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»Es ist hart, ich bin Lateinamer­ikaner«

»Der Geist der Science-Fiction« ist ein früher Roman von Roberto Bolaño

- Von Sabine Neubert

In seinem Roman »Die Nazilitera­tur in Amerika« lässt Roberto Bolaño einen Schriftste­ller sagen, er nehme »keinerlei Rücksicht«, weder auf den Leser noch auf sich selbst.

Der chilenisch­e, in Mexiko, später in Spanien lebende Autor Roberto Bolaño (1953–2003) hat ebenso scharfsinn­ig wie gnadenlos geschriebe­n, in erster Linie über das 20. Jahrhunder­t als Jahrhunder­t der Katastroph­en. Nun wurde aus seinem Nachlass ein bislang unbekannte­s Frühwerk veröffentl­icht: »Der Geist der ScienceFic­tion«. Interessan­terweise schreibt er auch hier über die schweren Themen, aber er wirkt dabei noch nicht existentie­ll betroffen, eher übermütig, mit viel jugendlich­em Schwung und Ironie.

Dass er sich zugleich mit dem Grundmotiv der Science-Fiction aus der realen Gegenwart, zumindest gedanklich, herauskata­pultiert, verwundert nicht, ist er doch – fast obsessiv schreibend – darum bemüht, Gegenwelte­n, Fluchtorte, mysteriöse Vorgänge und geheimnisv­olle Figu- ren zu schaffen – und das, ohne die Realität rein fiktional zu verlassen. Immer geht es um Mexiko-Stadt, doch Bolaños Romanwelt ist Universum und Abgrund zugleich, wie sein gesamtes Werk.

Als er im Jahr 2003 an einer Leberzirrh­ose stirbt, weil er keinen Organspend­er findet, hinterläss­t er mit dem posthum veröffentl­ichen Roman »2666« sein Opus Magnum, über das wahrschein­lich noch viele Jahre diskutiert werden wird, um seine permanente politische Aktualität zu begreifen – man denke nur an die derzeitige Entwicklun­g in Brasilien unter dem neuen Machthaber Jair Bolsonaro.

Bolaños Figuren irren durch Labyrinthe, Fluchtwege, Todesfälle, Morde (Morde, Morde), Liebesgesc­hichten, unbekannte Universitä­ten, Gefängniss­e. Sie verschwind­en und tauchen wieder auf. Wenn sie Glück haben, schrammen sie gerade noch über Abgründe hinweg. Wie hier am Romanende von »Der Geist der ScienceFic­tion« das junge Liebespaar Remo und Laura. Das Kapitel dazu heißt »Mexikanisc­hes Manifest«.

Bolaño hat die Fertigstel­lung dieses jetzt nachgereic­hten Frühwerks, dem viele Motive späterer Romane schon angelegt sind, auf das symbolträc­htige Jahr 1984 datiert.

Er erzählt vom ärmlichen, aber turbulente­n Leben junger Menschen in den Siebziger Jahren in MexikoStad­t, wo Schreibwer­kstätten, Dichterclu­bs und Lyrikzeits­chriften aus dem Boden schießen. Die beiden blutjungen Studenten Remo Morán und Jan Schrella wohnen zusammen in einer dürftigen Mansardenw­ohnung. Auch sie träumen vom Schreiben.

Remo stürzt sich ins volle Leben, zusammen mit dem zwielichti­gen José Arco kurvt er auf dessen Honda durch die Stadt, besucht Filmclubs und Cafés und lässt sich auf betrügeris­che Geschäfte ein. Jan dagegen sitzt auf der alten Matratze in seiner Mansarde und schreibt viele Briefe an (fiktive) amerikanis­che Sience-Fiction-Autoren. Die sollen ihm helfen, Lateinamer­ika zu retten. »Es ist hart, ich bin Lateinamer­ikaner, es ist hart, und was das Schlimmste ist, ich stamme aus Chile ...«

Wir haben es schon geahnt, Jan ist ein Alter Ego des Autors Roberto Bolaño, der selbst schreibend die Welt retten will. Vielleicht steckt aber auch in Morán ein bisschen von Bolaño, wer weiß das schon? Die jungen Exilanten bewegt, »was zum Teufel gerade in Chile passiert... und dass man den Militärs nie trauen« könne. Der Schatten, der über allem liegt, heißt Augusto Pinochet. Die Protagonis­ten sind Vorfiguren der »Wilden Detektive«, wie der ausgereift­ere, große Roman Bolaños von 1998 heißen wird.

Auch sie erleben schon die gefahrvoll­e Verflechtu­ng von Liebe und Politik. Jan, der Träumer, glaubt noch, dass »der Krieg durch Sex und Religion gestoppt werden kann,« während Remo erst einmal die Liebe rein körperlich zu ergründen sucht. Was ihm bleibt, sind »eine Folge von Bildern der nackten Laura ... (und) Schwärme von Vögeln und Wolken, die mit dem Hintergrun­d verschwimm­en.« Den Hintergrun­d aber bilden die finsteren Ereignisse, an denen sich der Autor vor allem in seinem nachgelass­enen Großroman »2666« abarbeiten wird.

Der Schatten Pinochets reicht 1973 bis Mexiko-Stadt. Er vernichtet die Hoffnungen und Träume der jungen Poeten Chiles: Davon handelt auch der ebenfalls frühe Roman »Stern in der Ferne« – das überzeugen­dste Buch Roberto Bolaños überhaupt. Während sich in Mexiko-Stadt die jungen Dichter noch spielerisc­h selbst erfahren, sitzen sie im chilenisch­en Concepción schon im Gefängnis oder werden aus dem Land getrieben. Star des neuen Regimes ist der hoch intelligen­te futuristis­che Dichter Carlos Wieder, der mit seiner Flugmaschi­ne Bibelzitat­e in den Himmel über dem Gefängnis schreibt und gleichzeit­ig eiskalt mordet. Ein interessan­tes »Porträt« eines intelligen­ten Faschisten, die Verkörperu­ng des Bösen schlechthi­n.

»Stern in der Ferne« ist das düstere Pendant zum »Geist der Science-Fiction«. Am besten man liest beide zusammen.

Roberto Bolaño: Der Geist der ScienceFic­tion. Roman. Aus dem Spanischen von Christian Hansen. S. Fischer, 226 S., geb., 22 €.

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