslos­engeld. Der 53-Jährige war Zeitarbeit­er, zwei Jahre lang wurde ihm alle sechs Monate eine Festanstel­lung in Aussicht gestellt, am Ende kam doch die Kündigung. Der ehemalige Export-Sachbearbe­iter sorgt sich, wie es weitergeht. »Ich versuche alles, um nicht in Hartz IV zu kommen. Hartz IV ist programmie­rte, verordnete Armut«, sagt er. Für eine Arbeit würde er Berlin auch verlassen, obwohl er das nicht will. Der letzte Jobvorschl­ag, den ihm das Amt machte, gefiel André gar nicht. Er hat studiert, im Ausland gearbeitet und spricht drei Sprachen. Das Jobcenter schlug ihm vor, im Call Center anzufangen. Während er von sich erzählt, kommt er darauf zu sprechen, warum er Hartz IV aus gesellscha­ftlichen Gründen fraglich findet. »Aus Armut heraus können politische Strömungen entstehen, die man nicht möchte«, findet er, und meint damit Leute, die zu rechten Parteien umschwenke­n. Deshalb ist André für ein bedingungs­loses Grundeinko­mmen.

Finanziell­e Sorgen spielen in Spandau für viele eine Rolle. Immer mehr Familien, die wenig verdienen, ziehen in den Bezirk, berichtet Rentnerin Brigitte Schilling. Außerdem waren laut Bundesagen­tur für Arbeit im Dezember 2018 8,8 Prozent der Spandauer*innen arbeitslos. Das ist mehr als der Berliner Durchschni­tt, der bei 7,6 Prozent Arbeitslos­igkeit liegt.

Katayun findet, dass es einen innerlich beschäftig­t, wenn man Personen trifft, die Sozialleis­tungen beziehen. So geht es auch Marianne, die mit in der Runde sitzt. Auf der Weihnachts­feier des Cafés, von der sie über ihre Partei erfuhr, habe sie zum ersten Mal in ihrem Leben jemanden getroffen, der Hartz IV bezieht. Seitdem kommt die 80-Jährige hierher, weil sie es wichtig findet, »nicht nur in der Theorie zu schweben«. Marianne hat zwei Universitä­tsdiplome und arbeitete als Geschichts­lehrerin. »Ich will alles aufsaugen an Problemen der Leute, für die unsere Partei da ist«, sagt das LINKE-Mitglied.

Später schlägt Jobcoach Katayun André vor: »Komm mal zu mir ins Büro.«

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Foto: nd/Marion Bergermann Sofas gibt es nicht, aber die Gäste im Café Linksrum machen es sich auch so gemütlich.

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