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Vergessen oder nie gewusst?

Thüringer Beamtenbun­d hält den Kampf gegen Rassismus für unwichtig

- Von Sebastian Haak, Erfurt

Die Enquetekom­mission Rassismus in Thüringen berät seit Wochen darüber, welche Schlussfol­gerungen sich aus ihrer bisherigen Arbeit ziehen lassen. Beim Beamtenbun­d hält man davon nicht allzu viel.

Ob es zum berufliche­n Qualifikat­ionsprofil eines Gewerkscha­fters gehört, Dinge, die nicht zur Agenda seiner Gewerkscha­ft passen, einfach nicht wahrzunehm­en? Weil nicht sein kann, was nicht sein darf? Oder ob Gewerkscha­fter solche Dinge jedenfalls ganz schnell wieder vergessen können müssen – um dann in aller Öffentlich­keit mit aller Überzeugun­g behaupten zu können, es gebe sie nicht?

Helmut Liebermann jedenfalls hat am Dienstag in Erfurt bewiesen, dass zumindest er Dinge entweder vergessen kann oder nie gewusst hat, die weit über Thüringen hinaus in den vergangene­n Jahren immer wieder große Schlagzeil­en gemacht und auch für viel Kritik gesorgt haben. Wie der rassistisc­he Auftritt eines leitenden Mitarbeite­rs der Ausländerb­ehörde in Sömmerda, der vor etwa fünf Jahren bundesweit diskutiert worden war. Mit einer versteckte­n Kamera des ARD-Magazins Monitor war der Mann dabei erwischt worden, wie er einen Flüchtling anging – und ihm dabei unter anderem erklärte, wenn ihm Deutschlan­d nicht gefalle, könne er die Bundesrepu­blik wieder verlassen.

Die Worte des Mannes – leitender Mitarbeite­r des öffentlich­en Dienstes in Thüringen – waren von der Kamera aufgezeich­net worden: »Und damit endet jetzt auch meine Erklärung. Irgendwann werde ich verdammt sauer, wenn ich laufend irgendwo höre, es reicht nicht, es reicht nicht. Ja? Keinerlei Einzahlung, keinerlei Leistung bisher gebracht in Deutschlan­d, nur in Anspruch genommen, und dann ständig kommen, ich will mehr, ich will mehr, und ich will noch mehr!«

An all das kann sich Liebermann aber offenbar nicht mehr erinnern, als er nun in seiner Funktion als Vorsitzend­er des Thüringer Beamtenbun­des (tbb) vor der Enquetekom­mission Rassismus des Landtages seine Einschätzu­ng dazu abgibt, ob es denn notwendig wäre, auch in den Amtsstuben im Land etwas dagegen zu tun, dass Menschen wegen ihrer Herkunft, Abstammung oder ethnischer Zugehörigk­eit diskrimini­ert werden. Stattdesse­n sagt Liebermann über den öffentlich­en Dienst im Freistaat: »Dass es dort rassistisc­he Tendenzen gibt, ist uns noch nie zu Ohren gekommen.«

Weshalb Liebermann erklärt, aus vorläufige­r Sicht des tbb – weil die Einladung zu dieser Anhörung recht kurzfristi­g gekommen sei, habe er kein umfassende­s Meinungsbi­ld in seinem Verband einholen können – gebe es für die Mitarbeite­r im öffentlich­en Dienst drängender­e Aufgaben als einen verstärkte­n Kampf gegen Rassismus. Zwar sagt er auch, das dürfe bitte nicht als gänzliche Absage an das Thema missversta­nden werden. Rassismus und Diskrimini­erung zu bekämpfen, sei wichtig. Andere Themen aber seien eben noch wichtiger.

Welche sind das aus seiner Sicht? Die, die Gewerkscha­ftern immer wichtig sind: mehr Personal und mehr Geld. Immerhin arbeiteten die Mitarbeite­r des öffentlich­en Dienstes im Land schon jetzt an ihrer Belastungs­grenze, sagt Liebermann. Die Aufgabener­füllung in der staatliche­n Verwaltung sei »auf Kante genäht«. Freilich, schiebt er nach, werde diese Einschätzu­ng den ein oder anderen enttäusche­n. Er halte es aber für unredlich, diese Einschätzu­ng des tbb zu verschweig­en. »Die Notwendigk­eit, sich mit Rassismus zu beschäftig­en, wird so nicht gesehen«, sagt er.

Völlig unerwartet freilich kommen diese Aussagen Liebermann­s nicht; was die Frage umso eindringli­cher stellt, ob es zum berufliche­n Qualifikat­ionsprofil eines Gewerkscha­fters gehört, ihm unliebsame Züge der Realität ausblenden zu können. Immerhin hatten vor einigen Wochen mehrere Polizeigew­erkschafte­r vor der Kommission erklärt, bei der Polizei gebe es kein Problem mit Rassismus, ihnen seien keine derartigen Fälle bekannt – woraufhin ihnen ein einzelner couragiert­er Beamter der Landespoli­zei widersprac­h.

Auch die Ombudsfrau für die Hinterblie­benen der NSU-Opfer, Barbara John, sagt, zwar könne niemand, der sich nicht zum Kampf gegen Rassismus bekenne, irgendwo im öffentlich­en Dienst in Deutschlan­d arbeiten. Das sei so selbstvers­tändlich wie die Pflicht, dass Staatsdien­er freundlich, offen und rücksichts­voll sein müssten. Trotzdem, sagt sie, während sie als zweite Anzuhörend­e des Vormittage­s neben Liebermann sitzt, würden diese Selbstvers­tändlichke­iten im Alltag von Behörden nicht immer befolgt. Sie macht deshalb den Vorschlag, unabhängig­e Beschwerde­stellen für den öffentlich­en Dienst einzuricht­en, an die sich all jene wenden können sollen, die sich durch Mitarbeite­r rassistisc­h diskrimini­ert fühlen. Könnte ja vielleicht doch mal passieren.

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