Vergessen oder nie gewusst?
Thüringer Beamtenbund hält den Kampf gegen Rassismus für unwichtig
Die Enquetekommission Rassismus in Thüringen berät seit Wochen darüber, welche Schlussfolgerungen sich aus ihrer bisherigen Arbeit ziehen lassen. Beim Beamtenbund hält man davon nicht allzu viel.
Ob es zum beruflichen Qualifikationsprofil eines Gewerkschafters gehört, Dinge, die nicht zur Agenda seiner Gewerkschaft passen, einfach nicht wahrzunehmen? Weil nicht sein kann, was nicht sein darf? Oder ob Gewerkschafter solche Dinge jedenfalls ganz schnell wieder vergessen können müssen – um dann in aller Öffentlichkeit mit aller Überzeugung behaupten zu können, es gebe sie nicht?
Helmut Liebermann jedenfalls hat am Dienstag in Erfurt bewiesen, dass zumindest er Dinge entweder vergessen kann oder nie gewusst hat, die weit über Thüringen hinaus in den vergangenen Jahren immer wieder große Schlagzeilen gemacht und auch für viel Kritik gesorgt haben. Wie der rassistische Auftritt eines leitenden Mitarbeiters der Ausländerbehörde in Sömmerda, der vor etwa fünf Jahren bundesweit diskutiert worden war. Mit einer versteckten Kamera des ARD-Magazins Monitor war der Mann dabei erwischt worden, wie er einen Flüchtling anging – und ihm dabei unter anderem erklärte, wenn ihm Deutschland nicht gefalle, könne er die Bundesrepublik wieder verlassen.
Die Worte des Mannes – leitender Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes in Thüringen – waren von der Kamera aufgezeichnet worden: »Und damit endet jetzt auch meine Erklärung. Irgendwann werde ich verdammt sauer, wenn ich laufend irgendwo höre, es reicht nicht, es reicht nicht. Ja? Keinerlei Einzahlung, keinerlei Leistung bisher gebracht in Deutschland, nur in Anspruch genommen, und dann ständig kommen, ich will mehr, ich will mehr, und ich will noch mehr!«
An all das kann sich Liebermann aber offenbar nicht mehr erinnern, als er nun in seiner Funktion als Vorsitzender des Thüringer Beamtenbundes (tbb) vor der Enquetekommission Rassismus des Landtages seine Einschätzung dazu abgibt, ob es denn notwendig wäre, auch in den Amtsstuben im Land etwas dagegen zu tun, dass Menschen wegen ihrer Herkunft, Abstammung oder ethnischer Zugehörigkeit diskriminiert werden. Stattdessen sagt Liebermann über den öffentlichen Dienst im Freistaat: »Dass es dort rassistische Tendenzen gibt, ist uns noch nie zu Ohren gekommen.«
Weshalb Liebermann erklärt, aus vorläufiger Sicht des tbb – weil die Einladung zu dieser Anhörung recht kurzfristig gekommen sei, habe er kein umfassendes Meinungsbild in seinem Verband einholen können – gebe es für die Mitarbeiter im öffentlichen Dienst drängendere Aufgaben als einen verstärkten Kampf gegen Rassismus. Zwar sagt er auch, das dürfe bitte nicht als gänzliche Absage an das Thema missverstanden werden. Rassismus und Diskriminierung zu bekämpfen, sei wichtig. Andere Themen aber seien eben noch wichtiger.
Welche sind das aus seiner Sicht? Die, die Gewerkschaftern immer wichtig sind: mehr Personal und mehr Geld. Immerhin arbeiteten die Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes im Land schon jetzt an ihrer Belastungsgrenze, sagt Liebermann. Die Aufgabenerfüllung in der staatlichen Verwaltung sei »auf Kante genäht«. Freilich, schiebt er nach, werde diese Einschätzung den ein oder anderen enttäuschen. Er halte es aber für unredlich, diese Einschätzung des tbb zu verschweigen. »Die Notwendigkeit, sich mit Rassismus zu beschäftigen, wird so nicht gesehen«, sagt er.
Völlig unerwartet freilich kommen diese Aussagen Liebermanns nicht; was die Frage umso eindringlicher stellt, ob es zum beruflichen Qualifikationsprofil eines Gewerkschafters gehört, ihm unliebsame Züge der Realität ausblenden zu können. Immerhin hatten vor einigen Wochen mehrere Polizeigewerkschafter vor der Kommission erklärt, bei der Polizei gebe es kein Problem mit Rassismus, ihnen seien keine derartigen Fälle bekannt – woraufhin ihnen ein einzelner couragierter Beamter der Landespolizei widersprach.
Auch die Ombudsfrau für die Hinterbliebenen der NSU-Opfer, Barbara John, sagt, zwar könne niemand, der sich nicht zum Kampf gegen Rassismus bekenne, irgendwo im öffentlichen Dienst in Deutschland arbeiten. Das sei so selbstverständlich wie die Pflicht, dass Staatsdiener freundlich, offen und rücksichtsvoll sein müssten. Trotzdem, sagt sie, während sie als zweite Anzuhörende des Vormittages neben Liebermann sitzt, würden diese Selbstverständlichkeiten im Alltag von Behörden nicht immer befolgt. Sie macht deshalb den Vorschlag, unabhängige Beschwerdestellen für den öffentlichen Dienst einzurichten, an die sich all jene wenden können sollen, die sich durch Mitarbeiter rassistisch diskriminiert fühlen. Könnte ja vielleicht doch mal passieren.