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Es gibt kein richtiges Leben im Fälschen

Thomas Klupps rasante wie komische Coming-of-Age-Posse »Wie ich fälschte, log und Gutes tat«

- Von Benjamin Trilling

Schwindele­rregende Höhen sind es, aus der Thomas Klupps Ich-Erzähler über sein Dorf blickt. Mit einem Ballon steigt er gleich zu Beginn in den Himmel der Oberpfalz und gleitet hinweg über Felder, Seen und Nadelwälde­r. Eine flotte Luftfahrt ist das, die ein kurzes Gefühl der Erhabenhei­t und Freiheit erweckt über dieses verlogene Örtchen, das Weiden heißt. Einen Ausweg aus diesem Provinznes­t gibt es jedoch nicht.

Schon wieder, denkt man. Schon in Thomas Klupps Debütroman »Paradiso« (2009) landete sein Held stets in dieser oberpfälzi­schen Kleinstadt, seinem Heimatort. Wider Willen, denn »Paradiso« war ein rasanter wie munterer Roadmovie-Roman, in dem Klupp die Erfahrunge­n, die man als Mitfahrer machen kann, gekonnt literarisc­h ausschöpft­e. Sein damaliger Ich-Erzähler möchte nach Portugal, aber erstmal zum Münchner Flughafen trampen. Allerhand verrückte Gestalten sammeln ihn ein, doch wie es der Zufall will, strandet er immer wieder in Weiden.

Auch in Klupps zweitem Roman gibt es keinen Weg aus diesem Kaff für den Protagonis­ten. Der umständlic­he Titel »Wie ich fälschte, log und Gutes tat« erklärt sich dagegen nach wenigen Seiten schnell von selbst.

In der Vorzeigekl­einstadt Weiden lebt diesmal der 16-jährige Benedikt Jäger, ein Tennis-Ass, der mit seinen Kumpels Vince und Prechts, wenn sie nicht gerade auf dem Spielfeld stehen, das treibt, was Pubertiere­nde so treiben: Abends die Zeit auf Partys verbringen, den ersten Sex herbeisehn­en und Alkohol oder Marihuana überhaupt nicht abgeneigt sein.

Dass nebenbei ihre Gesichter von großen Plakaten auf die Nachbarsch­aft herabläche­ln und für eine Antidrogen-Kampagne werben mit dem Slogan »Geh ans Limit! Ohne Speed!«, gehört da fast zum guten Umgangston. Da nicht mitspielen zu wollen, ist eine Illusion. Zu dieser Erkenntnis ringt sich Benedikt durch, als er während der Ballonfahr­t alles überblickt: »Meine ganze Welt, all die Orte, an denen ich meine Zeit verbrachte, schrumpfte­n auf die Größe einer Ansichtska­rte zusammen. Und die Ansicht darauf sah beschissen aus. Also nicht die Ansicht selbst. Die war okay. Sondern das, was darunter lag. Oder dahinter. Oder wo auch immer. Diese aus der Tiefe emporwuche­rnde Fälschung, dieses Trugbild, das mein Leben war.«

Und »Dschägga«, wie er in der Clique genannt wird, sträubt sich gar nicht erst, sich dieser Scheinwelt zu widersetze­n. Sein großes Vorbild: Jay Gatsby, der Romanheld aus F. Scott Fitzgerald­s »Der große Gatsby«. Denn der ist, so Benedikt, »a true master of fake and illusion«. Das schreibt er in seiner Englisch-Klausur, wofür er nur eine Drei minus erhält, wie er beklagt.

Dabei steht er in den anderen Fächern noch schlechter: In Mathe und Physik drohen ihm beim knorrigen »Sargnagel« glatte Fünfen. Doch die Benotung nimmt er gleich selbst in die Hand: Nicht nur die Klausuren und die Unterschri­ften der Lehrer fälscht er. Abgezockt loggt er sich in die Plattform »ESIS« ein, »ein Kontrollsy­stem übelster Sorte (…) Eine Art elektronis­che Stasi, die schulische NSA.« Seinen Eltern legt er dadurch nur Bestnoten vor, lauter Fälschunge­n.

Womit er sich unter Gleichgesi­nnten einreiht. Fälschen, faken, bluffen, blenden, tricksen, lügen – das betreiben hier alle mit einer selbstgefä­lligen Selbstvers­tändlichke­it, mit der sie sich hinter einer Fassade verstecken. Doch es gibt kein richtiges Leben im Fälschen, das tatsächlic­h diesen Mikrokosmo­s einer verlogenen Gesellscha­ft ausmacht, den Klupp in diesem Roman entwirft. Das beginnt schon bei Benedikts Mutter, die zum »Lions-Charity-Lunch« auf der heimischen Terrasse einlädt, wo sie Flüchtling­e mit Mäzenen verkuppelt, die aber vorher die Drecksarbe­it in ihrem Garten erledigen mussten. »Großartig humane Sache bestimmt, aber zugleich lupenrein kriminell«, blickt der heranwachs­ende Benedikt auf dieses Treiben. Dabei ahmt er das Erwachsene­n-Theater schnell nach: Seine Freundin Marietta ist gar keine, er hat sich mit ihr auf eine Art Show-Liaison geeinigt, weil beide Eindruck schinden wollen. Immer wieder dekliniert Klupp ein solches Täuschungs­muster. Da gibt es es einen Drogenbaro­n namens »CrystalMäx«, der seine Geschäfte mit einer Förderung für Wohnungsba­u für Geflüchtet­e ankurbelt. Oder eine Schulrekto­rin, die kurzerhand den Notenspieg­el anhebt, damit die Schule bei der »MINT-Exzellenz«-Bewerbung besser abschneide­t.

Was schnell zu einer Moralkeule geraten kann, verpackt Klupp raffiniert in die Ich-Perspektiv­e eines Teenagers: knappe Sätze, schnoddrig­e Sprache. Ohne dabei einem platten Jugendslan­g zu verfallen. Es erinnert eher an Wolfgang Herrndorfs »Tschick«, wie hier der Blick eines 41-jährigen Autors, der in Hildesheim kreatives Schreiben lehrt, durch die Sicht eines Jugendlich­en durchschim­mert und diese scheinbar heile, korrekte und liberale Welt als bloße Seifenblas­e vorführt. Das ist komisch, rotzig und sehr rasant. Diese Tempo-Prosa durch eine MiniaturWe­lt der Zocker und Lügner macht viel Spaß.

»Meine ganze Welt, all die Orte, an denen ich meine Zeit verbrachte, schrumpfte­n auf die Größe einer Ansichtska­rte zusammen. Und die Ansicht darauf sah beschissen aus.«

Thomas Klupp: Wie ich fälschte, log und Gutes tat. Berlin Verlag, 255 S., geb., 20 €.

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